Das Kleidungsstück

»Das Leben der Anderen« - ein Film über die DDR ohne Klamauk

Wer hat nur diese Jacke erfunden? Das grau-grüne Teil mit zwei blanken Metallknöpfen auf der Vorderpasse, die toten Augen ähneln. Dieses hässliche Kleidungsstück umspannt den ohnehin schmalen Körper des Schauspielers Ulrich Mühe wie eine Fessel. Und sie prägt sich so ein, dass man sie am Ende des Films immer noch erkennt, obwohl der Mann, der sie trägt, dann vorwiegend von hinten gezeigt wird. Dann ist sie nur noch erbärmlich. Aber sie ist nicht nur ein Kleidungsstück, vielmehr ein charakterisierendes Requisit für das »Damaskus«, das dem Gerd Wiesler, seines Zeichens Hauptmann der Staatssicherheit in der DDR, widerfahren wird. Man könnte es sich leicht machen. Die Kostümbildnerin des Films »Das Leben der Anderen« hat einen Namen: Gabriele Binder. Ob sie die Jacke selbst entwarf oder aber aus alten Beständen auswählte, ist nicht wichtig. Aber das »Ob« und »Oder« wohnt dem Film generell inne, obwohl er auf den ersten Blick so eindeutig erscheint. Florian Henckel von Donnersmarck, der »Das Leben der anderen« geschrieben und inszeniert hat, ist ein Newcomer, der in Leningrad und Oxford studiert hat und seitdem für seine Kurzfilme mannigfache Preise abräumte. Fünf Jahre hat er sich mit dem Stoff für seinen ersten abendfüllenden Spielfilm beschäftigt. Und für seine Belesenheit, Begabung und Fähigkeit, Filme zu drehen, ist dieses Kinostück ein Beweis. Bereits im Januar bekam er vier bayerische Filmpreise. Von Donnersmarck hat einen Puristen entworfen, einen lupenreinen Hauptmann der Staatssicherheit, der an der entsprechenden Hochschule studiert hat und dort auch lehrt, bis er persönlich einen Fall übernimmt, der die totale Überwachung eines Schriftstellers erfordert. Wenn Ulrich Mühe als Gerd Wiesler die Szene betritt, trägt er bei der Vernehmung eines »Zugeführten«, den er in die Mangel nimmt, um in der nächsten Szene die Ergebnisse des Verhörs als Lehrmeinung an die Studenten weiterzugeben, eine korrekte Uniform. Dann wird er einen mausgrauen Anzug anziehen, um im Theater den Dramatiker Georg Dreyman ins Visier zu nehmen, wie auch die Schauspielerin Christa-Maria Sieland, die Lebensgefährtin des Autors. Bei der dritten Verwandlung sitzt er unter Kopfhörern in eben der Bundjacke unterm Dach, umgeben von modernstem Abhörgerät. Ulrich Mühe, der so meisterlich ein Pokerface beherrscht, hat sich die Figur, die er spielt, mit Hilfe dieser Kostümierungen erarbeitet. Keine Regung im Gesicht. Kein Zucken der Augenbrauen. Geht er einen Schritt, ist es, als trüge er ein eisernes Korsett. Immer war sein Gerd Wiesler der Klassenprimus, immer der Erste, immer der Beste. So schafft sich der Makellose Feinde, beispielsweise in Gestalt des Oberstleutnants Anton Grubitz, den Ulrich Tukur spielt. Beide, angeblich Freunde, Hochschulabsolventen. Grubitz, der Zyniker, weiß, dass seine Stunde der Rache noch einmal kommen wird. Und sie kommt. In diesem Fall nähert sich die Versuchung nicht in Gestalt einer Schlange, sondern eines anderen lauteren Charakters, nämlich dem des zu überwachenden Georg Dreyman, mit den schönen braunen Augen des Schauspielers Sebastian Koch. Der spielt den so typischen DDR-Intellektuellen, überzeugt von der eigenen Wichtigkeit, richtig gut. Obwohl nie ausgesprochen und nur durch mehrere neutrale Begegnungen erahnbar, erfahren die Gefühle Wieslers eine Wandlung. Schon in der Theateraufführung hat ihn Christa-Maria Wieland (Martina Gedeck) fasziniert. Als Überwachungsspezialist wird er Zeuge, wie Minister Hempf, (eine treffliche Studie von Thomas Thieme), seine Machtposition schamlos ausnutzt und sich die Schauspielerin zu Willen macht. Dann aber geschieht etwas, was ihn buchstäblich erzittern lässt. Christa-Maria begegnet ihm in einer Eckkneipe, in der er, ganz gegen seine Gewohnheit, trinkt und sie davor warnt, ihre Verabredung mit dem Minister wahrzunehmen, worauf sie erwidert: »Sie sind ein guter Mensch.« Von Donnersmarck ist ein guter Bibelkenner. Spätestens hier wird klar, dass er dort geschilderte Gleichnisse ins Heute übertrug. Das »Im Anfang war das Wort« des Johannes-Evangeliums nutzt er ein weiteres Mal, wenn er Wiesler mit einem Brecht-Band aus dem Hause Dreyman zeigt und ihn laut die »Erinnerung an die Marie A.« zitieren lässt. Es ist gewiss kein Zufall, dass sich die Namen der so Gepriesenen gleichen. Der Regisseur siedelte die Handlung in Räumen und an Orten an, die der Hauptstädter kennt. Der Fernsehturm ist im Bild, die Volksbühne, das Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße, die Bauten der fünfziger Jahre in der Karl-Marx-Allee und die Buchhandlung darin. Mit dokumentarischer Akribie wurde die Szenerie gestaltet. Was sich da im Innern des Hauptmanns vollzieht, vergleicht der Filmregisseur mit der Wandlung vom Saulus zum Paulus, was sich, der Apostelgeschichte nach, in Damaskus vollzog. Bekanntlich war dieser Saulus ein Christenhasser, bis ihn der Herr buchstäblich mit Blindheit schlug und nach drei Tagen, mit neuem Sehvermögen ausgestattet, zu einem anderen Menschen machte. Das wird im Film auch ordentlich zu Ende gedacht, inszeniert und gespielt. Da scheint vieles überzeugend, überrasch...

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