- Politik
- Neue Dokumente über Richard Sorge
»Wir sind und bleiben Ihre alten und treuen Mitarbeiter«
Er war auch Ramsay, Fleuris, Leonard, Inson und Ika Sonter. Sein bürgerlicher Name lautete Richard Sorge (1895-1944). Im Auftrage der Sowjetunion hat er in den 30er Jahren in Japan ein nachrichtendienstliches Netz aufgebaut. Seit seinem tragischen Tod 1941 ranken sich etliche Legenden, Spekulationen, Rätsel um ihn. 45 bisher unveröffentlichte Dokumente über ihn veröffentlichte unlängst die Moskauer historische Zeitschrift »Novaja i novejschaja istorija« (H. 2/2000). Sie wurden im Fonds der Hauptverwaltung Aufklärung der Roten Armee (GRU) entdeckt, entstammen dem Kominternarchiv sowie dem russischen Staatsarchiv zur sozial-politischen Geschichte (RGASPI). Schließlich entdeckte der japanische Geschichtswissenschaftler und Autor Watabe Tomija auch im Archiv der japanischen Spionageabwehr bisher unbekannte Akten, die das Bild über Richard Sorge vervollständigen.
Ab 1924 arbeitete der deutsche Journalist und Kommunist für die Komintern, in deren Informationsabteilung bzw. in der Abeilung Agitation und Propaganda. 1927 entsandte ihn die KI nach Skandinavien und 1928 nach England. Seine Auftraggeber damals waren Ossip Pjatnizki, Leiter der Internationalen Abteilung der Komintern, und KI-Generalsekretär Dmitri Manuilski. Sorge habe »kein Sitzfleisch und keine Muse« für Schreibtischarbeit, schreibt Pjatnizki im April 1927 »Er drängt, so schnell wie möglich rauszufahren«. Man tue sich jedoch schwer mit der Entscheidung, »ihn zur selbständigen Arbeit zu entsenden«, habe er doch dafür »nahezu keinerlei Erfahrungen.« Nachdem die Entscheidung dann doch im Sinne von Sorge getroffen worden war, unterstützte dieser z. B. die schwedische KP in der Gewerkschaftsar beit und in der Propaganda. Im Spätherbst 1928 ist er in Deutschland, um der KPD bei der Vorbereitung ihres Parteitages zur Seite zu stehen. Er unterrichtet die »lieben Freunde« in Moskau darüber, dass es ihm indes schwer falle, an Parteiversammlungen teilzunehmen.
Während seines Aufenthaltes in England lenkte seine erste Frau Christina die Aufmerksamkeit des Nachrichtenoffiziers Bassow, Resident der GRU in Deutschland, auf die Fähigkeiten des deutschen Kommunisten. Dieser unterrichtete seinen Chef Jan Bersin. Im September 1929 meldet Bassow »Er ist wirklich sehr ernsthaft entschlossen, die Arbeit bei uns aufzunehmen.« Nach Verweis u. a. auf die russischen, englischen und französischen Sprachkenntnisse Sorges sowie dessen wissenschaftliche Reputation, schlägt er vor, ihn »in China« einzusetzen. Dort könne er unter dem Deckmantel der Tätigkeit für einige deutsche Verlage die nachrichtendienstliche Arbeit aufnehmen. So kam es, dass Bersin am 31. Oktober 1929 Sor ge verpflichtete. Seine Arbeit für die KI war damit beendet.
Von Ende 1929 und bis 1932 wirkte Richard Sorge alias Ramsay in China. Zuvor hatte er in Moskau am 20. Oktober noch eine Parteiüberprüfung über sich ergehen lassen. Sorge gestand »zeitweise Schwankungen«, betonte jedoch, er teile Trotzkis Ansichten nicht, gehöre auch nicht der Fraktion von Ruth Fischer in der KPD an und habe einmal »lediglich mit ihr gestimmt«. Das »Eingeständnis« wurde in der zweiten Hälfte der 30er Jahre von einem anonymen Denunzianten zum Vor wurf umgemodelt, Sorge sei politisch überhaupt nicht ernsthaft überprüft wor den: »Hätte Verbindung zu Trotzkisten. Verdient kein politisches Vertrauen.«
Im Herbst 1932 entscheidet Bersin, dass Ramsay, dem die Spionageabwehr der Nankinger Regierung auf den Fersen ist, unverzüglich China verlassen soll und die Arbeit in Japan aufzunehmen habe. Ursachen für die »chinesischen Sünden«, so resümieren selbstkritisch sowohl Sorge als auch seine Vorgesetzten, seien sorgloses Verhalten gewesen.
In Tokio fasst Sorge schnell Fuß. Er unterrichtet Moskau über wesentliche innen- und vor allem militärpolitische Entscheidungen Japans sowie Deutschlands. Er hat engen Kontakt zum Botschafter und zum Militärattache des »Dritten Reiches« und gelangt derart an manch brisante Information, was Urizki in einer Meldung im Dezember 1936 an den damaligen Volkskommissar Woroschilow besonders zu würdigen weiß.
Ab 1939 glaubt Sorge jedoch, an einen toten Punkt angelangt zu sein, nichts Neues mehr in Erfahrung bringen zu können. In einem ausführlichen Lagebericht vom 4. Juni 1939 empfiehlt er seinen Vorgesetzten, »stellt neue Aufgaben für neue Leute« und »schickt neue Leute«. Der letzte Satz dieses Berichts klingt bereits wie ein vorweggenommener Abschied: »Wir sind und bleiben Ihre alten treuen und disziplinierten Mitarbeiter. Tausend Grüße Ihnen allen, dort in der Heimat.«
Iwan Proskurow, 1940 General und Chef der GRU, befahl daraufhin, über gleichwertigen Ersatz für Sorge nachzudenken. Bevor seine Order ausgeführt werden konnte, war Proskurow als »Volksfeind« verhaftet; im Oktober 1941 wurde er in Kujbyschew auf Befehl des sowjetischen Geheimdienstchefs Berija erschossen. Auch andere Personen, mit denen Sorge zusammengearbeitet bzw. die seinen Weg mitbestimmt hatten, gerieten in den Strudel der Repressalien, so Jan Bersin, jener Chef der GRU, der Sorge in die 4. Verwaltung des Generalstabs der Roten Armee, übernommen hatte, sowie dessen Nachfolger S. Urizki. Vor ein Exekutionskommando des NKWD wurden auch Sorges ehemalige Mitstreiter in China Karl Rimm und Lev Borowitsch sowie Ossip Pjatnizki, in dessen KI-Abteilung Sorge zeitweilig gearbeitet hatte, gestellt.
Richard Sorge alias Inson hatte unter Vorgesetzten gedient, die als »Volksfeinde« gebrandmarkt wurden. Das machte ihn verdächtig. Der kurzzeitige Chef der 4. Abteilung des Generalstabs der Roten Armee, Generalmajor Kolganow, notiert: »Wenn sich die Volksfeinde an ausländische Nachrichtendienste verkauft haben, muss man sich fragen, ob sie nicht auch Inson verraten haben.« Da Sorge in jener Zeit seine Vorgesetzten mehrfach bittet, in die UdSSR zurückkehren zu können - er ist müde, das Doppelleben hat seine Kräfte aufgezehrt - schlussfolgert dieser nun, dass der deutsche und japanische Geheimdienst den Kundschafter umgedreht hätten und ihn als »ihren Mann in Moskau« installieren wollten.
Kolgonows Schreiben ist vom 11. August 1941 datiert, war also wenige Wochen nach dem Überfall Deutschlands auf die UdSSR verfasst worden, als sich die wichtigsten Informationen Sorges blutig bestätigt hatten. Bereits am 30. Mai hatte Sorge in Funksprüchen gewarnt - und nochmals eindringlich am 20. Juni, am Vorabend des Überfalls. In den folgenden Wochen informiert er Moskau über die Entscheidung Japans, militärisch nicht einzugreifen. Das erleichtert der UdSSR die strategische Entscheidung, Truppen aus Fernost abzuziehen und sie vor Moskau in die Schlacht zu werfen. Als dies geschieht, Ende Oktober 1941, ist Inson bereits verhaftet.
Dass Sorge in der Haft seine Kominternaktivitäten und seine Dienste für die KPdSU unterstrich, erklären sich russische Historiker wie A. Prochoschew damit, dass der Kundschafter die Ermittlungen in seinem Fall bei den Ministerien für Justiz und des Inneren belassen und nicht der Militärpolizei überstellt werden wollte. In den Verhören äußerte sich Sorge ausnahmslos über Personen, die den japanischen Untersuchungsbehörden bereits bekannt waren. Im Archiv der GRU fand sich eine Aktennotiz von Jakow Bronin, in der vermerkt ist, dass Sorge keinen den Ermittlern noch nicht bekannten Namen erwähnte und Verdachtsmomente von bereits Verhafteten, gegen die jedoch keine stichhaltigen Beweise vorlagen, ablenkte. Anders sein Funker Max Clausen (Max Gottfried Friedrich Christiansen; Pseudonym Fritz), der sich als recht redselig erwies. Der russische Historiker A. Fesjun, der die Verhördokumente erstmals veröffentlichte, betont jedoch, dass niemand, auch Clausen nicht, im Nachhinein für sein Verhalten in schwieriger Situation Schelte verdiene.
Sorge hoffte bis zuletzt, dass Moskau ihn »einlösen« werde. Er rechnete vor allem mit der Hilfe des KI-Funktionärs Solomon Losowski, den er bereits aus gemeinsamer Arbeit in Frankfurt (Main) kannte. Doch - und darin liegt die eigentliche Tragik dieses Kundschafterlebens - Moskau verleugnete ihn, und seine Freunde in der Komintern konnten auch nichts für ihn tun.
Am 6. November 1944 erschien überraschend der japanische Außenminister Sigemitsu Mamoru in der sowjetischen Botschaft und pries »die Freundschaft zwischen Japan und der UdSSR«. Nach Meinung der Sorge-Biografen sei dies der letzte Versuch der japanischen Regierung gewesen, Sorge als ein hochkarätiges Faustpfand ins Spiel zu bringen, ihn Moskau »zurückzugeben«. Den Aufzeichnungen des japanischen Untersuchungsbeamten Ochasi zufolge war auch Sorge nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbour der Überzeugung, dass Tokio nicht an seinem Tod interessiert sein könne und ihn austauschen werde. Was er nicht wissen konnte, war, dass die Japaner die Forderung des deutschen Außenministers Ribbentrop, Sorge auszuliefern, nicht zu erfüllen gewillt waren.
Einen Tag, nachdem der japanische Außenminister in der sowjetischen Botschaft war, am Morgen jenes Tages, da in Moskau trotz bzw. gerade wegen der bedrohlichen Nähe der Aggressionsarmee, die letzten Vorbereitungen für die traditionelle Parade auf dem Roten Platz zum Jahrestag der Oktoberrevolution getroffen wurden, hängte man in Japan, im Gefängnis Sugamo, Richard Sorge und seinen japanischen Kampfgefährten Odsaki.
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