Mit Kinderwagen schneller in die Kuppel

»Stattreisen« bietet eine babyleichte Tour ohne Hindernisse für Wissensdurstige mit Nachwuchs

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Zufrieden döst die sieben Monate junge Anna im Kinderwagen vor sich hin, während ihre Mutter Marina Fabian aus Steglitz völlig entspannt den Erklärungen von Stadtführer Uwe Neirich lauschen kann. Neben der kleinen Anna schaut Julius (15 Monate) neugierig aus seinem Transportmittel, geschoben von seinen Eltern Julia und Jens Müller-Heuse aus Köln. »Auf dieser Tour dürfen Babys schreien«, hatte Historiker Neirich die Teilnehmer an »Berlins erster Kinderwagentour« vor dem Start am Bahnhof Friedrichstraße beruhigt. Organisiert wird die nachwuchsfreundliche Führung durchs Regierungsviertel von »Stattreisen«.
»Auch mit kleinen Kindern möchte man ja mal was unternehmen, hat aber meistens Angst, dass sie irgendwann quengeln oder dass es für Menschen mit Kinderwagen schwer überwindbare Hindernisse gibt. Das wird hier nicht der Fall sein«, verspricht Uwe Neirich, nach eigenem Bekunden selbst »erprobter Vater«. Eineinhalb Stunden dauert die Führung, die Zeit wurde bewusst gewählt: »Wir wissen, dass die jungen Damen und Herren dann meist etwas essen und trinken wollen«.
Die erste Station liegt gleich gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße. Vor dem »Tränenpalast« berichtet Neirich: »In diesem Gebäude befand sich die Grenzübergangsstelle, hier begrüßten und verabschiedeten sich die Besucher. Deshalb der Name Tränenpalast. Der komplette Bahnhof Friedrichstraße war Grenzbereich.« Die Veränderungen in der Familienpolitik werden am Beispiel der früheren SPD-Familienministerin Renate Schmidt deutlich gemacht. »Sie bekam vor dem Abitur und ihrer Volljährigkeit, damals in der Bundesrepublik noch 21 Jahre, ein Kind«, erzählt Neirich. »Natürlich« habe sie kein Abitur machen dürfen. Ihr Mann nahm »Elternzeit«, damals etwas Außergewöhnliches.
Dann die Bundestags-Kita als Beispiel für nachwuchsfeindliche Gestaltung. »Sie müssen sich nicht wundern, dass wir einen Umweg machen«, meint Neirich. Die Tagesstätte ist allein über eine Treppe erreichbar, da dem Architekten die Symmetrie wichtiger war. Eine gleich gestaltete Treppe ist auf der anderen Seite der Spree zu finden.
Wer mit seinem Kind hier rein will, muss den Nachwuchs tragen, aber auch den Wagen hochschleppen. Auch an den vorbeiführenden Straßen, der Otto-von-Bismarck-Allee und der Konrad-Adenauer-Straße, hat niemand an Fußgänger gedacht. Hier ist weder eine Ampel noch ein Zebrastreifen zu finden.
Kind samt Wagen sollte dagegen nicht vergessen, wer aus der Reichstagskuppel schauen will, vor der Menschenschlange am Eingang jedoch zurückschreckt. Neirich gibt einen Tipp: »Wer mit Kinderwagen kommt, darf den Behinderteneingang benutzen und muss nicht so lange warten.«

Nächste Führung: 30. 4., 11 Uhr, Bahnhof Friedrichstraße, Ausgang Tränenpalast; Kosten: 8,50 Euro, ermäßigt 6,50 Euro;
www.stattreisen-berlin.de

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