Kein guter, unschuldiger Vater

Eine Täter-Biografie - recherchiert von der Tochter

  • Siegfried Grundmann
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Am Beginn stand die Überzeugung, dass der 1952 vom Landgericht Greifswald zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilte Vater, Bruno Sattler, unschuldig und »Opfer eines verbrecherischen Regimes geworden« sei. Das Urteil eines DDR-Gerichts konnte doch nicht »rechtsstaatlich« gewesen sein. Die Mutter hatte ein Übriges getan, um diesen Glauben bei der Tochter zu nähren. Überzeugt von der Unschuld des Vaters, stellte Beate Niemann 1991 einen Antrag auf Rehabilitation bei der Staatsanwaltschaft Rostock. Zwei Jahre später kam die schockierende Antwort. Der zuständige Staatsanwalt - ein Anwalt aus der alten BRD - wagte zu behaupten, der Schuldspruch sei »nicht rechtsstaatswidrig« gewesen. Dieser zunächst mit Empörung aufgenommene Bescheid wurde zum Auslöser intensiver Recherchen, deren Ergebnis die Erkenntnis war: Der Vater war tatsächlich »schuldig an ungeheuren Kriegsverbrechen«, mitschuldig an den Exzessen der »Einsatzgruppe B« in der Sowjetunion, beteiligt an der Vergasung von 8000 Juden, mitverantwortlich für die Liquidation von Partisanen und Zivilisten im besetzten Jugoslawien. Der Tochter wurde klar, dass Bruno Sattler ein Mörder war. Der Weg zu dieser Einsicht glich einem Weg »durch die Hölle«; ein Schock folgte dem anderen. »Was mein Vater zu verantworten hat, ist außerhalb meiner Vorstellungswelt.« »Schrecken und Entsetzen lähmen mich.« Die 1942 Geborene hat sich nicht versteckt hinter der »Gnade der späten Geburt«. Zuerst Liebe, dann gnadenloser Hass. Daraus dürfte zu erklären sein, dass Beate Niemann dem Vater zusätzlich manches anlastet, was sie nicht belegen kann. In der Darstellung der Tätigkeit ihres Vaters als Leiter des Marxismus-(d.h. SPD)Referats der Gestapo in den Jahren 1933 bis 1939 dominieren nicht gesicherte Behauptungen und offenkundige Verwechslungen mit dem Beamten Karl Giering aus dem Kommunismus-Referat. Und wieso war Sattler »der V-Leute-Spezialist in der Gestapo«? Es stimmt allerdings, dass er mit Geschick und Erfolg V-Leute in der SPD eingeschmuggelt hatte, um deren Apparat vollends zu zerschlagen. Das umfangreiche, vom MfS vor allem in den 60er Jahren zusammengetragene Material zur Arbeitsweise des von Sattler geleiteten Marxismus-Referats 1933 bis 1939 wurde von Beate Niemann nicht verarbeitet. Die Beziehungen zwischen dem Marxismus- und dem Kommunismus-Referat werden eher vernebelt denn aufgeklärt. Namen wie Karl Giering oder Kurt Geißler, Leiter des Kommunismus-Referats, sucht man vergebens. Beate Niemann behauptet, in der »Anklageschrift« aus dem Jahre 1950 sei es hauptsächlich um die Spitzel gegangen, die der Vater in die SPD eingeschleust habe. Aber das war nicht die eigentliche Anklage, sondern ein erster Entwurf. Tatsache aber ist auch, dass die ursprüngliche Absicht der DDR-Behörden war, den Prozess gegen ihn zu nutzen, um anhand der V-Leute in der SPD zu beweisen, dass »die gesamte Emigration der führenden Sozialdemokraten geradezu ein Nährboden für dieses Gelichter war«; dies fand ich in den Akten. Das Urteil stellte dann aber vor allem auf die Kriegsverbrechen in Jugoslawien ab. Bruno Sattler wurde am 3. Juli 1952 für genau die Taten verurteilt, auf die seine Tochter 50 Jahre später stieß. Wie schon bemerkt, den Anspruch, nur Beweisbares zu verwenden, erfüllt die Autorin nicht. Höhepunkt der Spekulationen ist ihre Vermutung, das MfS habe ihren Vater am 15. Oktober 1972 heimlich und ohne Gerichtsurteil hingerichtet, d. h. ermordet. Beschuldigungen gehen jedoch nicht nur an die Adresse von DDR-Behörden, auch an die Bundesrepublik. Man habe die Familie Sattler in beiden deutschen Staaten nicht gemocht, liest man hier. Gewiss, Vermutungen und Spekulationen sind Bestandteil jeder Forschung, aber nicht, wenn es sich um justiziable Vorgänge handelt. So wurde letztlich aus dem Täter doch noch ein Opfer gemacht und das Anliegen des Buches verkehrt. Trotzdem verdient Respekt, wie Beate Niemann »Abschied vom unschuldigen Vater« nimmt, von dem es »kein Wort des Bedauerns, des Schuldbewusstseins, geschweige denn der Reue« gegeben habe. Sie wirft ihm vor, er »hätte sich weigern können«, er und seine Familie hätten keine Repressalien befürchten müssen. Was er tat, hat er freiwillig und aus Überzeugung getan. Ohne dies ausdrücklich zu betonen, nimmt sie damit auch Abschied von der Mutter, die nur Tränen für den »unschuldig Verurteilten« hatte, aber nie für die Opfer ihres Mannes. Der Schluss des Buches ist somit auch eine Anklage gegen jene, die behaupten, sie hätten »nichts gewusst, es sei gan...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.

- Anzeige -
- Anzeige -