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Mazedonien: Die geteilte Stadt Skopje
Das Flüsschen Vardar ist die Grenze zwischen zwei verschiedenen Welten, die es in Mazedoniens Hauptstadt gibt.
Wo es hier zum Albanerviertel geht, will ich von einem Passanten wissen, der vor der neu errichteten Bronzestatue Mutter Theresas steht, jener albanischstämmigen Nonne aus Skopje, die sich der Armut in Indien widmete. Heute könnte sie sich derselben christlichen Aufgabe zuwenden, ohne ihre Heimatstadt verlassen zu müssen. Der Passant reagiert empört. Albanerviertel? Sowas gibt es nicht. Ja, auf der anderen Seite des Vardar-Flusses leben viele Albaner, aber ein eigenes Viertel, das von Albanern bewohnt wird, existiert hier nicht. Tatsächlich gibt es in Skopje mehrere Albanerviertel, und jeder weiß das. Nur wenige Mazedonier aber wollen sich eingestehen, dass ihre Stadt zweigeteilt ist. Die Vardar trennt die Innenstadt nicht nur geographisch, sondern im Großen und Ganzen auch ethnisch. Wer von der südlichen Stadthälfte über die alte Steinbrücke ins Basarviertel wechselt, geht in eine andere Welt. Enge Gassen mit großteils renovierungsbedürftigen Häusern beherbergen Kesselschmieden, Lederschneider, Goldwerkstätten, Textilläden und zig Buden, die Cevapcici und Pleskavica grillen.
Wieder einmal fremde Herren am Vardar-Fluss
80 Prozent des Basars sind in albanischen Händen. Während im slawisch-orthodoxen, mazedonischen Stadtkern die Betonmoderne der frühen 70er Jahre nach dem verheerenden Erdbeben von 1963 Öde verbreitet, herrscht im Basar ein anatolisch anmutendes Treiben. Der Ruf des Muezzins ist hier überall zu hören, die Kirchenglocken ebenso. Sämtliche Waren werden mit eigens für diesen Zweck zusammengeschweißten Lastenfahrrädern angeliefert. Junge muslimische Männer schlendern hier Hand in Hand ebenso an den Schaufenstern und Grillbuden entlang wie christliche Frauen in engen Hosen. Zwischendurch gustieren kahl geschorene Deutsche in Kampfuniformen - immer in größeren Gruppen auftretend - das Sortiment eines Pelzhändlers. Was daheim wegen des Tierschutzes verpönt ist, kann man hier billig erwerben, um der Freundin ein exquisites Geschenk zu machen. Wofür sonst - mal abgesehen vom Schutz der Menschenrechte - hätte man sich zum Heeresdienst in die neue Kolonie abkommendieren lassen, um nicht günstige Besorgungen und vielleicht das eine oder andere Geschäft zu machen?
Die Skopioter sind fremde Herrschaft gewöhnt. 500 Jahre, so stehts im Lehrplan der Schulen, litt Mazedonien unter der osmanischen Knute. Dann, zwischen der zweiten Hälfte des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts fiel es zu je einem Drittel bulgarischer, griechischer und serbischer Verwaltung zu. Dass ausgerechnet unter den zur Zeit allseits verhassten Tito-Kommunisten die mazedonische Nation - aus Gründen des Ausgleichs mit Serbien - zumindest in Vardar-Mazedonien gefördert und dortselbst eine Republik gegründet worden ist, mag heute niemand so recht feiern. Dennoch: Titos Republiksgründung blieb die Grundlage für die kleine Nation, die freilich nicht nur um ihrer Identität gegenüber dem bulgarischen Brudervolk, sondern seit fast einem Jahr sogar im wahrsten Wortsinn auch um ihr Überleben gegenüber albanischen Ansprüchen kämpft.
Nun steht die NATO unter deutschem Kommando in Skopje. Ein langfristiges Arrangement mit dieser neuen Besatzungsmacht ist noch nicht gefunden. Dass es sich um eine solche handelt und die Frage der Menschenrechte nur eine vorgeschobene ist, um die albanischen territorialen und die westlichen geopolitischen Begehrlichkeiten zu verdecken, dessen ist man sich unter der mazedonischen Bevölkerung sicher. Im Basar herrscht gegenüber der NATO freilich eine andere Gesinnung vor. Dennoch glauben die Albaner, dass es ihnen gelungen ist, die so genannte internationale Gemeinschaft in den Dienst der albanischen Sache zu stellen. Doch wie schon während des Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte sich bald herausstellen, dass Westeuropa (und mit ihm die USA) die albanische Frage nur für die Durchsetzung eigener Interessen nutzt. Die Albaner, manche erahnen es möglicherweise schon, werden - wie die Mazedonier - zu den Opfern der Neugestaltung auf dem Balkan gehören. Solange alle mit dem großen nationalen Kampf beschäftigt sind und eher sprachliche Feinheiten bei der Neuformulierung der Verfassung als grundlegende ökonomische Probleme diskutieren, wird sich am kolonialen Status nichts ändern.
Wer im Brockhaus von 1911 unter dem Stichwort »Skopje« nachblättert, findet einen Verweis auf den offiziellen Namen der Stadt: Üsküp. Unter »Üsküp« steht lapidar: Hauptstadt des osmanischen Villajet Kosovo. 90 Jahre später firmiert Skopje als Hauptstadt der »Früheren jugoslawischen Republik Mazedonien«. Eine einigermaßen homogene Stadt ist sie deshalb noch lange nicht. Sie bleibt vielfach geteilt. Neben dem ethnisch-nationalen geht ein tiefer werdender sozialer Riss durch die Gesellschaft am Vardar-Fluss. Die religiöse Verständnislosigkeit zwischen orthodoxen Christen und Muslimen macht sich bis zur staatlichen Verfassung hin bemerkbar. Die Popen, deren mazedonisch-orthodoxe Autokephalie weder von Konstantinopel noch von Belgrad oder Sofia anerkannt wird, beharren darauf, dass es nur eine Kirche im Land geben kann, die der Rechtgläubigen. Die kommenden Konflikte dürften sich aus dem stärker werdenden Frust der Bevölkerung - sowohl der mazedonischen als auch der albanischen - gegenüber ihren politischen Vertretern speisen. Bleibt noch der Unterschied, der auf Republikebene zwischen dem vergleichsweise reichen Westen des Landes und dem unterentwickelten Osten besteht, zu erwähnen, um die strukturellen Probleme Mazedoniens zu umreißen.
Von den geschätzten 450 000 Einwohnern Skopjes - wie viele es wirklich sind, entzieht sich jeder Statistik, seitdem die 20 bis 40 Prozent Albaner 1991 die Volkszählung boykottiert haben und die Zählung 2001 wegen des Kriegschaos auf unbestimmte Zeit verschoben worden ist - leben fünf Prozent in unverschämtem Reichtum. Laut Miroslava Momirska-Marjanovic, Professorin an der ökonomischen Fakultät der Universität Skopje, haben es diese zirka 25 000 Krisen- und Kriegsgewinnler zum Teil über Drogenhandel und Prostitution zu etwas gebracht.
Neben den illegalen Profiteuren, in ihrer Mehrzahl Albaner, sind auch viele Familien aus dem Umkreis der neuen mazedonischen politischen Elite reich geworden. Diese Privatisierungsgewinner haben ähnliche Biografien wie die »100 Familien um Tudjman« oder die Nutznießer des »Systems Milosevic«. Die Transformation hat sich nur für wenige, für diese dafür umso eindrucksvoller, bezahlt gemacht. Dass es ausgerechnet einige albanische Händler zu Dollarmillionären gebracht haben, hängt mit der Kontrolle der Drogenrouten in Kosovo zusammen. Und auch damit, dass die Albaner - ganz im Unterschied zu den Mazedoniern - traditionell Handel trieben und wegen ihrer Clanstrukturen über weite Netze in ganz Ex-Jugoslawien verfügten.
Die Mehrheit der mazedonischen Bevölkerung indes verarmt in rasantem Tempo. Eine Mittelklasse mit bescheidendem Wohlstand, wie es sie im Titoismus gab, verschwindet auf absehbare Zeit. »Noch vor einem Jahr ist es vielen Leuten gar nicht so schlecht gegangen«, meint Suzana Savenska vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpolitik, »nun sind sie richtiggehend abgesackt.« Irgendwann war das Ersparte aufgebraucht. Bei einer Arbeitslosigkeit, die je nach Zählart zwischen 34 und 46 Prozent liegt, muss die zweite Ökonomie ein Überleben sichern. Und mit dieser, bestehend aus Handel und/oder selbstversorgender Subsistenz, haben vor allem die Mazedonier seit zwei, drei Generationen wenig Erfahrung. Für die jungen Leute heißt die Hoffnung Auswanderung. Suzana Savenska sieht darin allerdings keine Perspektive - weder für die Mehrzahl der Emigranten noch für Mazedonien.
Direkt unfassbar muten die Zustände am Institut an, wo Suzana Saveska beschäftigt ist. Das Gebäude steht inmitten des Elends. An seinen mancherorts eingeschlagenen Fenstern rauschen täglich mehrere KFOR-Kolonnen vorüber, die zwischen Saloniki und Pristina Militärmaterial und Ausrüstungen für die Kolonialtruppe in Kosova befördern. Durch ihre schweren Lkw sind die ohnedies schlechten Straßen streckenweise zu einer nicht enden wollenden Abfolge von Schlaglöchern verkommen. Ihr Status erspart den KFOR-Lenkern eine mögliche Strafverfolgung in Makedonien, was ihre rücksichtslose Fahrweise nur noch anspornt. Unfälle mit KFOR-Lkw sind an der Tagesordnung, die Empörung darüber verpufft an der Militärmacht der nordatlantischen Allianz.
Suzana Savenska weiß noch von ganz anderen westlichen Interventionen zu berichten, die ihre Arbeit erschweren. Denn während aus ganz Westeuropa Hunderte von Soziologen und Sozialarbeitern in gut bezahlten Jobs diverse NGO-Programme absolvieren, mangelt es der Universität Skopje am Allernötigsten. Computer sind hier ein Zukunftsgespräch, und an ein Renovieren des maroden Gebäudes ist nicht zu denken.
»Wir haben zehn Jahre verloren«
»Zehn Jahre lang haben westliche Organisationen Geld ausgegeben, um hier eine Zivilgesellschaft aufzubauen, und dann haben wir im Krieg geendet«, bemerkt Savenska bitter. »NGO-Projekte funktionieren immer nach demselben Muster. In irgendeinem fernen Land, z. B. in Schweden, beschließen gut meinende Politiker ein Hilfprojekt für Mazedonien. Eine Handvoll Forscher oder Sozialarbeiter erstellt einen Haufen Papiere, versammelt Arbeitsgruppen und "Runde Tische" mit örtlichen Spezialisten und schreibt einen Abschlussbericht. Basta. Selbst wenn die Erkenntnisse der Schweden beispielsweise über jene unseres Instituts hinausgehen sollten - was freilich kaum je der Fall ist -, passiert nichts weiter.«
»Der NGO-Sektor ist ein großes Geschäft«, meint auch Jovan Donev, der das umtriebige Institut »Eurobalkans« leitet, »aber ohne dieses wäre der Verlust an heimischen Fachkräften noch schlimmer.« Donevs Schätzungen zufolge verlassen jedes Jahr 1000 gut ausgebildete Intellektuelle ihre Heimat. Kanada und die USA veranstalten bereits so genannte Lotterien, um die besten Emigranten via Greencards ins Land zu holen. »Wir haben zehn Jahre verloren«, resümiert Ilo Trajkovski, Soziologieprofessor und langjähriger Mitarbeiter in unterschiedlichen NGO-Projekten. »Ich war ganz dezidiert für die Hilfsprojekte zur Etablierung einer Zivilgesellschaft. Nun bin ich enttäuscht.« Enttäuscht sind die meisten hier. Enttäuscht vom Westen, der alles versprochen hat. Und - so sehen es viele - nur mitgeholfen hat, das Land z...
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