Bürgerbus von Gransee soll Nachahmer finden

Verkehrsverbund gab Informationsbroschüre für Betreiber, Fahrer und Fahrgäste heraus

  • Kerstin Petrat
  • Lesedauer: 4 Min.
In den ländlichen Gebieten Brandenburgs kommen die Bürger ohne Auto kaum vom Fleck. Buslinien werden gestrichen, denn die öffentliche Hand kann sie nicht mehr tragen. Vor allem Rentner haben vielfach kein Auto, müssen aber zum Beispiel zum Arzt. Nicht immer kann der Nachbar sie kutschieren. Was also tun? In und um Gransee organisierten Betroffene einen so genannten Bürgerbus - einen Kleinbus, den ehrenamtliche Fahrer steuern. Beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), der bei dem Projekt von Bürgerbus-Verein und Oberhavel Verkehrsgesellschaft mbH mit im Boot sitzt, gab es inzwischen eine Menge Anfragen von Leuten, die bei sich auch einen Bürgerbus haben wollen. Es meldeten sich auch Interessenten außerhalb Brandenburgs. Der Verkehrsverbund gab nun die 51 Seiten starke Broschüre »BürgerBus« heraus, die man gegen eine Schutzgebühr von 5 Euro beziehen kann. Das Handbuch richtet sich an Betreiber, Fahrer und Fahrgäste. In Gransee fährt der Bürgerbus seit April 2005 täglich fünf Touren auf der Linie 835 über die eingemeindeten Dörfer im Umland der Stadt. Ein großer Linienbus mit angestellten Berufsfahrern hatte sich hier nicht mehr rentiert. Bis April 2005 waren deshalb auf der Linie nur noch Schulbusse unterwegs. Die Fahrgäste des Bürgerbusses zahlen den üblichen Tarif. Im September ist mit Gertrud Berliner der 1000. Fahrgast befördert worden. Die Broschüre »BürgerBus« führt durch den Dschungel der Bürokratie und schneidet dabei Themen von Linienführung bis Versicherungen an. Auch das Thema Öffentlichkeitsarbeit kommt nicht zu kurz. Eine eigene Internetseite wird empfohlen, um Fahrpläne zu veröffentlichen. Um die ehrenamtlichen Fahrer bei der Stange zu halten, sollte sich der Vereinsvorstand um regelmäßige, lobende Berichterstattung in der Lokalpresse bemühen, so einer der vielen Ratschläge. Auch auf die Möglichkeit von Fanartikeln wird hingewiesen. Man müsse sich dabei nicht auf Kaffeetassen und Kugelschreiber beschränken. Ein Bürgerbus-Verein in Nordrhein-Westfalen verkaufe Windjacken mit einem eigenen Logo, die ursprünglich nur für die Fahrer angeschafft wurden. Nicht zufällig warnt der Verkehrsverbund vor einem Alleingang ohne Absprache oder gar gegen den Willen des örtlichen Nahverkehrsbetriebes. Der VBB ist ja ein Zusammenschluss solcher Betriebe. Aber es gibt auch sachliche Gründe. Wenn ein Verein sich nicht an einen Verkehrsbetrieb anschließt, muss ein Vorstandsmitglied eine Prüfung bei der Industrie- und Handelkammer ablegen. Die zugehörige Lehrveranstaltung dauert immerhin 60 Stunden und kostet 500 Euro. Nicht von ungefähr fahre einzig ein Bürgerbus im niedersächsischen Rehburg-Loccum nicht in Kooperation mit einem Verkehrsunternehmen. Der VBB rät außerdem indirekt davon ab, Ein-Euro-Jobber als Fahrer zu beschäftigen. Man könne solche Kräfte in der Regel nur sechs Monate lang einsetzen und müsse fürchten, von den Arbeitsagenturen »zwangsrekrutiertes« Personal zu bekommen, das nicht motiviert sei. Während es in Westdeutschland schon rund 100 Bürgerbusse gibt, stand der Bürgerbus in Gransee bei seiner Gründung in Ostdeutschland allein da. Es gab zwar ab 1995 schon einen Bürgerbus in Motzlow (Mecklenburg-Vorpommern), der neun Gemeinden anfuhr. Der Betrieb musste jedoch 1999 eingestellt werden. In Großbritannien begannen erste Projekte mit ehrenamtlichen Busfahrern 1939. Als Geburtsjahr der Bürgerbusse gilt aber 1966. Damals machte ein entsprechendes Vorhaben im englischen Birmingham Aufsehen. 1977 startete das Niederländische Verkehrsministerium in fünf ausgewählten ländlichen Gebieten ein Pilotprojekt mit ehrenamtlichen Fahrern. Der erste Bürgerbus der BRD verkehrte 1985 in den westfälischen Gemeinden Heek und Legden. Heute sind 60 der 100 deutschen Bürgerbusse in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Für Bürgerbusse eignen sich Fahrzeuge mit bis zu neun Sitzplätzen und höchstens 3,5 Tonnen Gewicht, die mit einem Führerschein der Klasse B gesteuert werden dürfen. Fahrer benötigen einen Personenbeförderungsschein. Diesen erhalten 21- bis 60-Jährige, wenn sie mindestens zwei Jahre lang einen Führerschein haben, Führungszeugnis und Lichtbild vorlegen, sich von Arzt und Augenarzt untersuchen ließen, einen Reaktionstest bestanden und einen Erste-Hilfe-Kurs besucht haben. Bürgerbusse lohnen sich in Gebieten mit 8000 bis 10 000 Einwohnern. Bürgerbusse über Kreisgrenzen hinweg sind in der Mark schwierig zu realisieren. Die Linie für einen Bürgerbus sollte maximal 40 Kilometer lang sein. Der Bürgerbus in Gransee benötig pro Jahr einen Zuschuss zwischen 15 000 und 20 000 Euro.
Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, Hardenbergplatz 2 in 10623 Berlin, Tel.: (030) 254 14-0
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