Wild gegen West

Im Kino: »Captain Phillips« von Paul Greengrass

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der begehrte Zusatz »nach einer wahren Begebenheit« kann für Filme auch zum Problem werden. Im Falle von »Captain Phillips« von Paul Greengrass trifft das in mehrfacher Weise zu. Zum einen kommt der Versuch einer authentischen Schilderung eines Piratenüberfalls auf ein Containerschiff vor der somalischen Küste einem Gang durchs Minenfeld der Political Correctness gleich: Es lauern die Fallen links wie rechts - in Form einer kolonialen Sichtweise einerseits, oder eines allzu verständnisvollen Blicks auf die hungernden Hasardeure aus Somalia andererseits. Zum anderen sprechen sich Ex-Crew-Mitglieder leidenschaftlich (aber anonym) gegen die Stilisierung von Richard Phillips zum makellosen Helden aus und bezeichnen den Film in der Boulevardzeitung »New York Post« als eine »einzige große Lüge«.

Und so hängt der Satz von der wahren Begebenheit dem Film wie ein Mühlstein um den Hals und belastet ihn unnötig. Denn als handwerklich perfekter und hochspannender Actionthriller funktioniert er hervorragend. Auch das politisch brisante Thema und die peitschenden Elemente kommen der absoluten Spezialität des Regisseurs eigentlich entgegen: In Hollywood vermag zur Zeit niemand den hektischen, pseudo-dokumentarischen Handkamera-Stil in solcher Stimmigkeit umzusetzen wie der Brite Paul Greengrass (»Bloody Sunday«).

Der Regisseur kreiert aus dem Aufeinandertreffen zwischen dem westlichen Container-Monstrum und den ihm zusetzenden Piraten-Nussschalen Szenen von archaischer Wucht, großer Direktheit und stimmiger Symbolik: »Erste« gegen »Dritte« Welt, David gegen Goliath. Oder auch Moby Dick, der von einem somalischen Kapitän Ahab getrieben wird.

Ex-Bundespräsident Horst Köhler warb einst um Verständnis dafür, »dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege«. Jene Handelsrouten sind Achillesfersen des globalen Kapitalismus. Denn will ein Multi sowohl die Hungerlöhne der »Dritten« als auch die lukrativen Märkte der »Ersten Welt« nutzen: Er muss seine in den Armenhäusern gefertigten Waren irgendwie unbehelligt an jenen Armenhäusern vorbeischippern. Um dies zu gewährleisten - und auch begründet mit dem Fall Phillips - kreuzen heute auch deutsche Fregatten am Horn von Afrika.

Captain Phillips tuckerte dort 2009 mit seinem Maersk-Transporter entlang, als sich Punkte auf dem Radar langsam, aber unabwendbar zu nähern begannen. So ein Frachter mag sich auf den ersten Blick wie eine uneinnehmbare, schwimmende Festung ausnehmen. In Wirklichkeit aber ist er ein wehrloser, langsamer Koloss. Die endlos erscheinende Aufholjagd durch die in den Piraten-Job gezwungenen Fischer bestimmt mitreißend den ersten Akt. Den zweiten dominiert das Duell der Hauptdarsteller: ein gewohnt einnehmender Tom Hanks als Captain Phillips und ein faszinierend unterschwellig brodelnder Barkhad Abdi als der Somali Muse. Der dritte - quälendste - Akt beschreibt die tagelange Irrfahrt des Rettungsbootes, in das die Piraten sich schließlich mit Phillips als Geisel retten - bis ein Spezialkommando blutig eingreift.

Dass Greengrass die somalische Perspektive nicht völlig ausblendet, ist löblich. Dem und der unleugbaren Spannung zum Trotz lautet die simple finale Botschaft aber doch wieder: rechtschaffener Westler verteidigt sich gegen entfesselten Wilden.

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