Der Klassiker im Kühlschrank

In Chemnitz soll Karl Marx auf Eis gelegt werden - und dann wieder auftauen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.

Ein Künstler möchte das Karl-Marx-Monument in Chemnitz in Eis verpacken. Die Stadt hat nichts dagegen. So lange andere Reize noch zu wenig bekannt sind, bleibt der Philosophenkopf ihr wichtigstes Kapital.

Einmal sollte Karl Marx im Schatten eines Stuhls stehen. Schwer vorstellbar angesichts der wuchtigen zwölf Meter, die das Monument des Weltphilosophen in der Chemnitzer Innenstadt aufragt. Die Sitzgelegenheit indes hätte den bronzenen Koloss klein aussehen lassen. »Gullivers Küchenstuhl« sollte das Möbelstück heißen und die Botschaft des Künstlers: Größe ist eben relativ. Es wurde dann nichts aus der netten Idee. Das Geld kam nicht zusammen. Jetzt also soll der Denker auf Eis gelegt werden. Genauer: In Eiswürfel verpackt, deren Dimensionen denen des Denkmals angemessen sind. Je zwei mal ein mal ein Meter, alles in allem 312 kalte Klötze, die um den kantigen Bart, die hohe Stirn und das wallende Haar des Philosophenkopfes gestapelt werden. Im Winter 2007/08 könnte Marx für ein paar Wochen im kühlen Trübeis-Kubus schimmern. Der Mann, dem die Idee von Marx im Frost in den Kopf kam, ist wohl vom Genius Loci inspiriert. Aus seinem Atelier blickt Andreas Bartsch auf die Karl-Marx-Allee in Berlin. Mit Marx hat sich Bartsch, Jahrgang 1958, nur in dem Maße beschäftigt, wie das an einer DDR-Kunsthochschule üblich war. Sein Metier ist das Theater. Er hat Bühnenbilder von Bayreuth über Berlin bis Zittau entworfen. Chemnitz fehlt bislang in der Aufzählung. Dafür schwebt ihm eine Inszenierung mitten in der Stadt vor, die es in sich hat: Marx stünde in einem Würfel von 13 Metern Kantenlänge auf weiter Bühne aus ukrainischem Granit und vor einem Gebäudes, das einst die SED-Bezirksleitung beherbergte, später das Arbeitsamt und eine Vermögensverwaltung des Bundes. Er schiene, schwärmt der Künstler, »geheimnisvoll wie ein Meteor im beleuchteten Kristall«. Filme und »Chiffren« würden auf das matte Eis geworfen, Bilder des Ereignisses ins »weltweite Netz« gespeist und in vielen Ländern auf »magische Quadrate in kontemplativen Räumen« wie Galerien und Museen projiziert. Wer Bartsch in seinem regen Redefluss folgt, ahnt, wie gefesselt er vor dem Ensemble stand, nachdem ihn ein Kulturmanager um Ideen dazu gebeten hatte, wie der sächsischen Stadt zu mehr Bekanntheit zu verhelfen sei. Er stieß auf Marx, dessen Plastik er einen »in Bronze erstarrten, fast gewalttätigen Aufruf« nennt. Je länger er über sein Werk sinniert, das er mit dem Eisexperten Christian Funk umsetzen will und für das Sponsoren rund zwei Millionen Euro locker machen müssten, um so bunter sprießen die Assoziationen. Vom »Kommen und Gehen aller epochalen Ansprüche« ist die Rede und von der Gefahr des »Abschmelzens von Verhältnissen, die der Bourgeoisie abgerungen wurde«. Die Idee, scheint es, ist reif. Jetzt muss sie nur noch zur materiellen Gewalt werden. ....................

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.