Das Leben war anders

Von Margit Voss

Unsere Autorin war viele Jahre die Filmkritikerin des »Berliner Rundfunks« der DDR.

Heute hat Berlins Bildungssenator Klaus Böger 700 Schüler und Lehrer ins Filmtheater Delphi eingeladen, um mit ihnen sowie Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck »Das Leben der Anderen« anzusehen, zu diskutieren. Er hat bereits den Einsatz des Films für den Unterricht ab Jahrgangsstufe 9 empfohlen und seinen Kollegen nahe gelegt, den Film in den Schulen ihrer Länder im Unterricht zu nutzen. Die Geschichte des Stasihauptmanns Wiesler und seiner Wandlung vom Saulus zum Paulus wird die Schüler beeindrucken. Ob sie damit allerdings ihr Wissen über die DDR vergrößern können, darf bezweifelt werden. Denn Donnersmarck hat zwar einen perfekten Film gedreht, dem wegen seiner Ernsthaftigkeit Respekt gebührt, aber er kann natürlich nicht in Anspruch nehmen, authentisch zu sein. Das Alltagsleben in der DDR hat er ignoriert. Nach wie vor handelt es sich bei seinem Film um eine fiktive und keine dokumentarisch unterfütterte Geschichte. So hat es - laut Marianne Birthler - keinen einzigen Fall gegeben, in dem ein Offizier der Staatssicherheit aus Liebe seinen »Überwachungsauftrag« quittiert hat. Niemals nahm sich ein namhafter Regisseur in der DDR das Leben, weil man ihn politisch unter Druck setzte. Schauspielerinnen wurden nicht observiert, weil ein Minister Gefallen an ihnen fand. Manuskripte wurden in den achtziger Jahren Spiegel- oder Rundfunkreportern mehr direkt als verdeckt übergeben. Der Blick auf die DDR erfasst einen diffusen Zeitraum, unabhängig von den Veränderungen, die sich zwischen 1949 und 1989 vollzogen. Generell leidet »Das Leben der Anderen« - wie alle seine filmischen Vorgänger - an einem zu kurz gedachten Ansatz. Weltanschauliche Aspekte spielen in ihnen keine Rolle, geschichtliche Erfahrungen, wie das Erbe des Nationalsozialismus, die Zerrissenheit der Familien, die bewusste Hinwendung zu einem neuen Deutschland in Zeiten des Kalten Krieges werden stets ausgeblendet, gelöscht. Alles reduziert sich auf eine platte Täter-Opfer-Konfrontation. »Wie konntet Ihr das nur aushalten?«, fragte mich ein junger Kollege aus den alten Bundesländern nach dem Besuch des Films »Der Rote Kakadu«, in dem es von absurden Szenen nur so strotzt. Ja, wie konnte man das nur aushalten. Weil es so nicht war. »Das Leben war anders«, um mit einem Wortspiel zu antworten. Die meisten Filme über die DDR, angefangen von »Go, Trabi Go«, über »Sonnenallee«, »Helden wie wir«, »NVA« bis »Kleinruppin forever« machen sich lustig über Randerscheinungen. Mit Wolfgang Stumpf im himmelblauen Trabi über die Alpen, das ist doch was. In »Sonnenallee« amüsierte man sich auch über die Kleinbürgerfamilie. Schrankwand, Kaffeetisch und das unvermeidliche Sächsisch sind stets Anlass zur Schadenfreude. Bei »Helden wie wir« macht der Autor Thomas Brussig einen Toren zum Erzähler, dessen Geschlechtsteil den Fall der Mauer herbeiführt. In »Kleinruppin forever« wird das Schema vom doppelten Lottchen« bemüht, um Zwillingsbruder West mit Zwillingsbruder Ost zu tauschen, »... igittigitt, dieser Pamps bei der Schulspeisung«. Sind das die Geschichten, die wir einander erzählen sollen, um uns, laut Günter Gaus, besser verstehen zu können? Ansätze einer anderen Erzählart gab es bei »Good Bye Lenin« von Wolfgang Becker, dem vielgesehenen (und verkauften) Film, der die tragischen Momente eines Verlusts in den Tod der Mutter münden lässt - allerdings nicht, ohne die überzeugte Genossin als Opportunistin zu entlarven. Und so ist wohl der Stand der Dinge mit einem Zitat aus diesem Film ganz gut umrissen: »Er lebte in seiner Welt und ich in meiner«. 700 Berliner Schüler haben heute die Chance, durch einen Film die Kenntnisse über deutsche Geschichte zu vertiefen. Es bleibt zu hoffen, dass in der Diskussion durch kluge Gesprächsleitung ...

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