Jubiläum in Nürnberger Komm-Skandal

Justiz nach Massenverhaftungen in Bedrängnis

  • Gerhard Faul, Nürnberg
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Anfang 1981 räumte die Polizei in Nürnberg zwei besetzte Häuser. Am Abend des 5. März 1981 ist das selbstverwaltete Kommunikationszentrum (Komm) gut besucht. Jugendliche treffen sich in der Teestube, spielen Kicker oder töpfern in den Werkstätten. Im Saal findet ein Informationsabend über Hausbesetzungen statt. Nach Ende der Veranstaltung formiert sich ein Demonstrationszug mit 150 Teilnehmern durch die Innenstadt. In einer halben Stunde werden sechs Schaufensterscheiben von Banken und Kaufhäusern eingeworfen sowie drei weitere beschädigt. Der Schaden beläuft sich auf 11 000 Euro. Als Polizeifahrzeuge den Aufzug einkeilen, flüchten die meisten Jugendlichen zum Komm zurück. Die Mehrzahl geht in das vermeintlich sichere Haus. Kurz darauf riegelt die Polizei dessen Eingänge ab. Anfangs gelingt es »Demo-Teilnehmern« noch, durch den Stadtgraben zu entwischen. Gegen die Zusicherung, es würden nur die Personalien festgestellt, verlassen die Eingeschlossenen um 3 Uhr früh das belagerte Gebäude. Die 164 Komm-Besucher werden festgenommen und abtransportiert. Mittelfrankens Polizeipräsident Helmuth Kraus rechtfertigt das Vorgehen, während der Demonstration habe sich das Komm bis auf 20 Besucher geleert. Fünf Ermittlungsrichter unterschreiben 141 kopierte Haftbefehle. Der Vorwurf lautet Landfriedensbruch, die Untersuchungshaft wird mit Flucht- und Verdunklungsgefahr begründet. Der jüngste Verhaftete ist 15 Jahre. Viele wohnen bei den Eltern, besuchen die Schule. 21 Minderjährige und 49 Heranwachsende kommen ins Gefängnis. Haftrichter Ludwig Dorner begründet später die Verhaftungswelle, der Rechtsstaat habe Flagge zeigen müssen: »In den Wochen vor den Verhaftungen haben bürgerkriegsähnliche Zustände auf Nürnbergs Straßen geherrscht.« Bayerns Staatsregierung unterstützt das Vorgehen von Polizei und Justiz. Ministerpräsident Franz Josef Strauß sieht in Hausbesetzern »den Kern neuer terroristischer Aktionen«. Viele Eltern erhalten erst nach Tagen eine Nachricht. Lehrer, SPD, Gewerkschaften und Kirchenvertreter kritisieren Polizei und Justiz. Bundesverfassungsrichter Martin Hirsch äußert Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Haftbefehle. 7000 Menschen versammeln sich in Nürnberg zu einer Protestkundgebung. Auf Grund des öffentlichen Drucks werden die Minderjährigen nach Tagen freigelassen. Nach zwei Wochen verlassen die letzten Komm-Besucher die Zellen. Die Staatsanwaltschaft klagt 78 der 141 Verhafteten vor Gericht an. Bei 63 Verhafteten fand die Staatsanwaltschaft keine Beweise für die Teilnahme an der Demonstration. Im November 1981 beginnt der Prozess gegen die ersten zehn Angeklagten. Der Tatvorwurf Landfriedensbruch setzt ein geplantes gemeinschaftliches Handeln voraus. Den Rechtsanwälten fällt auf, dass Berichte von Polizeibeamten fehlen, die bei der nächtlichen Demonstration im Einsatz waren. Als die Protokolle gefunden werden, weisen sie auf einen spontan zu Stande gekommenen Umzug hin. Die Verteidiger sprechen von Aktenmanipulation. Der Bayerische Justizminister Hillermeier entzieht den Nürnberger Staatsanwälten die Zuständigkeit. Schließlich sieht das Gericht den Landfriedensbruch als nic...

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