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Das Vorbild von Che ist allgegenwärtig
Aleida Guevara über ihren Vater, Lateinamerika und Menschenrechte in Kuba
Kinder berühmter Eltern - wie fühlen sie sich? Inwieweit wurde ihr Lebensweg von dem der Väter und Mütter befördert oder überschattet, nehmen sie das große Erbe an, tragen sie es weiter, lehnen sie es ab? Nach 25 Teilen der ND-Serie über Kinder linker Persönlichkeiten in Ost- und Westdeutschland wagt ND den Schritt über die Landesgrenze. Den Auftakt der neuen Serie macht die »Che«-Tochter Alaida, die Hans-Gerd Oefinger während ihres Besuches im Rhein-Main-Gebiet für »Neues Deutschland« befragte.
Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an Che?Che verließ Kuba als ich vier Jahre war und starb, als ich fast sieben war. Er ging zuerst in den Kongo. Daher habe ich wenige persönliche Erinnerungen Sie sind alle in einem Dokumentarfilm aufgezeichnet.
Wie wollen Sie dem Volk das zurückgegeben, was man Ihnen gegeben hat?
Zum einen durch meinen Beruf als Ärztin. Aber ich äußere mich immer auch zu den Notwendigkeiten des Landes. Mein Name öffnet mir natürlich Türen in aller Welt, denn die Leute wollen wissen, was die Tochter von Che zu sagen hat. Dadurch kann ich Fakten über Kuba gerade rücken, die in internationalen Medien verzerrt werden.
Haben Sie sich bei der Berufswahl am Vater orientiert, der ja auch Arzt war?
Dann hätte ich aber auch Ökonomin oder Militärspezialistin werden können, denn mein Vater war sehr vielseitig. Ich bin Ärztin geworden, weil ich Menschen und vor allem Kindern helfen will. Damit kann ich auch die Zärtlichkeit erwidern. Freud und Leid liegen bei Menschen nahe beieinander, und die Medizin kann dabei entscheidend helfen, Leid zu lindern.
Es wird berichtet, Che habe wegen seiner Ablehnung bürokratischer Tendenzen im Staat Konflikte ausgetragen und deswegen 1965 Kuba verlassen.
Mein Vater hat immer energisch bürokratische Tendenzen kritisiert und bekämpft - gemeinsam mit Fidel Castro. Beide kommen aus der gleichen Schule.
Che steht für Internationalismus und engagierte sich für die Ausbreitung der Revolution.
Revolutionen lassen sich nicht exportieren. Sie müssen aus dem Volk heraus heranreifen. Wenn ein Volk dazu nicht bereit ist, kann man es nicht künstlich entfachen. Die Bedingungen müssen im Land vorhanden sein. Che ging nach Bolivien, wo es eine wichtige Bewegung der Bergarbeiter gab. Leider gab es Probleme zwischen der Guerilla und der Führung der dortigen Kommunistischen Partei, so dass die Guerilla dann isoliert blieb. So etwas kann passieren. Wer aber sagt, der bewaffnete Kampf im Sinne von Che sei nicht mehr aktuell, soll vorsichtig sein. Die Methode des Kampfes muss das Volk selbst auswählen, wenn es sich für den Kampf entscheidet.
Hat sich Che in aussichtslosem Kampf nicht umsonst geopfert?
Das glaube ich nicht. Denn nach so vielen Jahren ist seine Popularität ungebrochen. Den besten Beweis dafür erleben wir hier und heute. Nach so vielen Jahren machen Sie dieses Interview mit mir, nur weil ich seine Tochter bin. Sein Vorbild ist allgegenwärtig.
In den 60er und 70er Jahren wollten viele Jugendliche in Lateinamerika den Guerillakampf von Che nachahmen und sind damit gescheitert.
In Lateinamerika waren damals Bedingungen für Volkserhebungen gegeben, aber es fehlte vielfach die Kommunikation mit den entrechteten Massen. Die Massen, die über Jahrhunderte unmündig, unwissend und in Angst gehalten wurden, müssen verstehen und wissen, was abgeht. Sonst sind solche Kämpfe nicht zu gewinnen. José Martí erklärte einmal: Der Mensch kann zwischen zwei Wegen auswählen. Er kann ein Ochs, also ein Lasttier werden, das den Kopf senkt, Befehle empfängt und nie etwas in Frage stellt. Dafür erhält er Futter und einen Schlafplatz, bleibt aber Lasttier und nicht ein Mensch. Wer sich gegen diesen Weg entscheidet, ist wie ein Stern, der so hell strahlt, dass die Leute Angst bekommen und ihn manchmal alleine lassen, auch wenn er es gut und richtig macht. Du musst dich entscheiden: entweder wirst Du ein Lasttier, oder du kämpfst für deine Grundsätze.
Nach dem Sieg der kubanischen Revolution wurde die Weltmacht USA hellhörig und richtete alle Energien darauf, jeden Brandherd sofort zu löschen. Sie ging mit aller Härte und Brutalität gegen jede revolutionäre Bewegung vor. Manchmal scheiterten diese Bewegungen auch an ihrer eigenen Zwietracht, manchmal haben sie überlebt und blieben fest. Also ist es nicht die Frage, gescheitert oder nicht. Man muss versuchen, die Gesellschaft zu verändern. Eine revolutionäre Bewegung ist niemals umsonst, denn sie zeigt Wege und Möglichkeiten auf. Das ist für die junge Generation wichtig.
In den 70er und 80er Jahren gab es eine Serie von Niederlagen in ganz Lateinamerika. In Kuba sind die Errungenschaften erhalten geblieben. Wie war dies möglich?
In erster Linie mit viel Bildung. José Marti sagte, nur ein gebildetes Volk kann ein wirklich freies Volk sein. Es muss wissen, was es will und wie es seine Ziele erreichen kann, dann kann es nicht mehr manipuliert und getäuscht werden. Darum haben wir auf die Volksbildung so viel Wert gelegt. Ein Volk ist nur dann glücklich, wenn es nicht nur gebildet ist, sondern auch Gefühle entwickeln kann. Daher sind wir Kubaner so solidarisch. Die beste Chance, in den Menschen die Solidarität und Hilfe zu bewahren, besteht darin, dass ein jeder Mensch begreift, dass er willkommener und nützlicher Teil der Gesellschaft ist. Dieses Gefühl, gebraucht zu werden, vermittelt auch Menschenwürde. All dies war wichtig dafür, dass wir trotz großer wirtschaftlicher Probleme unseren Weg fortsetzen konnten. Was man einmal errungen hat, will man nicht wieder preisgeben.
Würden sich die Kubaner jeder Form von Rückkehr zum Kapitalismus in den Weg stellen?
Wir Kubaner achten sehr auf unsere Unabhängigkeit. Wir wollen von niemandem abhängig sein und mit den anderen Völkern der großen lateinamerikanischen Familie eng zusammenarbeiten, um den gemeinsamen Entwicklungsweg zu gestalten. Wir würden nie eine Invasion und Erpressung unseres Landes hinnehmen - sei es durch die USA oder die EU.
Aber im heutigen Kuba gibt es eine Reihe von Joint Ventures zwischen dem Staat und ausländischem Kapital.
Natürlich. Durch die neue Lage seit 1991 wurden wir dazu gezwungen, Investitionen ausländischen Kapitals zuzulassen. Eine entsprechende Verfassungsänderung wurde in einer Volksabstimmung angenommen. Wir achten aber penibel darauf, dass diese Investitionen nie den Interessen des kubanischen Volkes schaden, sondern ihm nützen. Der kubanische Grund und Boden gehört dem Volk und bleibt unverkäuflich. Für Auslandsinvestitionen gibt es hohe Auflagen und strikte Kontrollen.
Seit Beginn der bolivarianischen Revolution in Venezuela entwickeln sich besondere Beziehungen zwischen Venezuela und Kuba. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Wir haben sehr enge Beziehungen. Der Pakt zwischen Kuba und Venezuela heißt ALBA. Das spanische Wort »alba« bedeutet Morgendämmerung, die Abkürzung ALBA steht für »Bolivarianische Alternative für Lateinamerika«. Venezuela ist reich an Bodenschätzen, aber Kuba ist auf dem Gebiet von Bildung und Wissenschaft weiter entwickelt. So unterstützen wir uns gegenseitig. Kuba kauft venezolanisches Erdöl zum Marktpreis, kann die Zahlungen aber strecken. 23 000 kubanische Lehrer und Fachkräfte des Gesundheitswesens sind derzeit in venezolanischen Armenvierteln und Dörfern im Einsatz, um das Grundrecht auf Bildung und Gesundheitsfürsorge zu garantieren. Das ist ein fairer Austausch, der beiden Seiten nützt. Wir integrieren uns immer mehr und stellen fest, wie sehr wir uns ähneln und Brudervölker sind.
Sie haben mit Venezuelas Präsident Hugo Chávez ein ausführliches Interview geführt. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?
Er ist ein großartiger Mensch mit starkem Charisma. Er ist ehrlich und kann die Menschen überzeugen. Er verschweigt nichts. Ich gehe davon aus, dass er im kommenden Dezember wieder gewählt wird und noch viele Jahre den Prozess weitertreiben kann.
Bei den jüngsten Wahlen wurde auch in Chile und Bolivien die Linke gestärkt. Wird jetzt die Vision von Che Guevara - ein einheitliches Lateinamerika im Interesse der Völker - Wirklichkeit?
Es ist noch viel zu früh, um von einem Triumph in Lateinamerika zu sprechen. Der Prozess steckt immer noch in den Kinderschuhen. Die einzige Bastion außer Kuba ist bisher Venezuela, denn es hat begonnen, die Reichtümer des Landes zum Wohle des Volkes einzusetzen. Man spürt die Veränderungen - mehr Arbeit, mehr Gesundheitsfürsorge und Bildung, mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Allerdings ist es auch schon ein Sieg, dass in Bolivien mit Evo Morales erstmals überhaupt ein Kandidat aus den Reihen der Ureinwohner die Wahl gewonnen hat. Damit ist die erste Schlacht gewonnen. Aber jetzt kommt es darauf an, was er an der Macht wirklich umsetzen kann. Viele Schlachten werden folgen müssen, bis das bolivianische Volk seine Bodenschätze wirklich selbst kontrolliert und sich die lateinamerikanischen Völker von der Beherrschung durch das nordamerikanische und europäische Kapital befreien.
In Chile ist erstmals in der Geschichte des Landes eine Frau zur Präsidentin gewählt worden, eine Kinderärztin und eine Frau mit außergewöhnlicher Erfahrung, was viele Erwartungen weckt. Auch sie muss jetzt zeigen, was sie tun kann und tun will. Eine schwierige Etappe steht hier bevor. Alles braucht Zeit. Wir bieten diesen Völkern unsere solidarische Hilfe an. In Bolivien leisten wir jetzt gemeinsam mit Venezuela Hilfe bei der Alphabetisierungskampagne »Yo sí puedo«.
Wie können Menschen in Europa dem Prozess in Lateinamerika ihre Solidarität zukommen lassen?
Das wichtigste ist der gegenseitige Respekt. Ich habe Europäer erlebt, die nach 15 Tagen Aufenthalt in Kuba so tun, als hätten sie das Patentrezept für die Lösung der Probleme in Kuba in der Tasche. So geht es nicht. Die Solidarität hat viele Seiten. Europas Kolonialmächte haben uns über Jahrhunderte ausgeplündert und Ungleichheit geschaffen. Dies muss jetzt ausgeglichen werden. Es geht um solidarische technologische Hilfe und Entwicklungsprojekte. Warum können wir nicht voneinander lernen und solidarisch eine andere Welt aufbauen?
Aber die EU sorgt sich eher um die Menschenrechte in Kuba.
Mit falschen oder bruchstückhaften Informationen kommt man immer zu falschen Schlussfolgerungen. Vor allem müssen wir immer klären: Um welche Menschenrechte geht es uns? Wenn wir von dem Recht auf Gesundheitsfürsorge reden - das besteht in Kuba für alle Menschen gleichermaßen. Bei vielen Menschenrechten stehen wir besser da als manches europäische Land. Ein Land, das seinen Bürgern kostenlos Bildung, Wissenschaft und Kultur vermittelt - auch das ist Kuba. Natürlich haben wir noch Mangel an Wohnraum oder Bussen - aber das hat auch damit zu tun, dass wir durch den Boykott der USA bestimmte Waren nicht kaufen können. Daran arbeiten wir jetzt. Anders als sonstwo gibt es bei uns keine Obdachlosigkeit und stirbt niemand an Unterernährung.
Am meisten ärgert mich die Heuchelei. Wer sich um Menschenrechte sorgt, kann mir das gerne mal im Einzelnen erklären. Ich kann aber nicht hinnehmen, dass Europa das nur uns sagt, nicht aber den USA. Den Schwächsten kann man sanktionieren, aber dem Stärksten sagt man kein Wort. Die USA verletzen in Guantánamo und durch ihre Kriege elementare Menschenrechte. Wie soll ich so eine geheuchelte Sorge um Menschenrechte in Kuba ernst nehmen? Die EU macht sich Sorgen um Kuba. Ich mache mir Sorgen um die EU, denn die privatisiert zunehmend bei Bildung und Gesundheit, was eigentlich große Errungenschaften sind.
Die Tochter über den Vater:
Empfinden Sie es als eine Last, einen berühmten Vater zu haben?
Überhaupt nicht. Vater war für mich nie Last, sondern Ehre. Von klein auf hat man mir beigebracht, dass wir nichts Besonderes sind, sondern Teil des Volkes, dessen wir würdig sein müssen. Als Tochter von Che fühle ich mich verpflichtet, dem Volk zurückzugeben, was es mir gegeben hat.
Welche Stärken schätzen Sie an ihm?
Seine Fähigkeit zu lieben. Er sagte: Ein echter Revolutionär muss immer auch romantisch sein - Du kannst nicht Dein Leben in den Dienst eines Ideals stellen, ohne dieses Ideal wirklich zu lieben. Man muss zum Volk stehen, wenn es einen braucht. Dazu braucht man Liebe und Zärtlichkeit. Dazu kommen seine absolute Ehrlichkeit, seine Intelligenz und Bildung.
Welche seiner Schwächen lehnen Sie ab?
Vater war so vielseitig, dass seine Schwächen im Grunde nicht sichtbar wurden.
Welche seiner Eigenschaften besäßen Sie gern selbst?
Alle, aber es ist nicht so einfach, sich einer so außergewöhnlichen Person anzunähern. Er hat sich nie für materielle Vorteile interessiert, persönliche Interessen zurückgestellt. Ich möchte so sein, aber werde dem wohl nie entsprechen.
Ernesto Che Guevara
14. Juni 1928 in Argentinien geboren +++ 1947-53 Medizinstudium in Buenos Aires +++ 1954 Begegnung mit Fiedel Castro in Mexiko +++ 1956-59 Teilnahme an Befreiung Kubas +++ 1961-64 Kubas Industrieminister +++ 1966 Guerillakampf in Bolivien +++ 9. Oktober 1967 bei Gefecht mit der bolivianischen Armee verwundet, gefangengenommen und kurz darauf erschossen.Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an Che?
Che verließ Kuba als ich vier Jahre war und starb, als ich fast sieben war. Er ging zuerst in den Kongo. Daher habe ich wenige persönliche Erinnerungen Sie sind alle in einem Dokumentarfilm aufgezeichnet.
Wie wollen Sie dem Volk das zurückgegeben, was man Ihnen gegeben hat?
Zum einen durch meinen Beruf als Ärztin. Aber ich äußere mich immer auch zu den Notwendigkeiten des Landes. Mein Name öffnet mir natürlich Türen in aller Welt, denn die Leute wollen wissen, was die Tochter von Che zu sagen hat. Dadurch kann ich Fakten über Kuba gerade rücken, die in internationalen Medien verzerrt werden.
Haben Sie sich bei der Berufswahl am Vater orientiert, der ja auch Arzt war?
Dann hätte ich aber auch Ökonomin oder Militärspezialistin werden können, denn mein Vater war sehr vielseitig. Ich bin Ärztin geworden, weil ich Menschen und vor allem Kindern helfen will. Damit kann ich auch die Zärtlichkeit erwidern. Freud und Leid liegen bei Menschen nahe beieinander, und die Medizin kann dabei entscheidend helfen, Leid zu lindern.
Es wird berichtet, Che habe wegen seiner Ablehnung bürokratischer Tendenzen im Staat Konflikte ausgetragen und deswegen 1965 Kuba verlassen.
Mein Vater hat immer energisch bürokratische Tendenzen kritisiert und bekämpft - gemeinsam mit Fidel Castro. Beide kommen aus der gleichen Schule.
Che steht für Internationalismus und engagierte sich für die Ausbreitung der Revolution.
Revolutionen lassen sich nicht exportieren. Sie müssen aus dem Volk heraus heranreifen. Wenn ein Volk dazu nicht bereit ist, kann man es nicht künstlich entfachen. Die Bedingungen müssen im Land vorhanden sein. Che ging nach Bolivien, wo es eine wichtige Bewegung der Bergarbeiter gab. Leider gab es Probleme zwischen der Guerilla und der Führung der dortigen Kommunistischen Partei, so dass die Guerilla dann isoliert blieb. So etwas kann passieren. Wer aber sagt, der bewaffnete Kampf im Sinne von Che sei nicht mehr aktuell, soll vorsichtig sein. Die Methode des Kampfes muss das Volk selbst auswählen, wenn es sich für den Kampf entscheidet.
Hat sich Che in aussichtslosem Kampf nicht umsonst geopfert?
Das glaube ich nicht. Denn nach so vielen Jahren ist seine Popularität ungebrochen. Den besten Beweis dafür erleben wir hier und heute. Nach so vielen Jahren machen Sie dieses Interview mit mir, nur weil ich seine Tochter bin. Sein Vorbild ist allgegenwärtig.
In den 60er und 70er Jahren wollten viele Jugendliche in Lateinamerika den Guerillakampf von Che nachahmen und sind damit gescheitert.
In Lateinamerika waren damals Bedingungen für Volkserhebungen gegeben, aber es fehlte vielfach die Kommunikation mit den entrechteten Massen. Die Massen, die über Jahrhunderte unmündig, unwissend und in Angst gehalten wurden, müssen verstehen und wissen, was abgeht. Sonst sind solche Kämpfe nicht zu gewinnen. José Martí erklärte einmal: Der Mensch kann zwischen zwei Wegen auswählen. Er kann ein Ochs, also ein Lasttier werden, das den Kopf senkt, Befehle empfängt und nie etwas in Frage stellt. Dafür erhält er Futter und einen Schlafplatz, bleibt aber Lasttier und nicht ein Mensch. Wer sich gegen diesen Weg entscheidet, ist wie ein Stern, der so hell strahlt, dass die Leute Angst bekommen und ihn manchmal alleine lassen, auch wenn er es gut und richtig macht. Du musst dich entscheiden: entweder wirst Du ein Lasttier, oder du kämpfst für deine Grundsätze.
Nach dem Sieg der kubanischen Revolution wurde die Weltmacht USA hellhörig und richtete alle Energien darauf, jeden Brandherd sofort zu löschen. Sie ging mit aller Härte und Brutalität gegen jede revolutionäre Bewegung vor. Manchmal scheiterten diese Bewegungen auch an ihrer eigenen Zwietracht, manchmal haben sie überlebt und blieben fest. Also ist es nicht die Frage, gescheitert oder nicht. Man muss versuchen, die Gesellschaft zu verändern. Eine revolutionäre Bewegung ist niemals umsonst, denn sie zeigt Wege und Möglichkeiten auf. Das ist für die junge Generation wichtig.
In den 70er und 80er Jahren gab es eine Serie von Niederlagen in ganz Lateinamerika. In Kuba sind die Errungenschaften erhalten geblieben. Wie war dies möglich?
In erster Linie mit viel Bildung. José Marti sagte, nur ein gebildetes Volk kann ein wirklich freies Volk sein. Es muss wissen, was es will und wie es seine Ziele erreichen kann, dann kann es nicht mehr manipuliert und getäuscht werden. Darum haben wir auf die Volksbildung so viel Wert gelegt. Ein Volk ist nur dann glücklich, wenn es nicht nur gebildet ist, sondern auch Gefühle entwickeln kann. Daher sind wir Kubaner so solidarisch. Die beste Chance, in den Menschen die Solidarität und Hilfe zu bewahren, besteht darin, dass ein jeder Mensch begreift, dass er willkommener und nützlicher Teil der Gesellschaft ist. Dieses Gefühl, gebraucht zu werden, vermittelt auch Menschenwürde. All dies war wichtig dafür, dass wir trotz großer wirtschaftlicher Probleme unseren Weg fortsetzen konnten. Was man einmal errungen hat, will man nicht wieder preisgeben.
Würden sich die Kubaner jeder Form von Rückkehr zum Kapitalismus in den Weg stellen?
Wir Kubaner achten sehr auf unsere Unabhängigkeit. Wir wollen von niemandem abhängig sein und mit den anderen Völkern der großen lateinamerikanischen Familie eng zusammenarbeiten, um den gemeinsamen Entwicklungsweg zu gestalten. Wir würden nie eine Invasion und Erpressung unseres Landes hinnehmen - sei es durch die USA oder die EU.
Aber im heutigen Kuba gibt es eine Reihe von Joint Ventures zwischen dem Staat und ausländischem Kapital.
Natürlich. Durch die neue Lage seit 1991 wurden wir dazu gezwungen, Investitionen ausländischen Kapitals zuzulassen. Eine entsprechende Verfassungsänderung wurde in einer Volksabstimmung angenommen. Wir achten aber penibel darauf, dass diese Investitionen nie den Interessen des kubanischen Volkes schaden, sondern ihm nützen. Der kubanische Grund und Boden gehört dem Volk und bleibt unverkäuflich. Für Auslandsinvestitionen gibt es hohe Auflagen und strikte Kontrollen.
Seit Beginn der bolivarianischen Revolution in Venezuela entwickeln sich besondere Beziehungen zwischen Venezuela und Kuba. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Wir haben sehr enge Beziehungen. Der Pakt zwischen Kuba und Venezuela heißt ALBA. Das spanische Wort »alba« bedeutet Morgendämmerung, die Abkürzung ALBA steht für »Bolivarianische Alternative für Lateinamerika«. Venezuela ist reich an Bodenschätzen, aber Kuba ist auf dem Gebiet von Bildung und Wissenschaft weiter entwickelt. So unterstützen wir uns gegenseitig. Kuba kauft venezolanisches Erdöl zum Marktpreis, kann die Zahlungen aber strecken. 23 000 kubanische Lehrer und Fachkräfte des Gesundheitswesens sind derzeit in venezolanischen Armenvierteln und Dörfern im Einsatz, um das Grundrecht auf Bildung und Gesundheitsfürsorge zu garantieren. Das ist ein fairer Austausch, der beiden Seiten nützt. Wir integrieren uns immer mehr und stellen fest, wie sehr wir uns ähneln und Brudervölker sind.
Sie haben mit Venezuelas Präsident Hugo Chávez ein ausführliches Interview geführt. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?
Er ist ein großartiger Mensch mit starkem Charisma. Er ist ehrlich und kann die Menschen überzeugen. Er verschweigt nichts. Ich gehe davon aus, dass er im kommenden Dezember wieder gewählt wird und noch viele Jahre den Prozess weitertreiben kann.
Bei den jüngsten Wahlen wurde auch in Chile und Bolivien die Linke gestärkt. Wird jetzt die Vision von Che Guevara - ein einheitliches Lateinamerika im Interesse der Völker - Wirklichkeit?
Es ist noch viel zu früh, um von einem Triumph in Lateinamerika zu sprechen. Der Prozess steckt immer noch in den Kinderschuhen. Die einzige Bastion außer Kuba ist bisher Venezuela, denn es hat begonnen, die Reichtümer des Landes zum Wohle des Volkes einzusetzen. Man spürt die Veränderungen - mehr Arbeit, mehr Gesundheitsfürsorge und Bildung, mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Allerdings ist es auch schon ein Sieg, dass in Bolivien mit Evo Morales erstmals überhaupt ein Kandidat aus den Reihen der Ureinwohner die Wahl gewonnen hat. Damit ist die erste Schlacht gewonnen. Aber jetzt kommt es darauf an, was er an der Macht wirklich umsetzen kann. Viele Schlachten werden folgen müssen, bis das bolivianische Volk seine Bodenschätze wirklich selbst kontrolliert und sich die lateinamerikanischen Völker von der Beherrschung durch das nordamerikanische und europäische Kapital befreien.
In Chile ist erstmals in der Geschichte des Landes eine Frau zur Präsidentin gewählt worden, eine Kinderärztin und eine Frau mit außergewöhnlicher Erfahrung, was viele Erwartungen weckt. Auch sie muss jetzt zeigen, was sie tun kann und tun will. Eine schwierige Etappe steht hier bevor. Alles braucht Zeit. Wir bieten diesen Völkern unsere solidarische Hilfe an. In Bolivien leisten wir jetzt gemeinsam mit Venezuela Hilfe bei der Alphabetisierungskampagne »Yo sí puedo«.
Wie können Menschen in Europa dem Prozess in Lateinamerika ihre Solidarität zukommen lassen?
Das wichtigste ist der gegenseitige Respekt. Ich habe Europäer erlebt, die nach 15 Tagen Aufenthalt in Kuba so tun, als hätten sie das Patentrezept für die Lösung der Probleme in Kuba in der Tasche. So geht es nicht. Die Solidarität hat viele Seiten. Europas Kolonialmächte haben uns über Jahrhunderte ausgeplündert und Ungleichheit geschaffen. Dies muss jetzt ausgeglichen werden. Es geht um solidarische technologische Hilfe und Entwicklungsprojekte. Warum können wir nicht voneinander lernen und solidarisch eine andere Welt aufbauen?
Aber die EU sorgt sich eher um die Menschenrechte in Kuba.
Mit falschen oder bruchstückhaften Informationen kommt man immer zu falschen Schlussfolgerungen. Vor allem müssen wir immer klären: Um welche Menschenrechte geht es uns? Wenn wir von dem Recht auf Gesundheitsfürsorge reden - das besteht in Kuba für alle Menschen gleichermaßen. Bei vielen Menschenrechten stehen wir besser da als manches europäische Land. Ein Land, das seinen Bürgern kostenlos Bildung, Wissenschaft und Kultur vermittelt - auch das ist Kuba. Natürlich haben wir noch Mangel an Wohnraum oder Bussen - aber das hat auch damit zu tun, dass wir durch den Boykott der USA bestimmte Waren nicht kaufen können. Daran arbeiten wir jetzt. Anders als sonstwo gibt es bei uns keine Obdachlosigkeit und stirbt niemand an Unterernährung.
Am meisten ärgert mich die Heuchelei. Wer sich um Menschenrechte sorgt, kann mir das gerne mal im Einzelnen erklären. Ich kann aber nicht hinnehmen, dass Europa das nur uns sagt, nicht aber den USA. Den Schwächsten kann man sanktionieren, aber dem Stärksten sagt man kein Wort. Die USA verletzen in Guantánamo und durch ihre Kriege elementare Menschenrechte. Wie soll ich so eine geheuchelte Sorge um Menschenrechte in Kuba ernst nehmen? Die EU macht sich Sorgen um Kuba. Ich mache mir Sorgen um die EU, denn die privatisiert zunehmend bei Bildung und Gesundheit, was eigentlich große Errungenschaften sind.
Die Tochter über den Vater:
Empfinden Sie es als eine Last, einen berühmten Vater zu haben?
Überhaupt nicht. Vater war für mich nie Last, sondern Ehre. Von klein auf hat man mir beigebracht, dass wir nichts Besonderes sind, sondern Teil des Volkes, dessen wir würdig sein müssen. Als Tochter von Che fühle ich mich verpflichtet, dem Volk zurückzugeben, was es mir gegeben hat.
Welche Stärken schätzen Sie an ihm?
Seine Fähigkeit zu lieben. Er sagte: Ein echter Revolutionär muss immer auch romantisch sein - Du kannst nicht Dein Leben in den Dienst eines Ideals stellen, ohne dieses Ideal wirklich zu lieben. Man muss zum Volk stehen, wenn es einen braucht. Dazu braucht man Liebe und Zärtlichkeit. Dazu kommen seine absolute Ehrlichkeit, seine Intelligenz und Bildung.
Welche seiner Schwächen lehnen Sie ab?
Vater war so vielseitig, dass seine Schwächen im Grunde nicht sichtbar wurden.
Welche seiner Eigenschaften besäßen Sie gern selbst?
Alle, aber es ist nicht so einfach, sich einer so außergewöhnlichen Person anzunähern. Er hat sich nie für materielle Vorteile interessiert, persönliche Interessen zurückgestellt. Ich möchte so sein, aber werde dem wohl nie entsprechen.
Ernesto Che Guevara
14. Juni 1928 in Argentinien geboren +++ 1947-53 Medizinstudium in Buenos Aires +++ 1954 Begegnung mit Fiedel Castro in Mexiko +++ 1956-59 Teilnahme an Befreiung Kubas +++ 1961-64 Kubas Industrieminister +++ 1966 Guerillakampf in Bolivien +++ 9. Oktober 1967 bei Gefecht mit der bolivianischen Armee verwundet, gefangengenommen und kurz darauf erschossen.
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