- Kultur
- Politisches Buch
Es gab nur 800 halbe Millionäre
Einkommen und Vermögen in Ostdeutschland vor und nach 1990
Über die DDR ist in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten schon viel geschrieben worden, auch über die 70er und 80er Jahre. Vergleichsweise wenig behandelt wurde die Wirtschafts- und Sozialgeschichte ihrer letzten beiden Jahrzehnte, und wenn, dann im Bemühen, nachzuweisen, wie marode die DDR war. Das Interesse an derartigen Darstellungen nahm um so mehr zu, je weniger der »Aufschwung Ost« die versprochenen »blühenden Landschaften« brachte. Geschrieben wurde nach dem durchschaubaren Motto: Je niedriger das Ausgangsniveau von Produktivität und Nettolöhnen am Ende der DDR, desto erklärlicher, dass das Aufholen so mühsam ist und das Einholen so lange dauert.
Hans Mittelbach argumentiert dagegen - mit Fakten. Er stützt sich auf neueste Berechnungen des Statistischen Bundesamtes und der Bundesbank und hat intensives Quellenstudium im Bundesarchiv absolviert, wo die Dokumente des Politbüros (Büro Mittag), der Staatlichen Plankommission, des Ministeriums der Finanzen, der Staatsbank und des Staatssekretariats für Arbeit und Löhne lagern.
Eingangs geht es Mittelbach um den Rückstand der DDR im Produktivitätsniveau, »das Hauptproblem« der DDR-Wirtschaft. Der Produktivitätsabstand auf der Basis des Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen lag 1989 bei 42 Prozent des BRD-Niveaus, auf der Grundlage des Bruttoinlandsprodukts pro Einwohner bei 65 Prozent des westdeutschen Niveaus. Die Differenz erklärt sich daraus, dass es der DDR-Wirtschaft gelungen war, einen viel größeren Anteil der Einwohner des Landes in die Produktion einzubeziehen als die BRD. Das hing mit dem unterschiedlichen Grad der beruflichen Integration der Frauen zusammen, aber auch mit der gewünschten Vollbeschäftigung in der DDR. Die Bundesrepublik war davon weit entfernt. Deren Arbeitslosenquote pendelte in den Jahren 1974 und 1986 zwischen vier und neun Prozent. Die Arbeitslosen bildeten das »tote Gewicht«, das die Produktivität der gesamten Bundesrepublik im Vergleich zur DDR absenkte. Übrigens gilt in internationalen Produktivitätsvergleichen die Produktivität je Einwohner und nicht die je Erwerbstätigen(stunde) als maßgeblich.
Nicht zu leugnen aber ist: Pro Beschäftigten kam in der DDR nur halb so viel heraus wie in der Bundesrepublik. Das lag nicht nur an der modernen Technik im Westen, sondern auch an den Löhnen, die für die DDR im Allgemeinen niedriger lagen als in der Bundesrepublik und weniger auf Leistung ausgerichtet waren. Das Problem war bekannt. Die Löhne sollten in den 70er und 80er Jahren stärker an die Leistung gekoppelt werden. Aus diesem Grunde wurden neue Grundlöhne eingeführt. Doch weder wurde die Festsetzung technisch begründeter Arbeitsnormen für Lohnarbeiter noch eine angemessene Bezahlung der Meister sowie der Hoch- und Fachschulkader erreicht.
Die tiefere Ursache für das Dilemma war, so Mittelbach, »dass die Betriebsleitungen zu wenig arbeitsrechtliche und ökonomische Entscheidungsbefugnisse hatten, um eine leistungsgerechte Entlohnung durchzusetzen. Die Betriebsleitungen waren in der volkswirtschaftlichen Leitungspyramide zwar das wichtigste, innerhalb des stark zentralisierten Planungssystems von den Befugnissen her aber das schwächste Glied bei der konkreten Umsetzung des Leistungsprinzips vor Ort.«
So wenig gerecht die Nettoeinkommen von Arbeitern und mittlerem Leitungspersonal in den Betrieben differenziert waren, so wenig wurden in der DDR alle Einkommen über einen Kamm geschoren. Über die Spitzengehälter liest man: »Die höchsten Einkommen konnten Chefärzte, die auch Privatpatienten behandelten, erzielen (6000 bis 10 000 M). Danach kamen Naturwissenschaftler und Ingenieure mit Sonderverträgen (3000 bis 5000 M), dann folgten Politbüromitglieder mit 5000 M, Minister mit ca. 4500 M General- und Kombinatsdirektoren eines Industriekombinats verdienten zwischen 2000 und 4500 M. Spitzenverdiener bei der Gruppe der Handwerker waren die Augenoptiker mit einem Nettoeinkommen von 2692 M.«
Unterschiedliche Einkommen führten zu differenzierten Geldvermögen. Mittelbach nennt dazu erstmals Zahlen. 1988 betrug das (durchschnittlich) von einem Arbeiterhaushalt Ersparte 21 900 M, bei den in Genossenschaften organisierten Handwerkern waren es 29 500 M, bei Selbstständigen 47 300 M. Neun Prozent der Konten in der DDR wiesen zwischen 20 000 und 500 000 M aus; hier war über die Hälfte des gesamten Geldvermögens (51 Prozent) versammelt. 800 halbe Millionäre gab es in der DDR. Diese insgesamt doch starke Differenzierung widersprach dem ausgeprägten Gleichheitsempfinden in der DDR-Bevölkerung. »Es ist daher nicht zufällig«, schreibt Mittelbach, »dass die Verteilung des Sparvermögens als Geheime Verschlusssache galt und Angaben dazu nur sehr restriktiv herausgegeben wurden.«
Eine Gliederung der Spareinlagen nach Altersgruppen lässt erkennen, das die Spareinlagen der Kontoinhaber bis zum Alter von 65 Jahren kontinuierlich zunahmen. »Sparen für das Alter war eines der wichtigsten Sparmotive in der DDR.«
Als Ausklang - und nicht, wie der Buchtitel vermuten lässt, mit gleicher Intensität - behandelt Mittelbach die Vermögensumbrüche nach der »Wende«. Wie schmerzhaft diese mit der Einführung der Marktwirtschaft per Schocktherapie waren und welche radikale Neuverteilung des Produktivvermögens durch die Tr...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.