Herr Cogito im Garten
Stipendiat der Ford-Foundation und Träger des Petrarca- Preises (1979) mit ausgewählten Gedichten präsent.
Ich erinnere mich, wie ich meiner Tochter in den siebziger Jahren eines seiner schönsten Gedichte,. «Mein Vater», zum Vortrag an einem Pioniernachmittag empfahl. Nicht ohne Hintergedanken, beschrieb es doch die unheroische Biografie eines Vaters, der Anatole France mochte, mazedonische Zigarren
rauchte und eines Tages auf einem fliegenden Teppich sich davon machte, um Gouver neur auf einer Insel zu wer den, «wo s palmen gibt und liberalismus». Dass der Dichter alle Substantiva klein schrieb, war nicht das Problem, wohl aber die Sache mit dem Liberalismus, deren ironischer Hintersinn sich den Zbigniew Herbert. Herrn Cogitos Vermächtnis. 89 Gedichte. Aus dem Polnischen von Karl Dedecius, Oskar Jan Tauschinski, Klaus Staemmler. Suhr kamp Verlag. 184 S., geb., 38 DM.
Pionieren (und uns) erst Jahr zehnte später erschlossen haben wird.
Man kann dieses und die anderen Gedichte, 89 an der Zahl, in einem Sammelband des Suhrkamp Verlags unter dem Titel «Herrn Cogitos Vermächtnis» nachlesen. Darin ist neben bislang unveröffentlichten Gedichten eine Auswahl aus früheren Bänden der Jahre 1973 bis 1995 zu finden. Im ersten Halbjahr erschienen die späten Gedichte des polnischen Lyrikers, Dramatikers und Essayisten, unter dem Titel «Gewitter Epilog».
Zbigniew Herbert ist ein epischer Dichter, ein Erzähler und Biograf historischer und gegenwärtiger Persönlichkeiten. Der gelernte Philosoph und Kunsthistoriker ist vor allem ein Augenmensch. Er sieht und vergisst nicht. Zu den prägenden Eindrücken des Jugendlichen gehörte die brutale Unterdrückung des polnischen Volkes durch die Naziherrschaft. Die frühen Gedichte mahnen, die Toten des Krieges, der Standgerichte und der Konzentrationslager nicht zu vergessen. Das Gedicht aber vermag (wie der Kieselstein, dem Herbert ein Gedicht widmet) die menschliche Erfahrung von Jahrtausenden zu bergen. So wird er der «Dichter eines jahrtausendealten und zugleich aktuellen Gleichnisses von der Grausamkeit der Götter und der Verlorenheit der Menschen», wie ihn sein Übersetzer Karl Dedecius einmal genannt hat. In der Reproduktion des Gewesenen nimmt ein römischer Kaiser («Der göttliche Claudius») für uns die Züge Stalins, an, und im Sturz der Denkmäler berühren sich die Zeiten in ihrer Endlichkeit.
Dennoch bleibt Geschichte für Zbigniew Herbert «das einfältige triebwerk». Sie beschreibt «die monotone prozession und den ungleichen kämpf/ der räuber an der spitze verdummter massen/ gegen das häuflein der rechtschaffenen und der vernünftigen». Wäre es da nicht besser, endlich im Paradies zu leben, mit einer garantierten Ar beitswoche von dreißig Stunden, wo «vorerst am samstag zwölf uhr mittag / heult die sirene süß / und blaue proletarier kommen aus den fabriken /sie tragen unter dem arm ihre Flügel linkisch wie geigen».
In Gedichten wie diesem äußert sich die Ironie eines Herrn Cogito, eines gewissen Pan Cogito, der sich seine Gedanken macht, ohne sich immer ernst nehmen zu können, ein Denker frei nach dem französischen Philosophen Rene Descartes, der den Satz geprägt hatte, mit dem sich alle Denker begnügen: Cogito ergo sum - «Ich denke, also bin ich». Doch in Zeiten der Verfolgung und der amtierenden Dummheit bleibt der Kopf nicht immer oben. «Er will bis zum schluss / auf der höhe der Situation sein/ das Schicksal blickt ihm ins äuge/ dorthin wo früher/ sein köpf war». In «Herr Cogito erzählt von der Versuchung Spinozas» ist Gott unzufrieden, er bittet um ein Gespräch «über die Wirklich Großen /Dinge». Welche sind das? « - denk/ an ein Weib/ das dir Kinder schenkt ... sei schlau wie Erasmus ... widme Ludwig XIV./ ein traktat/ er wird's sowieso nicht lesen». Also steht Gott auf der Seite der Pragmatiker, an denen unsere Welt zugrunde geht? Herr Cogito in seinem Garten wartet, dass die Blume der Wahrheit blühe.
Zbigniew Herbert ist in seinen reimlosen Gedichten, in seiner lyrischen Prosa ein ins Wort verliebter Handwerker der Avantgarde, aber es steckt in den Texten auch eine nüchterne Spekulation er hoffter Zukunft, wenn Wort und Bild eins sein werden; denn «Herr Cogito traute niemals /den künsten der Phantasie», dagegen möchte er «die natur des diamanten» oder «den wahn der Völker mörder» begreifen.
Postum wurde Zbigniew Herbert mit dem höchsten polnischen Orden, dem Orden des Weißen Adlers, geehrt. Mit seinem Vermächtnis ehrt er uns, seine Leser.
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