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Wird die Linie 88 ausgebremst?

Märkisch-Oderland kürzt eventuell den Zuschuss für die Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Straßenbahn saust durch ein Waldstück, rollt eine Anhöhe hi-nauf, schlängelt sich durch zwei leichte Kurven. Die Fahrerin bremst und bringt die Bahn an der Haltestelle Berghof-Weiche zum Stehen. Hier beginnt der Rüdersdorfer Abschnitt der Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn (SRS), hier müsste man in einigen Jahren in den Bus umsteigen, wenn tatsächlich der Plan verwirklicht wird, den etwa vier Kilometer langen Streckenabschnitt stillzulegen. Es bestehen berechtigte Zweifel, ob die SRS GmbH sich mit den übrigen zehn Kilometern bis zum S-Bahnhof Berlin-Friedrichshagen halten kann. Wenn man Rüdersdorf von der Schiene abkoppelt, steht die traditionsreiche Linie 88 im Südosten Berlins insgesamt zur Diskussion, fürchtet Rüdersdorfs Bürgermeister André Schaller (CDU). Hintergrund ist die Absicht im Kreis Märkisch-Oderland, ab 2011 am jährlichen Zuschuss von rund 400 000 Euro zu sparen. So viel zahlt auch der Kreis Oder-Spree. Die Kommunen Schöneiche und Rüdersdorf geben jeweils etwa 200 000 Euro. Das ist vertraglich bis ins Jahr 2010 garantiert. Offen ist, was danach wird. Die Zuschüsse decken etwa die Hälfte der Kosten. Die Gemeinde Schöneiche sammelt nun Unterschriften, ebenso der Bahnkundenverband. Auch in Rüdersdorf gehen die Listen he-rum. Um Unterstützung wird auf Zetteln gebeten, die in den Fenstern aller Straßenbahn-Wagen kleben. In einer Bahn baumelt eine Liste an einer Haltestange - unterzeichnet haben darauf nicht nur Bürger aus Schöneiche und Rüdersdorf, sondern auch aus Grünheide, Woltersdorf und Berlin. Viele Berliner sind in der Vergangenheit rausgezogen und pendeln mit der 88 zur Arbeit. Übergeben werden sollen die Unterschriften morgen. Dann sitzt der Kreistag von Märkisch-Oderland zusammen. Die SRS steht allerdings nicht auf der Tagesordnung, sagt Hans-Georg von der Marwitz, CDU-Fraktionschef und Vorsitzender des in der Sache federführenden Wirtschaftsausschusses. Ein Gutachten zu möglichen oder nicht möglichen Einsparungen bei der Bahn liegt vor. Bevor die Abgeordneten entscheiden, wollen sie aber weitere Zahlen. Es sei noch nichts entschieden, versichert von der Marwitz. Dass die Bundeshauptstadt keinen Cent dazu zahlt, obwohl die Linie 88 dort beginnt, findet Lutz Amsel erwähnenswert. Doch der Chef der Linksfraktion im Kreistag Märkisch-Oderland macht sich da keine Illusionen. Über die extreme Haushaltsnotlage Berlins weiß er Bescheid. Aber darüber, ob Oder-Spree nicht mehr geben sollte als das mit 16 Millionen Euro verschuldete Märkisch-Oderland, sollte man doch zumindest einmal verhandeln, meint Amsel. Immerhin befinden sich zwei Drittel der Strecke im Oder-Spree-Gebiet. Dass die Abgeordneten über Einsparungen nachdenken, hält der Rüdersdorfer Bürgermeister Schaller für »legitim«. Doch Schaller schlussfolgert aus dem Gutachten, dass ein Votum für den Erhalt der Straßenbahn schon jetzt erfolgen könnte. Zwar droht eine Stilllegung frühestens 2011. Trotzdem drängt die Zeit. Wenn die Straßenbahn weiter bis zur bisherigen Endhaltestelle Alt-Rüdersdorf fahren soll, wäre das Gleisbett hinter Schöneiche zu erneuern. Fördermittel stehen bereit. Märkisch-Oderland muss kofinanzieren und vor allem sagen, ob es der Straßenbahn auch in ferner Zukunft unter die Arme greift. Sonst lohnt sich der Sanierungsaufwand nicht mehr. Bei einer Stilllegung könnte das Land Brandenburg ohnehin Fördermittel zurück verlangen, denn die SRS GmbH investierte seit dem Jahre 2001 erhebliche Mittel, ließ zum Beispiel die Oberleitung neu machen, wie Geschäftsführer Detlef Bröcker erläutert. Erst Millionen reinstecken und dann abwickeln, diesen Unsinn möchte der Linkspartei-Politiker Amsel nicht mitmachen. Nach bisherigem Stand würden er und seine Genossen für die SRS stimmen. Die Entscheidung dürfe nicht allein unter finanziellen Gesichtspunkten fallen. Auch die Tatsache, dass die Bahn ein ökologisch sinnvolles Verkehrsmittel sei, müsse eine Rolle spielen. Amsel hat das Gefühl, dass die Fraktionen von SPD und Bauernverband ähnlich denken. Zusammen haben die drei Kooperationspartner die Mehrheit. Eine Garantie für die Bahn vermag Amsel aber nicht zu geben.
Eine mit Benzol angetriebene Bahn verkehrte ab dem 28. August 1910 stündlich zwischen Friedrichshagen und Schöneiche. 1912 wurde die Bahn nach Kalkberge (heute Rüdersdorf) verlängert und 1914 elektrifiziert. 1977 ersetzte eine zwei Kilometer lange Neubaustrecke nach Alt-Rüdersdorf das alte Streckenende zum Marktplatz, das dem Kalkabbau geopfert wurde. Auf der Linie 88 verkehrten von 1980 bis 1990 Fahrzeuge mit dem Baujahr 1929 und älter. In der Werkstatt bastelte man so aufwändig an den Gefährten, dass dies fast einem Neubau gleichkam. Trotzdem entgleisten die Bahnen immer wieder. Auch heute sind museumsreife Bahnen im Einsatz. Die SRS befördert an einem Werktag 3400 Fahrgäste im 20-Minuten-Takt. 70 Prozent der SRS GmbH gehören einer Connex-Tochterfirma.

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