Kaatia - das klingt wunderschön

Gestern wurde die »Friedenauer Presse« mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet

  • Christina Matte
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17. März 2006, gestern. Auf der Buchmesse in Leipzig wurde die »Friedenauer Presse« mit dem »Kurt-Wolff-Preis« geehrt. Diese Auszeichnung vergibt die Kurt-Wolff-Stiftung seit drei Jahren, seit sie existiert, an kleine, unabhängige Verlage, die sich besonders verdient gemacht haben. Wobei es schon ein Verdienst an sich ist, einen kleinen, unabhängigen Verlag überhaupt zu betreiben. Die »Friedenauer Presse« erhielt den Preis für ihr hartnäckiges Bemühen, die russische Literatur in Deutschland bekannt zu machen. Die Ehrung nahm Katharina Wagenbach-Wolff entgegen. Sie ist die »Friedenauer Presse«. Ein Ein-Mann-Verlag, würde man sagen, wenn Katharina Wagenbach-Wolff keine Frau wäre. Katharina Wagenbach-Wolff stieg also, nein, sie schritt hinauf auf die Bühne. Eine kleine Person mit noch immer üppigem Haar, das allerdings längst silbergrau ist. Mit kleinen Pumps an den kleinen Füßen, die doch so weit gehen können. Gekleidet in Silbergrau, das die Farbe des Haares aufnimmt. Eine Dame! Die sich bedankte und erzählte, dass sie den großen Verleger Kurt Wolff, der Franz Kafka entdeckte, noch persönlich kennen lernte. Sie erinnerte sich an ihn als einen Mann, »der einem niemals das Gefühl gab, man wüsste gar nichts, und er wüsste alles«. Der Verlag »Friedenauer Presse« befindet sich am Savigny-Platz, in der Carmer Straße 10. In Katharina Wagenbach-Wolffs Wohnung. Es ist eine Alt-Westberliner Wohnung mit morbidem Charme: Das alte Westberlin ist, wie gesagt, alt und stirbt. Langsam. Die Quartiere dort sind teuer und in gewisser Weise schön - man kann gut antiquarische Möbel, ganz von der Mode unabhängig, in ihnen aufstellen. Und Bücherregale. Katharina Wagenbach-Wolff hat die Bücher, die sie besitzt, nicht gezählt, es werden Tausende sein. Aber sie hat jedes Buch gelesen, manches zwei oder drei Mal. Sie ist mit Büchern aufgewachsen, Bücher haben sie durch ihr Leben begleitet. Sie sind die Liebe, die andauert. Ein Raum beherbergt den Verlag. Hier arbeitet sie. Auch darin wieder Bücherregale; in einem stehen die Ausgaben, die sie zuletzt herausbrachte: Da sind zunächst die Pressedrucke. Schmale Heftchen, für gewöhnlich kaum mehr als dreißig Seiten stark, ein jedes kostet 9,50 Euro und enthält Gedichte eines Dichters oder einer Dichterin. Oder Prosa. Oder Tagebuchauszüge. Oder Briefe. Oder unveröffentlichte Fragmente. Allesamt Kostbarkeiten. Von Katharina Wagenbach-Wolff entdeckt oder wiederentdeckt. Autoren wie Marieluise Fleisser, Erich Fried, Alfred Döblin. Aber eben auch Anna Achmatowa, Maxim Gorki, Elena Guro, Wladimir Majakowski, Alexander Puschkin, Iwan Turgenjew und Daniel Charms. Mit solchen Pressedrucken hat sie 1983 die »Friedenauer Presse« wieder belebt, die ihr Vater gründete. Bis 1972, bis zu seinem Tode, hatte er 36 solcher literarischen Flugblätter verlegt. Neben den Pressedrucken sind ihre »Winterbücher« aufgereiht. Die Idee, solche Bändchen herauszubringen, kam ihr, als Hans Mag- nus Enzensberger ihr das für ihre Pressedrucke mit 160 Seiten überdurchschnittlich umfängliche Manuskript »Requiem für eine romantische Frau« anbot. Winter, dachte sie, draußen kalt, drinnen warm, die Lampe brennt, man hat Tee aufgebrüht, sitzt im Ohrensessel und liest. Seitdem verdanken wir ihr jedes Jahr so ein »Winterbuch«. Kein Massendruck, in Leinen gehüllt, ein bibliophiles Schmuckstück. Sie nimmt eines nach dem anderen in die Hand, streicht darüber. Der Briefwechsel zwischen Flaubert und Turgenjew, sie ließ ihn aus dem Französischen übersetzen, war, so sagt sie, »sehr erfolgreich«. Auch »Klaras NEIN« von Soazig Aaron. Ebenso wie »Isaak Babel: Tagebuch 1920« - sie hat es von seiner Witwe, die sie in Moskau traf. Oder »Ivan Bunin: Cechov«, »Aleksandr Puskin: Die Erzählungen«, »Anton Cechov: Angst«, »Daniil Charms: Fälle«. Nicht ganz so erfolgreich, weil nicht so bekannt, aber nichtsdestotrotz Literatur der Extraklasse »Leonid Dobycin: Im Gouvernement S.« Fast alle russischen Autoren wurden, ein Glücksfall, von dem begnadeten Peter Urban übersetzt, welcher (der aufmerksame Leser wird es bemerken) die wissenschaftliche Transskription benutzt. Schließlich zieht Katharina Wagenbach-Wolff noch Taschenbücher aus dem Regal. Sie nennt sie »Wolffs Broschuren«. Diese Broschuren sind ausgesprochen edel, ihre Umschläge sämtlich von einer Hand, von der Hand Horst Hussels, gestaltet. Es gibt Namen, die einem nichts sagen, nichtssagend sind. Und es gibt Namen, die Geschichten erzählen. Der Name Katharina Wagenbach-Wolff erzählt Geschichten, mehr noch: Geschichte. Katharina - ein russischer Name. Die Koseform Katja: wunderschön, wenn man sie nur richtig ausspricht - Kaatia. Ihr Ur-Ur-Urgroßvater soll österreichischer Herkunft und der Medicus Maria-Theresias gewesen sein, genau weiß sie es nicht. Aber es erklärt den deutschen Nachnamen ihres polnischen Urgroßvaters Moritz Wolff, der 1840 in Warschau eine Lehre als Buchhändler absolvierte. Nach drei Jahren in Paris, eineinhalb Jahren in Leipzig und mehreren Assistenzen taucht er 1848 in der russischen Hauptstadt St. Petersburg auf - und erobert sie. Schon 1853 macht er sich mit einer Buchhandlung auf der St. Petersburger Prachtmeile, dem Newski Prospekt, selbstständig. Dort gibt es alle Bücher, die in europäischen Verlagshäusern produziert werden. Und dort treffen sich Leskow, Gontscharow und Dostojewski, eines Abends erscheint sogar Turgenjew. In Wolffs Buchhandlung, in seinem Arbeitszimmer, diskutieren sie über Literatur und Politik - ihre Runde wird als »Fast-Club« in die Literaturgeschichte eingehen. »Fast-Club«, weil die Geheimpolizei diese Treffen überwachte und der St. Petersburger Stadtkommandant einmal erbost in die Runde rief, dass »hier fast ein Club« sei. Zu dieser Zeit hatte Moritz Wolff bereits einen eigenen Verlag gegründet. Er verlegte Gogol, Leskow, Dostojewski, Lermontow, Puschkin. Wolff ist Hofliefertant des Zaren, die Zarensöhne beehren ihn. Schließlich beschäftigt er 700 Arbeiter und besitzt ein Millionenvermögen. 1883 stirbt er. Seine Söhne führen den Verlag weiter. Der wird nach der Oktoberrevolution 1917 enteignet. Moritz Wolffs Sohn Ludwig, der »Bourgeois«, flieht mit seiner Familie nach Deutschland. Ohne jeden Besitz. Andreas Wolff, Ludwigs Sohn, gerade 15 bei der Flucht, lernt bei Teubner in Leipzig und geht 1926 zu Samuel Fischer nach Berlin. 1929 eröffnet er in Berlin eine Leihbuchhandlung. Im selben Jahr wird seine Tochter Katharina geboren. 1931 gründet er in Berlin-Friedenau die Buchhandlung »Wolffs Bücherei« - auch sie wird Literaturgeschichte schreiben. Während des Nationalsozialismus muss er allerdings die Bücher der besten Autoren aus seinem Bestand entfernen; er versteckt sie im Keller. Die letzten Monate bis zum Kriegsende lebt er mit seiner Familie in Caputh, fährt aber jeden Tag nach Berlin zur Arbeit. Dann steht plötzlich die Rote Armee vor Caputh. Da sie SS in dem Örtchen vermutet, droht sie, es unter Beschuss zu nehmen. Wolff, des Russischen als Einziger mächtig, überzeugt den sowjetischen Kommandanten, dass sich keine SS in Caputh versteckt hält - und rettet damit etliche Leben. Später wird er das einem Freund gegenüber »die mutigste Tat« seines Lebens nennen. Die Rote Armee setzt ihn als ersten Nachkriegsbürgermeister Capuths ein. Nach drei Monaten jedoch zieht die Familie wieder nach Berlin, wo er sich ganz seiner Bücherei widmet. Er holt die verbotenen Bände aus dem Keller und organisiert seine berühmten Leseabende: Döblin, Babel, Sartre, Kafka. 1948 baut er mit seinem Freund Peter Suhrkamp den Suhrkamp Verlag in Frankfurt am Main auf, dessen Geschäfte er bis 1955 leitet. Anschließend kehrt er zurück nach Friedenau, wo sich in seiner Bücherei zahlreiche Schriftsteller einfinden: Uwe Johnson, Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger, Volker von Törne, Max Frisch und viele mehr. 1963 gründet er einen eigenen kleinen Verlag: die »Friedenauer Presse«. Man könnte sagen, dass es mit Katharina Wagenbach-Wolffs Namen wie mit jenen Armbändern ist, in die man wertvolle Anhänger flicht. Nach dem Abitur macht sie eine Verlagslehre bei den »Frankfurter Heften«, lernt das Handwerk von der Pieke auf. Schon in der Berufsschule trifft sie Klaus Wagenbach, damals noch Lehrling bei Suhrkamp und S. Fischer. Kaum vierundzwanzig, heiratet sie ihn, bekommt kurz nacheinander zwei Töchter. Nun heißt sie Katharina Wagenbach. Die Wagenbachs gehen 1964, die dritte Tochter ist schon auf der Welt, nach Berlin, um selbst einen Verlag zu gründen. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Der Verlag ist in drei Räumen ihrer Acht-Zimmer-Wohnung untergebracht. Er lektoriert, sie ist für Werbung, Vertrieb und alles sonst zuständig. Der Verlag Klaus Wagenbach, der sich politisch sehr exponiert, mausert sich zum bundesrepublikanischen Skandal. Er verlegt Wolf Biermann, Rudi Dutschke, Pier Paolo Pasolini, Stephan Hermlin, Erich Fried und - das Manifest der RAF. Wagenbachs Bemühen, in großem Maße auch Literatur aus der DDR zu veröffentlichen, scheitert. Nach dem Erscheinen von Biermanns »Die Drahtharfe« und seiner Weigerung, mit dem Nachdruck nicht fortzufahren, storniert die DDR sämtliche Projekte mit seinem Verlag. Die Einreise in die DDR wird ihm untersagt, 1967 folgt auch ein Durchreiseverbot. Für Katharina Wagenbach geht dieser Lebensabschnitt 1980 zu Ende, mit der Scheidung. Erst danach wird sie ihrem Namen wieder den Mädchennamen Wolff hinzufügen. Sie wird Katharina Wagenbach-Wolff werden und dies als Verpflichtung empfinden. »Ich liebte Kletten und Brennnesseln, / Aber am meisten die silberne Weide. /Und sie, die dankbare, lebte mit mir /Das ganze Leben. Ihre Zweige wehen mir /Als Träume in die schlaflos langen Nächte ...« Zeilen aus einem Gedicht von Anna Achmatowa. Katharina Wagenbach-Wolff mag diese Zeilen sehr. Ich habe sie nicht gefragt, ob auch ihre Nächte schlaflos lang sind. Aber durch ihre Nächte weht ihr Leben als Traum: die Literatur und Russland. Ihr Vater habe nie viel von Russland erzählt, sagt sie, er habe nicht jammern wollen. Sie habe ihm das hoch angerechnet. Und doch oder gerade deshalb hat Russland, haben die Wurzeln nach ihr gegriffen. Oft ist sie in das Land gereist, das ihr viel zu groß erscheint. In Antiquariaten trieb sie Bücher auf, die ihr Urgroßvater verlegte: viele Kinderbücher darunter und Wladimir Dahls vierbändiges Ethnologisches Wörterbuch, mit dem auch der Übersetzer Peter Urban arbeitet. Fragt man sie, ob sie sich als Deutsche oder Russin fühlt, sagt sie knapp: »Ich habe einen deutschen Pass.« Die russische Sprache sei ihr nahe, weil sie mit der Gefühlslage der Menschen einhergehe. Sie selbst könne, wenn sie Kinder, Musikstücke, Bilder beschreibe, dies am besten auf Russisch ausdrücken. In Deutschland hat sich Katharina Wolff lange nicht geborgen, beschützt gefühlt. Es war ein anderes Deutschland als heute. Und Russland ist heute ein anderes als jenes, das ihre Familie einst verließ. Sie hält es für ein »großes Unglück«, dass die Revolution 1917 gerade »in diesem großen, aus unterschiedlichen Kulturen bestehenden Land« stattfand. Ein Unglück für Russland und die Welt. Mehr als 60 Jahre nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg ist Russland dessen Verlierer. Und Deutsche sagen immer noch »der Russe«. »Dabei ist das russische ein so enorm begabtes Volk«, weiß Katharina Wagenbach-Wolff. Dies der eine, immer wiederkehrende Satz...

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