Die Tänzerin mit der Maske

Was wusste, was tat Oda Schottmüller? Eine neue Monographie bietet viele unbekannte Details

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 5 Min.
»Dieser Tod passt zu mir ...«, hieß ein 1999 erschienenes Buch, das Geertje Andresen gemeinsam mit dem Berliner Historiker Hans Coppi, Sohn des von den Nazis ermordeten Ehepaars Hans und Hilde Coppi, verfasste. Dieser Tage präsentierte die Theaterwissenschaftlerin im Berliner Brechthaus eine neuen Arbeit, mit der sie das umfassende Thema »Rote Kapelle« wieder aufgenommen hat - diesmal allerdings konzentriert auf eine Person: die Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller. Bei der Erarbeitung einer Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand über diese antifaschistische Widerstandsgruppe waren ihr Kassiber einer Frau in die Hände gefallen, »deren Namen ich nie zuvor gehört hatte«, wie sie gesteht. Beeindruckt »von der Aufrichtigkeit und Gradlinigkeit dieser Berichte« wollte Geertje Andresen mehr wissen als das, was in diesen Kassibern über einen »skandalösen Prozess vor dem Reichskriegsgericht, in dem es nie um die Aufklärung wahrer Sachverhalte gegangen ist«, zu erkennen war. Die »Tänzerin mit der Maske« hatten bereits eine 1983 in der DDR erschienene Monographie und ein DEFA-Film zu würdigen gewusst - als mutiges Mitglied der so genannten Roten Kapelle. Aus ihrem Berliner Atelier seien Funksprüche nach Moskau gesendet worden. Unter dieser Beschuldigung war sie am 16. September 1942 verhaftet worden. Am 12. September hatte die Gestapo bereits Hans und Hilde Coppi, Kurt und Elisabeth Schuhmacher, Adam und Greta Kuckhoff sowie etwa 120 weitere Personen festgenommen. Oda wurde der »Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und wegen Feindbegünstigung« angeklagt, am 22. Dezember vom Reichskriegsgericht schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Die umfangreichen Recherchen der Geertje Andresen wurden durch einen Glücksfall seltener Art außerordentlich begünstigt: Auf einem Berliner Flohmarkt entdeckten die Sammler Susanne und Dieter Karl den Nachlass Oda Schottmüllers: Schulbücher, Verträge, Arbeitsbücher, Testament, einen handschriftlichen Abschiedsbrief an die Mutter und eine Fülle von Tanzfotos und Abbildungen ihrer Skulpturen. Sie erwarben den gesamten Nachlass und stellten ihn dem Deutschen Tanzarchiv in Köln leihweise zur Verfügung. Geertje Andresen hat aus alldem nun ein Gesamtwerk gemacht, das dem Leser ein faszinierendes Bild der Jahre 1933 bis 1945 und der Oda Schottmüller vermittelt. Ihre Kindheit war überschattet durch die Krankheit der Mutter und den frühen Tod des Vaters. Von einem »dramatischen Lebensgefühl«, sprach Geertje Andresen bei der Vorstellung des Buches. Sie schildert sie als »sensibel«, aber auch »labil«, immer »auf der Suche nach dem Sinn des Lebens«. Den fand sie schließlich im Tanz, exakter im Ausdruckstanz, und in der Bildhauerei. Vor allem mit dem Ausdruckstanz bewegte sie sich nach der Machtübertragung an die Nazis immer hart an der Grenze des Verdammnisurteils »Entartung«. Sie arrangierte sich mit dem Regime, nicht zuletzt auch aus existenziellen Gründen. Für sie trifft zu, was Hans Coppi in der sachkundigen Einführung generell zum Thema »Künstler in der "Roten Kapelle"« schreibt: »Im Spannungsfeld von Anpassung und Selbstbehauptung, von Konformität und Nonkonformität, lebten sie die Doppelexistenz als Künstler im Widerstand und allen damit verbundenen Paradoxien.« Ausführlich wird dieser Weg nachgezeichnet. Ein zweiter Strang der Darstellung im Buch führt zu den Frauen und Männern, die als »Rote Kapelle« dem Regime widerstanden, konspirative Zirkel bildeten und schließlich Informationen über die deutschen Kriegs- und Überfallpläne auf die Sowjetunion an Moskau sandten. Vieles davon ist bekannt, auch die Namen der Beteiligten. Oda Schottmüller war jenen durch zahlreiche Freundschaften, vor allem mit dem Kommunisten Kurt Schuhmacher, vielfach verbunden. Sie genoss ihr Vertrauen, ohne in deren Handlungen eingebunden zu sein. In der Anklage war Oda Schottmüller vorgeworfen worden, Hans Coppi habe um die Jahreswende 1941/42 mehrfach Funkversuche auch aus ihrem Atelier unternommen, »um endgültig die Verbindung mit Moskau aufzunehmen«. Sie habe ihn dabei unterstützt. Ob dies tatsächlich so war, »wann dies geschehen sein soll, ob sie anwesend war oder überhaupt davon wusste, lässt sich heute nicht mehr klären«, konstatiert die Autorin. Was Coppi, »der während der Verhöre schwer gefoltert wurde, tatsächlich ausgesagt hat, wissen wir nicht, weil auch diese Verhörprotokolle nicht erhalten sind«, überdies müsse »der Wahrheitsgehalt einer unter Folter erpressten Aussage erheblich angezweifelt werden«. Dies sei heute nicht mehr überprüfbar. Als Oda Schottmüller am 16. September verhaftet wurde, war bei der Durchsuchung des Ateliers jedenfalls kein Funkgerät gefunden worden. Der Komponist Kurt Schwaen, der 1935 wegen illegaler Tätigkeit für die KPD inhaftiert war und nach der Entlassung aus dem Zuchthaushaft lange Zeit für sie als Korrepetitor gearbeitet hat, wird hier mit der Bemerkung zitiert, ihre Ablehnung des Regimes habe weniger einem politischen Bewusstsein, sondern mehr der Intuition entsprochen. Wer allerdings die von Geertje Andresen gefundenen Kassiber aus der Zeit nach ihrer Verurteilung liest, darunter den Hohn und Spott ausgießenden Bericht über das Verfahren vor dem Reichskriegsgericht, die »bezahlten Kreaturen«, die dort »Recht« sprachen, lernt eine starke Frau kennen, umgetrieben von der Sorge, vor Gericht noch einmal diesem »Dunstkreis von Rohheit + Bestialität ausgeliefert zu sein«. »Ich habe nichts mehr zu verlieren«, schreibt sie gefasst an anderer Stelle. Und in ihrem letzten Brief an die Mutter heißt es: »Sei tapfer, denk daran, dass du wieder eine gute Zeit erleben wirst.« Als siebte von insgesamt 16 Regimegegnern wird Oda Schottmüller am 5. August 1943 um 19.18 Uhr in Plötzensee enthauptet. Für den Massenmord benötigte der Henker 45 Minuten. Ein Grab gibt es für keinen von ihnen«, lautet der letzte Satz des Buches. Gertje Andresen: Oda Schottmüller. Tänzerin, Bildhauerin, Nazigegnerin 1905-1943. Lucas Verlag, Berlin. 350 S., geb., 19,80 EUR. Die mit der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand gestaltete Ausstellung »... nicht klein beigeben« ist im Museum des deutschen Tanzarchivs in Köln noch bis zum 7. Mai zu sehen.
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