Eins, zwei viele 4. Internationalen

Von »Sektierern« und »Entristen«: Zur trotzkistischen Bewegung in der Bundesrepublik

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Ein Gespenst geht um in der Linksbündnis-Debatte, das Gespenst des Trotzkismus. »Sektierer« und »Separatisten«, heißt es immer wieder, würden den Fusionsprozess beider Parteien hintertreiben und die Wahlalternative unterwandern. Wie aber ist es wirklich bestellt um die trotzkistische Bewegung?

Der »Kuckuck im roten Nest« kam pünktlich: Die trotzkistische SAV, meldete am Montag der »Spiegel«, soll »die WASG unterwandert haben« und in Berlin die umstrittene Solo-Kandidatur der Partei betreiben. Ein paar Tage später wurde das Ergebnis der Mitgliederbefragung in der Berliner WASG bekannt gegeben. Wer wollte da noch Zweifel haben: Der, wenn auch knappe, Ausgang für die Kritiker der rot-roten Senatspolitik, selbstverständlich ein Werk »linker Sektierer«. Sogar der Berliner SPD-Innensenator Eckhart Körting wusste: Die trotzkistische Strategie des Entrismus, der Einflussnahme in bereits bestehenden Parteien durch Eintritt, »hat in Berlin funktioniert«. Zum Hauptfeindbild hat man die Sozialistische Alternative SAV erhoben. Die rund 400 Mitglieder starke Gruppe ist die deutsche Sektion des »Committee for a Workers International« und gehört damit einem von mindestens 15 trotzkistischen Dachverbänden in der Bundesrepublik an, die auf gut 20 einzelne Gruppen verweisen. Vom orthodoxen Hinterzimmerclub bis zur bei kommunalen Wahlen erfolgreichen Gruppe findet sich dabei allerlei. Zum Beispiel die Partei für soziale Gleichheit, die sich wie andere auch als »die deutsche Sektion der Vierten Internationale« sieht. Bei den Bundestagswahlen im Herbst erreichte die Nachfolgerin des 1971 gegründeten Bundes Sozialistischer Arbeiter immerhin 15 365 Stimmen. Andere Gruppen wie die »Posadistische Kommunistische Partei« pflegen dagegen eigenwillige Kulte um ihre, nun ja, Theoretiker. Wiederum weitere Gruppen haben offenbar von der Vierten Internationale bereits die Nase voll und streben - wie die Gruppe Arbeitermacht - eine Fünfte Internationale an. Auch die linke Kölner Zeitschrift »SoZ« kann dem trotzkistischen Lager zugerechnet werden. Vergleicht man die dort geführte Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Themen indes mit Flugblättern etwa der »Spartakist-Arbeiterpartei«, wird deutlich, dass das Label »Trotzkismus« wenig geeignet ist, solch verschiedene Strömungen zu bezeichnen. Der Vorwurf, Sektierer zu sein, mag mit Blick auf die zahlenmäßige Größe und ideologische Beweglichkeit mancher Vereinigung im Namen Trotzkis heute nicht so weit hergeholt sein. Auch historisch gesehen ist solche Kritik für ihre Anhänger nichts Neues. Schließlich erblickte der »Trotzkismus« seit den 30er Jahren als Propagandafloskel gegen Abweichler der stalinistischen Parteilinie in der Sowjetunion und innerhalb der Debatten um die Opposition in der III. Internationale das Licht der Welt. Leo Trotzki war in der Russischen Revolution aktiv, formulierte aber bald Kritik. Mit Blick auf »reaktionäre Epochen wie die unsere«, meinte Trotzki 1937, »Aufgabe der Avantgarde« sei, »sich nicht von dem allgemein rückwärts flutendem Strom davontragen zu lassen«. »Dummköpfen erscheint eine solche Politik als "Sektierertum".« Tatsächlich bereite man »einen gigantischen Sprung vorwärts vor«. Der ist bislang bekanntlich ausgeblieben, und auch die von Trotzki postulierte »permanente Revolution« hatte noch wenig Erfolg. Stattdessen verlegte sich der organisierte Trotzkismus auf Spaltungen. Ein Produkt unter vielen ist die »International Socialist Tendency« IST, einer der trotzkistischen Dachverbände, die in London residieren. Ableger in der Bundesrepublik ist die Gruppe »Linksruck« - ebenfalls rund 400 Mitglieder stark. Auch deren Mitglieder sind in der WASG engagiert. Im Unterschied zur SAV lehnt Linksruck allerdings eine Solo-Kandidatur in Berlin ab. Der viel gescholtene »Entrismus« kann also zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. In den 90er Jahren hatte der »Linksruck«-Vorgänger Sozialistische Arbeitergruppe schon einmal sein Glück in einer anderen Organisation versucht - bei den Jusos. Das entristische Abenteuer endete indes mit der faktischen Auflösung der SAG. Übrig blieb der »Linksruck«, ein Projekt, das 1993 als Zeitschrift begann. Bei aller kämpferischer Rhetorik haben sich SAV und »Linksruck« zuletzt vor allem in eher gemäßigten Projekten engagiert - vor allem in den sozialen Bewegungen und neuerdings auch bei der WASG. Von konkreten Plänen, das »bestehende System auf revolutionäre Weise« zu stürzen, wie der »Spiegel« genüsslich die SAV zitiert, war zuletzt kaum etwas zu spüren. Was auch mit der Größe der Anhängerschaft zu tun haben dürfte. Der Verfassungsschutz geht von etwa 1...

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