Goebbels-Propaganda feiert Auferstehung
Hetz-Kampagne gegen das Cafe Ehrenburg in der Karl-Marx-Allee
Von Peter Kirschey
Einer Rufmordkampagne ist ein neueröffnetes Berliner Cafe in der Karl-Marx-Allee ausgesetzt. Es trägt den Namen Ehrenburg und hat sich am U-Bahnhof Weber wiese etabliert. Die Einrichtung ist spar tanisch, ein Porträt erinnert an den jüdischen sowjetischen Schriftsteller. Doch der Name des Cafes hat bösartige Geister auf den Plan gerufen. «Einen Mokka auf die Mörder» überschrieb eine Sibylle Dreher in einer Vertriebenen-Zeitung ihren Cafe-Report und nannte Ilja Ehrenburg «Stalins Kriegshetzer», der als Schreibtischtäter schuld sei an den Morden an deutschen Frauen, Kindern und Greisen, der die sowjetischen Soldaten zu Massenvergewaltigung aufstachelte.
Vor dem Cafe und in benachbarten Einrichtungen wurden Flugblätter verteilt.
«Das jüdische Leben breitet sich aus», heißt es zur Einstimmung. Darin wird Ehrenburg mit Himmler (Massenmörder und SS-Führer) und Pol Pot (kambodschanischer Führer einer Morddiktatur) in eine Reihe gestellt. Ehrenburg ein «bolschewistischer Volksverhetzer» mit «abartigen Veranlagungen». Weiter heißt es: «E. avancierte zum Chefpropagandisten der Roten Armee. Dort wurde er als Haupteinpeitscher zum Vater des größten Pogroms aller Zeiten.» Kein Wort über die unsäglichen Verbrechen der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion, die Goebbelspropaganda feiert ungehemmt Aufer stehung. Nach «Ehrenburgscher Anweisung» gab es Massenvergewaltigungen deutscher Frauen, weiß das Hetzblatt zu berichten.
Nun werden die Anwohner in unglaublicher Weise unter Druck gesetzt. «Wenn es zukünftig darum geht, dass Polizeiwagen zum Schutz der Immobilie ihr Wohnumfeld vollstellen, wenn es darum geht, Streitigkeiten und hässliche Auseinander Setzungen zu schlichten oder zu unterbinden, dann geht alles auf das Konto der vorsätzlichen Provokation, die mit der Cafe-Namensgebung ILJA EHRENBURG verbunden ist!» Schließlich der Ruf, «geeignete Maßnahmen durchzuführen, um der Verherrlichung des Psychopathen EHRENBURG entgegen zu treten». Schließlich werden die Bürger aufgerufen, sich bei der Presse und dem Bezirksamt zu beschweren: «Vermeiden Sie Formulierungen, die als antisemitisch ausgelegt werden können!»
Bezirksbürgermeisterin Bärbel Grygier (für PDS) bestätigte inzwischen, dass sie und ihre Stadtratskollegen verschiedene Schreiben erhalten haben. Anonyme Papiere, so die Bürgermeisterin, wandern ungelesen in den Papierkorb, den anderen Schreibern wird in aller Sachlichkeit geantwortet.
Ilja Ehrenburg, das ist auch den Cafe- Betreibern bewusst, sprach in dem grausamsten aller Kriege eine grausame Sprache. Er wählte unter dem Eindruck der verbrannten sowjetischen Erde Formulierungen, die aus heutiger Sicht erschaudern lassen. Doch wie anders als unerbittlich konnte er sein gegen jene, die seine Heimat vernichteten, Mordorgien entfesselten und Verbrechen in bisher nie gekannter Dimension verübten? Als Ehrenburg 1942 das «Töte-den-Deutschen»- Flugblatt verfasste, war nach dem Über fall der faschistischen Wehrmacht auf die Sowjetunion nicht die Zeit der feinen Differenzierung, der Unterscheidung in gute und böse Deutsche. Ehrenburgs Aufrufe an die Soldaten der Sowjetarmee sind nur aus der Zeit zu verstehen, in der sie geschrieben wurden und nur unter dem Eindruck der Grausamkeiten, die von Deutschen begangen wurden.
Dafür, dass Ehrenburg zur Vergewaltigung deutscher Frauen aufgestachelt ha-, be, gibt es bei Historikern keine Belege. Viel wahrscheinlicher ist, dass dieser, nie mit einer exakten Quelle wiedergegebene Aufruf Ehrenburgs, angeblich in der «Prawda» oder der «Krasnaja Swesda» veröffentlicht, in der Giftküche des Reichspropagandaministeriums entstand und über die Wehrmacht als Ehrenburg- Zitat verbreitet wurde. Die in Archiven lagernden Originalausgaben der Zeitungen enthalten diese angeblichen Aufrufe nicht. Ehrenburg stand im Fadenkreuz der Nazi- Propaganda. Hitler nannte ihn «Stalins Hausjuden» und schürte damit bei den deutschen Okkupanten den Russen- und Fremdenhass.
Im Cafe Ehrenburg war man doch er schrocken, dass antisemitische und antikommunistische Verleumdungen der faschistschen Kriegspropaganda scheinbar noch immer auf fruchtbaren Boden fallen. Gerichtliche Schritte werden nicht ausgeschlossen. Doch wichtiger scheint die inhaltliche Auseinandersetzung mit den braunen Schreibern. Doch davor schrecken diese, wie sie in dem Flugblatt darlegen, zurück. «Vor einer Diskussion über die Person I. EHRENBURG und die zeitliche Deutung seiner Hetzschriften in und vor dem CAFE wird abgeraten!»
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