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  • Reportage - Diplomatenschule

Training fürs diplomatische Hochseil

An der Diplomatenschule des Auswärtigen Amtes in Berlin lernen die handverlesenen jungen künftigen Attachés, wie man die Bundesrepublik im Ausland vertritt. Es kommt neben Wissen vor allem auf Takt und Fingerspitzengefühl an.

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: ca. 5.0 Min.
Der Fall ist knifflig, selbst für Juristen: Da spricht der Leiter einer thailändischen Künstler-Agentur bei der deutschen Botschaft in Bangkok vor und bittet um Visa für drei Seiltänzerinnen zur Einreise in die Bundesrepublik. Fünf Monate lang soll sich das schwindelfreie Trio in Deutschland aufhalten dürfen, engagiert von der bekannten Artistik-Show »Cirque du Soleil«. So weit ist die Sache ganz überschaubar.
Jetzt die Komplikationen: An die Deutschland-Tournee schließt sich ein halbjähriges Engagement der drei Damen in Großbritannien an, für das Visa bereits vorliegen. Die eine Seiltänzerin ist erst 17 Jahre alt, die zweite vor Jahren aus Deutschland ausgewiesen worden, weil sie während eines Verwandtenbesuchs in Düsseldorf vier Wochen lang ohne Arbeitserlaubnis in einem Restaurant gejobbt hat. Und die Dritte im Bunde ist gar keine Thai, sondern stammt aus Indonesien. »Wie ist die Rechtslage?« fragt Angelika Saake, Dozentin für Staatsangehörigkeits- und Ausländerrecht, ihre 21 Studenten.

Heute Island, morgen Afrika
Fünf junge Frauen und 16 Männer, vier davon mit Laptop statt mit Notizblock, tasten sich an den lebensnahen Fall heran, diskutieren über Zuständigkeit und »konsularischen Amtsbezirk« der thailändischen Botschaft, die korrekte Definition des »gewöhnlichen Aufenthaltsortes« und Wege, wie sich dieser bei der Antragsprüfung feststellen lässt - zum Beispiel über einen permanenten Mietvertrag und eine auf dieselbe Adresse lautende Stromrechnung.
Zuvor hatte Angelika Saake noch einmal die vorangegangene Unterrichtsstunde mit dem Thema »Die Aufgaben von Visa-Stellen« Revue passieren lassen. »Die Visa-Stellen sind Visitenkarten der Bundesrepublik Deutschland - und der erste Eindruck prägt«, schärft Saake ihren Studenten ein. Schon deshalb müssten die Botschaftsgebäude »ansprechend« wirken und der Umgang mit Antragstellern höflich sein. Gut zu wissen für die Teilnehmer des inzwischen 60. Attaché-Lehrgangs, also dem für den »höheren Auswärtigen Dienst«. Korrekt heißt die seit Januar in Berlin-Tegel ansässige Diplomatenschule »Aus- und Fortbildungsstätte des Auswärtigen Amtes« (AFS). Denn hier werden längst nicht nur potenzielle Botschafter, sondern auch Beamte für den gehobenen und mittleren Dienst ausgebildet (siehe Kasten).
Bewerber für die Lehrgänge müssen bereit und imstande sein, »auf jedem Arbeitsplatz Dienst zu tun«, sagt Karlfried Bergner, der Ausbildungsleiter für den höheren diplomatischen Dienst und selber ein Absolvent der AFS. Er nennt es das »Generalisten-Prinzip«. Zweitens gilt unweigerlich die Rotation: Jeder wechsele »alle drei Jahre auf eine andere Stelle - inhaltlich wie räumlich«. Bergner selber war von 1999-2002 in der deutschen Botschaft in Nigeria tätig und wird demnächst wieder einen anderen Einsatzort haben.
Erwartet würden deshalb eine »hohe intellektuelle Flexibilität«, die Bereitschaft, »sich auf andere Kulturen einzustellen« sowie Respekt vor ihnen; außerdem eine robuste Natur. Nicht jeder verkraftet es, Deutschland heute noch auf Island und nächste Woche schon im tropischen Afrika zu vertreten - drei Jahre, bevor man vielleicht in die 2200 Meter hoch gelegene Hauptstadt Mexikos wechselt, die berüchtigt ist für ihren atemraubenden Smog. Natürlich hat die so reizvoll klingende und den Horizont erweiternde Flexibilität mitunter auch Schattenseiten. Nicht umsonst rät das Auswärtige Amt auf seinen Internet-Seiten jedem, der mit einer Diplomaten-Laufbahn liebäugelt: »Überlegen Sie gut. Sprechen Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, mit Ihrer Familie und mit Ihren Freunden darüber. Und seien Sie vor allen Dingen ehrlich zu sich selbst.«

Cholerische Menschen sind ungeeignet
Unerlässlich für Diplomatenschüler ist Einfühlungsvermögen, die Freude am Knüpfen von Kontakten, aber auch innere Stabilität und Teamfähigkeit. »Wir brauchen Leute, die sozialverträglich sind und die nicht jeden Konflikt zum Äußersten treiben«, sagt Bergner. Nicht geeignet seien »cholerische Menschen mit kur-zer Zündschnur«. Eine lange Lunte haben offenbar Andrea Christ aus dem Siegerland und Rainer Breul aus Münster. Sie beide gehören dem 60. Attaché-Lehrgang an und sind aus einer Heerschar von Bewerbern handverlesen worden. Rund 2000 Bewerber mit abgeschlossenem Studium gab es für den laufenden Kurs, 1200 davon haben den schriftlichen Eingangstest absolviert. Nur jeder Zehnte davon schaffte es in die mündliche Aufnahmeprüfung - und diese schließlich haben 35 Kandidaten bestanden, keine zwei Prozent der Bewerber.
Für Rainer Breul ist es zwar »das höchste Ziel, Botschafter zu werden«. Wichtiger ist dem 25-Jährige allerdings, dass er fachlich und regional immer wieder vor wechselnden Aufgaben stehen wird. Auch mal in Afrika oder im Nahen Osten zu arbeiten, reizt den Diplom-Verwaltungswissenschaftler. Über familiäre Konsequenzen eines auch räumlich bewegten Lebens hat er sich zwar »Gedanken gemacht, aber das kann man ohnehin nicht planen«. Andrea Christ findet sowieso, dass man mögliche Konsequenzen »nicht immer so negativ« sehen sollte. »Schließlich bietet man seinem Partner auch etwas«, sagt die Mutter eines zweijährigen Sohnes. Eine Frau im diplomatischen Dienst zeige ihrem Lebensgefährten, dass sie ihn nicht als Versorger brauche.
Die Islamwissenschaftlerin hat bereits vier Jahre in den palästinensischen Autonomie-Gebieten für die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) gearbeitet, zudem zwei Jahre fürs Auswärtige Amt im Jemen. Damit ist sie »fast schon eine Quereinsteigerin«. Auch sie schätzt die Vielseitigkeit der bevorstehenden Aufgabe am meisten. »Staatssekretärin muss ich nicht unbedingt werden«, sagt sie. Ein reizvolle Aufgabe sei ihr »wichtiger als eine einflussreiche Position«.

Wer sich bewerben kann
Zugelassen zur Aufnahmeprüfung an der so genannten Diplomatenschule des Auswärtigen Amtes werden nur Bewerber mit deutscher Staatsangehörigkeit. Je nach Vorbildung und Interesse stehen drei Ausbildungswege mit folgenden Grundanforderungen offen:

 Höherer Auswärtiger Dienst: abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium, maximal 31 Jahre (Stichtag: 2. Mai), gute Sprechfertigkeit mindestens im Englischen und Französischen (oder im Chinesischen, Russischen, Arabischen, Spanischen), gesundheitliche Eignung.
 Gehobener Dienst: Fachhochschulreife oder Abitur, Höchstalter 31 Jahre bei Einstellung, gute Englischkenntnisse, gesundheitliche Eignung.
 Mittlerer Dienst: Mittlere Reife oder Hauptschulabschluss (dann mit abgeschlossener Berufsausbildung), Alter 18-32 Jahre (bei Ausbildungsaufnahme im September 2006), gute Englischkenntnisse.
 Weitere Informationen: Die Broschüre »Weltweit wir« über die drei genannten Laufbahnen im Auswärtigen D...

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