»Den einzelnen Soldaten macht nur die eigene Tat zum Verbrecher«

ND-Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma, Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Seit einer Woche ist in Berlin die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944« vom Hamburger Institut für Sozialforschung in den Kunst-Werken in der Auguststraße zu sehen. ND sprach mit dem Leiter des Instituts, Jan Philipp Reemtsma.

ND: Angehörige der Wehrmacht haben mit Empörung auf die alte und neue Ausstellung Ihres Instituts reagiert. Sind Soldaten, die in einer Armee gedient haben, die Verbrechen begangen hat, Verbrecher?
Wie Veteranen der Wehrmacht auf die zweite Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht reagieren, wird man ja wohl abwarten müssen. Auf die erste haben viele empört reagiert, viele aber auch mit Zustimmung. Nun zu Ihrer Frage. Nein, sie sind als bloße Angehörige einer solchen Organisation selbstverständlich keine Verbrecher. Aber sie haben einer Organisation angehört, die als Organisation Verbrechen begangen hat. Und das ist für diejenigen ein Problem, die sich noch heute mit dieser Organisation identifizieren und ihre eigene Biografie über diese Zugehörigkeit definieren.

ND: War die Naziwehrmacht eine verbrecherische Organisation?
Das kommt darauf an, was Sie damit sagen wollen. Der Nürnberger Gerichtshof hat weder die Wehrmacht als solche, noch das Oberkommando der Wehrmacht, noch den Generalstab zu verbrecherischen Organisationen erklärt. Das Kriterium war aber nicht »Verbrechen«, sondern »Organisation«. Die drei Genannten entsprachen nicht der vor Prozessbeginn festgelegten Definition von Organisation. Man konnte der Wehrmacht nicht beitreten wie einem Verein und sie auch nicht einfach wieder verlassen.
Wenn Sie den Begriff der Organisation in einem etwas weiteren Sinne verwenden und nur die Frage stellen, ob die Verbrechen der Wehrmacht zufällig von Individuen oder einzelnen Einheiten begangen worden sind, oder ob sie systematisch auf Grund der Planung für den Krieg im Osten und des vorgängigen Für-unverbindlich-Erklärens kriegs- und völkerrechtlicher Bestimmungen begangen worden sind, können Sie davon sprechen, dass die Wehrmacht als Organisation Verbrechen begangen hat, und sie dann eine »verbrecherische Organisation« nennen, wenn Sie wollen. Den einzelnen Soldaten macht aber nur die eigene Tat zum Verbrecher.

ND: Und wie steht es mit der Waffen-SS?
Ich zitiere aus dem Nürnberger Urteil: »Die SS wurde zu Zwecken verwandt, die nach dem Statut verbrecherisch waren. (...) Bei Behandlung der SS schließt der Gerichtshof alle Personen ein, die offiziell als Mitglieder in die SS aufgenommen worden waren, einschließlich der Mitglieder der Allgemeinen SS, der Mitglieder der Waffen-SS...«

ND: Ein weiteres Argument der Ausstellungsgegner: Als Soldat im Krieg hat man keine Entscheidungsspielräume.
Man hat andere als im normalen Leben, gewiss. Aber wenn man von Befehl und Gehorsam redet, vergisst man meistens, dass ein Befehl sehr oft eine Handlungsanweisung ist, der man zwar zu folgen hat, die aber oft offen lässt, in welcher Weise man ihr folgt. Das ist das eine. Das andere ist, dass es doch starke Indizien dafür gibt, dass Befehlsverweigerungen im Falle rechtswidriger Handlungen anders behandelt wurden als im Falle »normaler« Kriegshandlungen. Wir kennen Fälle, wo Weigerungen, verbrecherischen Befehlen zu folgen, nicht bestraft wurden, und kennen umgekehrt keinen Fall, wo jemand vor der Wahl stand, ein Verbrechen zu begehen oder, im Weigerungsfall, erschossen zu werden. Das heißt nicht, dass nicht vielleicht ein solcher Fall noch auftauchen kann, aber bisher ist das meines Wissens nicht der Fall gewesen.

ND: Und ein drittes Gegenargument: Deutsche Soldaten - mit einigen Ausnahmen, die die jeweiligen Kommandeure zu verantworten hätten - haben immer nur auf Terrorakte der Partisanen reagiert. Geiselerschießungen waren legitim, behauptet ein Berliner Historiker.
Das damalige Kriegsrecht sah eine Reihe von Maßnahmen vor, die wir heute als legalisierte Barbarei bezeichnen würden, so etwa im Falle von Partisanenüberfällen drastische Repressalien gegen die Zivilbevölkerung sowie Geiselnahme und Geiselerschießungen. Es gab hierfür keine schriftlich fixierten - ja, man muss das scheußliche Wort verwenden: Quotenregeln. Aber es gab gewisse internationale Gewohnheiten, die von der Wehrmacht überboten wurden. Das ging bis zu »Sühnequoten« von 100:1. Dieser Bereich ist eine Grauzone, die sich zunehmend ins Schwarze verschiebt.
Davon zu unterscheiden ist aber die Identifizierung von Partisanen und Juden, wie sie in Planungen, Lehrgängen und Befehlen vor Ort immer wieder auftritt. Schon bevor der Partisanenkrieg militärische Bedeutung erlangt, muss er für die Rechtfertigung von Massakern unter der jüdischen Bevölkerung herhalten.

ND: Herr Reemtsma, Sie wurden im Zusammenhang mit der Ausstellung auch zur Zielscheibe wütender Attacken konservativer Kreise. »Deutschlandhasser« oder »linker Geschichtsfälscher« gehören noch zu den harmlosen Umschreibungen. Wie reagieren Sie auf diese Flut?
Die Kreise, aus denen solche Epitheta kommen, sind mit »konservativ« falsch etikettiert. Konservativ bin ich selber, in mancherlei Hinsicht jedenfalls. Und wie ich reagiere? Öffentlich gar nicht.

ND: Die Ausstellung treibt besonders junge Rechtsextreme auf die Barrikaden, die weder die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, noch über fundierte Geschichtskenntnisse verfügen. Wie kann man jene dazu bringen, sich die Ausstellung vorurteilsfrei anzuschauen?
Gar nicht. Jemand ist ja nicht darum rechtsradikal, weil er falsch informiert ist. Jemand ist rechtsradikal, weil es ihm Spaß macht, bestimmte Leute zu hassen. Glauben Sie doch nicht, dass die Teilnehmer der NPD-Demonstration gegen die Ausstellung ihre Väter und Großväter gegen Verleumdung in Schutz nehmen wollen. Sie müssen das in solche Parolen kleiden, aber mehrheitlich dürften sie der Meinung sein, dass der Krieg der Wehrmacht im Osten gerade wegen der Verbrechen, die dort begangen worden sind, genau das Richtige gewesen ist.

ND: Sind geschichtliche Ereignisse von solchen Dimensionen, wie es Kriege sind, überhaupt von einzelnen Menschen beeinflussbar, oder gewinnen sie eine Eigendynamik, dass sie nicht mehr kontrolliert werden können?
Ohne Hitler keinen Zweiten Weltkrieg. Die Entscheidung zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima hat Truman getroffen. Hätte er sie nicht getroffen, wäre sie nicht abgeworfen worden. Nixon und Gorbatschow haben Kriege beendet, die noch Jahre hätten weitergeführt werden können. Wenn Sie es also so meinen mit den Einzelnen: selbstverständlich. Wenn Sie fragen, ob ein einzelner Soldat einen Krieg beenden kann, lautet die Antwort: selbstverständlich nicht. Wenn Sie aber darauf hinauswollen, dass es für den Einzelnen doch ganz sinnlos sei, sich zu weigern, ein Verbrechen zu begehen, weil das Morden doch auf jeden Fall weitergehe, so sollten Sie daran denken, dass sich Moral mit der Frage befasst, wie der Einzelne handeln soll. Hannah Arendt hat es so formuliert: Der Einzelne steht zuweilen vor der Frage, ob er für den Rest seines Lebens mit einem Mörder zusammenleben will: mit sich selbst.

ND: Wie würden Sie Zivilcourage unter militärischen Bedingungen definieren?
»Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«

ND: Haben Sie eine Botschaft, die Sie an Nachkriegsgenerationen weitergeben möchten? Was bewegt Sie, sich besonders mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und dem deutschen Beitrag zu beschäftigen?
Ich habe weder eine Botschaft, und mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beschäftige ich mich nur unter anderem.

ND: Die Ausstellung dokumentiert ja auch Widerstand innerhalb der Wehrmacht. Unabhängig von den Frauen und Männern des 20. Juli, wie stark war die Gegenwehr gegen Hitlers Eroberungspläne unter den Militärs beim Soldaten und beim Offizier?
Die Frage ist - zumal so unpräzise wie Sie sie stellen - nicht zu beantworten. Auf jeden Fall waren es zu wenige.

ND: Bei den Kritikern der Ausstellung spielt das so genannte Kriegsrecht eine nicht unerhebliche Rolle. Ist Krieg nicht immer ein Verbrechen gegen die Zivilisation, auch wenn er sich an bestimmte Spielregeln hält?
Ich kenne die Kritiker, die Sie anführen, nicht. Die Ausstellung dokumentiert Verbrechen im Sinne des Verstoßes gegen internationales und nationales Recht. »Verbrechen gegen die Zivilisation« ist ein metaphorischer Gebrauch des Wortes »Recht«, um den es nicht geht. Es geht auch nicht um »Spielregeln«. Sie können mit General Sherman sagen: »War is hell.« Einverstanden. Aber es wäre doch leichtfertig, den Unterschied zwischen Kriegen, in denen nur Heere aufeinander schießen und Kriegen, in denen außerdem Zivilisten zu Abertausenden niedergemetzelt werden und die Lebensgrundlagen einer ganzen Nation zerstört werden sollten und teilweise zerstört wurden, nicht sehen zu wollen. Die Analyse der Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht ist ein Instrument der Analyse des NS-Systems und der von ihm in Gang gebrachten Gewaltdynamik.

ND: Im Zusammenhang mit dem Dienst in der Wehrmacht fallen immer wieder Begriffe wie Ehre und Treue. Das Leben geben für das Vaterland war für viele Soldaten Motivation, in die Schlacht zu ziehen. Haben sie ihr Leben für ein Verbrechen oder für das Vaterland geopfert?
»Unsere Ehre heißt Treue« war übrigens der Wahlspruch der SS. Die deutschen Gefallenen sind für ein verbrecherisches Regime gestorben, und ein großer Teil von ihnen hätte die Unterscheidung von Regime und Vaterland, die Sie machen, nicht getroffen.

ND: Der Zweite Weltkrieg war nicht die letzte militärische Auseinandersetzung im vergangenen und in dem noch jungen Jahrhundert. Ist die Grundaussage der Ausstellung auch in der Weise zu interpretieren, dass in jedem Krieg Verbrechen begangen werden?
Nein. Es geht der Ausstellung nicht um Krieg schlechthin, sondern um einen bestimmten Krieg im zwanzigsten Jahrhundert, einen Krieg, der in der Moderne seit dem Dreißigjährigen Krieg ohne Präzedenz war. Es geht darum, zu zeigen, was ihn dazu machte.

ND: Gibt es gerechte Kriege? Führen Kriege, selbst wenn sie unter einem plausiblen Motto geführt werden, nicht immer wieder zu neuem Hass und zu neuer Kriegsgefahr?
Die Redeweise vom »gerechten Krieg« ist keine, die ich übernehmen würde, sie kann sich von ihrem theologischen Ursprung schwer freimachen. Aber ich bin kein Pazifist. Der D-Day war ein großer Tag für die menschliche Zivilisation und auch für Deutschland.

Fragen: Peter KirscheyND: Angehörige der Wehrmacht haben mit Empörung auf die alte und neue Ausstellung Ihres Instituts reagiert. Sind Soldaten, die in einer Armee gedient haben, die Verbrechen begangen hat, Verbrecher?
Wie Veteranen der Wehrmacht auf die zweite Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht reagieren, wird man ja wohl abwarten müssen. Auf die erste haben viele empört reagiert, viele aber auch mit Zustimmung. Nun zu Ihrer Frage. Nein, sie sind als bloße Angehörige einer solchen Organisation selbstverständlich keine Verbrecher. Aber sie haben einer Organisation angehört, die als Organisation Verbrechen begangen hat. Und das ist für diejenigen ein Problem, die sich noch heute mit dieser Organisation identifizieren und ihre eigene Biografie über diese Zugehörigkeit definieren.

ND: War die Naziwehrmacht eine verbrecherische Organisation?
Das kommt darauf an, was Sie damit sagen wollen. Der Nürnberger Gerichtshof hat weder die Wehrmacht als solche, noch das Oberkommando der Wehrmacht, noch den Generalstab zu verbrecherischen Organisationen erklärt. Das Kriterium war aber nicht »Verbrechen«, sondern »Organisation«. Die drei Genannten entsprachen nicht der vor Prozessbeginn festgelegten Definition von Organisation. Man konnte der Wehrmacht nicht beitreten wie einem Verein und sie auch nicht einfach wieder verlassen.
Wenn Sie den Begriff der Organisation in einem etwas weiteren Sinne verwenden und nur die Frage stellen, ob die Verbrechen der Wehrmacht zufällig von Individuen oder einzelnen Einheiten begangen worden sind, oder ob sie systematisch auf Grund der Planung für den Krieg im Osten und des vorgängigen Für-unverbindlich-Erklärens kriegs- und völkerrechtlicher Bestimmungen begangen worden sind, können Sie davon sprechen, dass die Wehrmacht als Organisation Verbrechen begangen hat, und sie dann eine »verbrecherische Organisation« nennen, wenn Sie wollen. Den einzelnen Soldaten macht aber nur die eigene Tat zum Verbrecher.

ND: Und wie steht es mit der Waffen-SS?
Ich zitiere aus dem Nürnberger Urteil: »Die SS wurde zu Zwecken verwandt, die nach dem Statut verbrecherisch waren. (...) Bei Behandlung der SS schließt der Gerichtshof alle Personen ein, die offiziell als Mitglieder in die SS aufgenommen worden waren, einschließlich der Mitglieder der Allgemeinen SS, der Mitglieder der Waffen-SS...«

ND: Ein weiteres Argument der Ausstellungsgegner: Als Soldat im Krieg hat man keine Entscheidungsspielräume.
Man hat andere als im normalen Leben, gewiss. Aber wenn man von Befehl und Gehorsam redet, vergisst man meistens, dass ein Befehl sehr oft eine Handlungsanweisung ist, der man zwar zu folgen hat, die aber oft offen lässt, in welcher Weise man ihr folgt. Das ist das eine. Das andere ist, dass es doch starke Indizien dafür gibt, dass Befehlsverweigerungen im Falle rechtswidriger Handlungen anders behandelt wurden als im Falle »normaler« Kriegshandlungen. Wir kennen Fälle, wo Weigerungen, verbrecherischen Befehlen zu folgen, nicht bestraft wurden, und kennen umgekehrt keinen Fall, wo jemand vor der Wahl stand, ein Verbrechen zu begehen oder, im Weigerungsfall, erschossen zu werden. Das heißt nicht, dass nicht vielleicht ein solcher Fall noch auftauchen kann, aber bisher ist das meines Wissens nicht der Fall gewesen.

ND: Und ein drittes Gegenargument: Deutsche Soldaten - mit einigen Ausnahmen, die die jeweiligen Kommandeure zu verantworten hätten - haben immer nur auf Terrorakte der Partisanen reagiert. Geiselerschießungen waren legitim, behauptet ein Berliner Historiker.
Das damalige Kriegsrecht sah eine Reihe von Maßnahmen vor, die wir heute als legalisierte Barbarei bezeichnen würden, so etwa im Falle von Partisanenüberfällen drastische Repressalien gegen die Zivilbevölkerung sowie Geiselnahme und Geiselerschießungen. Es gab hierfür keine schriftlich fixierten - ja, man muss das scheußliche Wort verwenden: Quotenregeln. Aber es gab gewisse internationale Gewohnheiten, die von der Wehrmacht überboten wurden. Das ging bis zu »Sühnequoten« von 100:1. Dieser Bereich ist eine Grauzone, die sich zunehmend ins Schwarze verschiebt.
Davon zu unterscheiden ist aber die Identifizierung von Partisanen und Juden, wie sie in Planungen, Lehrgängen und Befehlen vor Ort immer wieder auftritt. Schon bevor der Partisanenkrieg militärische Bedeutung erlangt, muss er für die Rechtfertigung von Massakern unter der jüdischen Bevölkerung herhalten.

ND: Herr Reemtsma, Sie wurden im Zusammenhang mit der Ausstellung auch zur Zielscheibe wütender Attacken konservativer Kreise. »Deutschlandhasser« oder »linker Geschichtsfälscher« gehören noch zu den harmlosen Umschreibungen. Wie reagieren Sie auf diese Flut?
Die Kreise, aus denen solche Epitheta kommen, sind mit »konservativ« falsch etikettiert. Konservativ bin ich selber, in mancherlei Hinsicht jedenfalls. Und wie ich reagiere? Öffentlich gar nicht.

ND: Die Ausstellung treibt besonders junge Rechtsextreme auf die Barrikaden, die weder die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, noch über fundierte Geschichtskenntnisse verfügen. Wie kann man jene dazu bringen, sich die Ausstellung vorurteilsfrei anzuschauen?
Gar nicht. Jemand ist ja nicht darum rechtsradikal, weil er falsch informiert ist. Jemand ist rechtsradikal, weil es ihm Spaß macht, bestimmte Leute zu hassen. Glauben Sie doch nicht, dass die Teilnehmer der NPD-Demonstration gegen die Ausstellung ihre Väter und Großväter gegen Verleumdung in Schutz nehmen wollen. Sie müssen das in solche Parolen kleiden, aber mehrheitlich dürften sie der Meinung sein, dass der Krieg der Wehrmacht im Osten gerade wegen der Verbrechen, die dort begangen worden sind, genau das Richtige gewesen ist.

ND: Sind geschichtliche Ereignisse von solchen Dimensionen, wie es Kriege sind, überhaupt von einzelnen Menschen beeinflussbar, oder gewinnen sie eine Eigendynamik, dass sie nicht mehr kontrolliert werden können?
Ohne Hitler keinen Zweiten Weltkrieg. Die Entscheidung zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima hat Truman getroffen. Hätte er sie nicht getroffen, wäre sie nicht abgeworfen worden. Nixon und Gorbatschow haben Kriege beendet, die noch Jahre hätten weitergeführt werden können. Wenn Sie es also so meinen mit den Einzelnen: selbstverständlich. Wenn Sie fragen, ob ein einzelner Soldat einen Krieg beenden kann, lautet die Antwort: selbstverständlich nicht. Wenn Sie aber darauf hinauswollen, dass es für den Einzelnen doch ganz sinnlos sei, sich zu weigern, ein Verbrechen zu begehen, weil das Morden doch auf jeden Fall weitergehe, so sollten Sie daran denken, dass sich Moral mit der Frage befasst, wie der Einzelne handeln soll. Hannah Arendt hat es so formuliert: Der Einzelne steht zuweilen vor der Frage, ob er für den Rest seines Lebens mit einem Mörder zusammenleben will: mit sich selbst.

ND: Wie würden Sie Zivilcourage unter militärischen Bedingungen definieren?
»Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«

ND: Haben Sie eine Botschaft, die Sie an Nachkriegsgenerationen weitergeben möchten? Was bewegt Sie, sich besonders mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und dem deutschen Beitrag zu beschäftigen?
Ich habe weder eine Botschaft, und mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beschäftige ich mich nur unter anderem.

ND: Die Ausstellung dokumentiert ja auch Widerstand innerhalb der Wehrmacht. Unabhängig von den Frauen und Männern des 20. Juli, wie stark war die Gegenwehr gegen Hitlers Eroberungspläne unter den Militärs beim Soldaten und beim Offizier?
Die Frage ist - zumal so unpräzise wie Sie sie stellen - nicht zu beantworten. Auf jeden Fall waren es zu wenige.

ND: Bei den Kritikern der Ausstellung spielt das so genannte Kriegsrecht eine nicht unerhebliche Rolle. Ist Krieg nicht immer ein Verbrechen gegen die Zivilisation, auch wenn er sich an bestimmte Spielregeln hält?
Ich kenne die Kritiker, die Sie anführen, nicht. Die Ausstellung dokumentiert Verbrechen im Sinne des Verstoßes gegen internationales und nationales Recht. »Verbrechen gegen die Zivilisation« ist ein metaphorischer Gebrauch des Wortes »Recht«, um den es nicht geht. Es geht auch nicht um »Spielregeln«. Sie können mit General Sherman sagen: »War is hell.« Einverstanden. Aber es wäre doch leichtfertig, den Unterschied zwischen Kriegen, in denen nur Heere aufeinander schießen und Kriegen, in denen außerdem Zivilisten zu Abertausenden niedergemetzelt werden und die Lebensgrundlagen einer ganzen Nation zerstört werden sollten und teilweise zerstört wurden, nicht sehen zu wollen. Die Analyse der Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht ist ein Instrument der Analyse des NS-Systems und der von ihm in Gang gebrachten Gewaltdynamik.

ND: Im Zusammenhang mit dem Dienst in der Wehrmacht fallen immer wieder Begriffe wie Ehre und Treue. Das Leben geben für das Vaterland war für viele Soldaten Motivation, in die Schlacht zu ziehen. Haben sie ihr Leben für ein Verbrechen oder für das Vaterland geopfert?
»Unsere Ehre heißt Treue« war übrigens der Wahlspruch der SS. Die deutschen Gefallenen sind für ein verbrecherisches Regime gestorben, und ein großer Teil von ihnen hätte die Unterscheidung von Regime und Vaterland, die Sie machen, nicht getroffen.

ND: Der Zweite Weltkrieg war nicht die letzte militärische Auseinandersetzung im vergangenen und in dem noch jungen Jahrhundert. Ist die Grundaussage der Ausstellung auch in der Weise zu interpretieren, dass in jedem Krieg Verbrechen begangen werden?
Nein. Es geht der Ausstellung nicht um Krieg schlechthin, sondern um einen bestimmten Krieg im zwanzigsten Jahrhundert, einen Krieg, der in der Moderne seit dem Dreißigjährigen Krieg ohne Präzedenz war. Es geht darum, zu zeigen, was ihn dazu machte.

ND: Gibt es gerechte Kriege? Führen Kriege, selbst wenn sie unter einem plausiblen Motto geführt werden, nicht immer wieder zu neuem Hass und zu neuer Kriegsgefahr?
Die Redeweise vom »gerechten Krieg« ist keine, die ich übernehmen würde, sie kann sich von ihrem theologischen Ursprung schwer freimachen. Aber ich bin kein Pazifist. Der D-Day war ein großer Tag für die menschliche Zivilisation und auch für Deutschland.

Fragen: Peter Kirschey

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