Island spielt verrückt

  • Günter Bork
  • Lesedauer: 3 Min.
Hoffen auf den großen Coup: Erstmals in ihrer 67-jährigen Geschichte bietet sich für die Nationalmannschaft Islands die Chance, sich für eine Fußball-WM zu qualifizieren.

Zwei Grad, Schneeregen und starke Windböen prophezeien die Meteorologen - bisher läuft für die Fußball-Nationalmannschaft Islands alles nach Wunsch. Die äußerst widrige Witterung auf ihrer Insel im Nordatlantik könnte den »Eismännern« in die Karten spielen, um im Playoff-Hinspiel am Freitag gegen Kroatien den ersten Coup auf dem Weg zur größten Sensation in der 67-jährigen Länderspielgeschichte zu landen. Island träumt von der ersten Teilnahme an einer WM-Endrunde - der ersten Qualifikation für ein großes Turnier überhaupt.

In den vergangenen Jahren machte die Insel mehr Schlagzeilen wegen des Zusammenbruchs ihrer Großbanken im Rahmen der Finanzkrise und des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull, der 2010 sogar den europäischen Flugverkehr lahmlegte. Doch derzeit »reden die Menschen über nichts anderes als über diese beiden Spiele gegen Kroatien«, berichtet der ehemalige Stuttgarter und Berliner Bundesliga-Profi Eyjolfur Sverrisson. Die 12 000 Karten für das erste Duell mit den Kroaten im Nationalstadion in Reykjavik waren trotz des überraschend von acht auf vier Uhr morgens vorverlegten Start des Vorverkaufs innerhalb kürzester Zeit vergriffen, was für reichlich Frust und Ärger sorgte. Denn seit Island die Qualifikationsrunde als Gruppenzweiter hinter der Schweiz und vor Slowenien sowie Norwegen beendete, spielt eine ganze Nation verrückt.

Das Wunder von Bern

Islands Zeitungen, die bisher allenfalls von internationalen Erfolgen ihrer Handballer berichten konnten, übertreffen sich seit dem »Wunder von Bern« im September, als ihr Nationalteam nach einem 1:4-Rückstand im Gruppenspiel gegen die von Ottmar Hitzfeld betreute Schweiz noch ein 4:4 erkämpfte, mit Superlativen. Für den 65-jährigen Trainerroutinier Lars Lagerbäck kommt der Höhenflug seiner Mannschaft nicht überraschend. Bereits im vergangenen Jahr konnte sich die U21-Auswahl des nationales Verbandes, dessen Bezeichnung Knattspyrnusamband jeden Mitteleuropäer verzweifeln lässt, erstmals für die EM-Endrunde qualifizieren. Nun beginnt für Lagerbäck die Ernte. Sein Kader ist jung, viele Spieler sind erst knapp über 20 Jahre alt und stehen teilweise bei renommierten Klubs in diversen europäischen Ligen unter Vertrag.

»Ich habe schon bei der Auslosung gehört, dass alle gegen Island spielen wollten. Sicherlich sind wir Außenseiter. Wenn wir jedoch am Limit spielen, haben wir gute Chancen«, sagte Lagerbäck der einst auch Schwedens betreute. Der Trainer setzt auf das Selbstvertrauen seiner Youngster. Die Hoffnungen ruhen besonders auf Kolbeinn Sigthórsson von Ajax Amsterdam. Sein Name verpflichtet und soll Programm werden. In Amsterdam stehen schon sieben Saisontore für den 23-Jährigen in der Statistik. In der WM-Qualifikation erzielte er vier Treffer in den letzten vier Gruppenspielen. Nur die Defensive bereitet Lagerbäck noch ein wenig Kopfzerbrechen.

Uneingeschränkt ist hingegen das Vertrauen der Insulaner in ihr Nationalteam. Die Bewohner platzen derzeit vor Stolz, wenn das Gespräch auf ihre Fußballer kommt. Allein die Tatsache, dass ihr Land mit dem kleinen Reservoir aus rund 20 000 Aktiven den großen Fußballnationen gehörigen Respekt abverlangt, sorgt für tiefe Genugtuung. Unabhängig vom Wetter am Freitagabend auf der Insel unweit des nördlichen Polarkreises: Die Kroaten müssen sich warm anziehen. SID

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