Fehlerliste voller Fehler

»Das Auge des Zeus«: Der italienische Historiker Luciano Canfora hat seinen Kritikern geantwortet

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Canfora und keine Ende. Und das ist auch gut so. Manche Dinge wollen eben ausdiskutiert werden, bevor niemand mehr weiß, worum es sich dabei irgendwann einmal gehandelt hat.

Zur Erinnerung: Der italienische Altphilologe und -historiker Luciano Canfora hat ein Buch über die Geschichte der Demokratie geschrieben, das in Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und den USA von den führenden Fachverlagen veröffentlicht wurde. In Deutschland hatte C.H. Beck den Band übernommen, weigerte sich aber im November 2005, ihn zu drucken.
Zur Begründung verwies der Verlag unter anderem auf eine Stellungnahme des Bielefelder Emeritus Hans-Ulrich Wehler. Inzwischen ist herausgekommen, dass es sich gar nicht um ein formelles Gutachten handelt, sondern um einen offenbar hastig herunterdiktierten Brief, dessen Verfasser dem Cheflektor, einem Dr. Felken, schreibt, er teile in allen Punkten seine negative Meinung über das Buch und wünsche ihm »frohes Schaffen«.
Man wundert sich darüber, dass der Verlag dieses Dokument anschließend der Öffentlichkeit übergeben hat. Offenbar befand er sich in arger Argumentationsnot. Man wird sich die Sache jetzt wohl so vorstellen müssen, dass der Cheflektor irgendwann einmal kalte Füße bekam, eine »Fehlerliste« an Hausautoren herumschickte und sich von ihnen seine Bedenken bestätigen ließ. Über Wehler urteilte Ilse Staff in der Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte, er habe »kein Gutachten präsentiert, das in Form und Inhalt wissenschaftlichen Standards entspricht, sondern aus einer ungegliederten Aneinanderreihung von Behauptungen besteht«.
Die Sache ist aber doch noch einmal gut ausgegangen. Nicht C.H. Beck hat Canforas Buch in Deutschland veröffentlicht, sondern der kleine PapyRossa Verlag in Köln. Es wurde im Mai in Bonn unter großem Andrang vorgestellt und verkauft sich gut. Happy End.
Totgeschwiegen wird Luciano Canforas Buch »Eine kurze Geschichte der Demokratie« auch nicht. Die »Süddeutsche Zeitung«, die im November schon dem C.H. Beck Verlag sekundiert hatte, hat es besprochen und alle ihre Befürchtungen bestätigt gefunden. Sven K. Kellerhoff präsentierte in der »Welt« eine Liste von horrenden Falschbehauptungen, die angeblich in dem Buch stehen. Zum Beispiel schreibe Canfora, die Alliierten hätten 1918 die Regierung Max von Baden »eingesetzt« und de Gaulle sei am Angriff der Entente gegen Sowjetrussland nach dem Frieden von Brest-Litowsk »entscheidend« beteiligt gewesen.

Kapitale Böcke?
Au weh. Da scheint der italienische Autor ja tatsächlich ein paar kapitale Böcke geschossen zu haben. Merkwürdig ist allerdings, dass keines der von Kellerhoff präsentierten Zitate sich in dem Buch »Eine kurze Geschichte der Demokratie«, verfasst von Luciano Canfora und auf Deutsch veröffentlicht im Kölner PapyRossa Verlag, findet. Klar und deutlich: Sie stehen nicht drin.
Hat Sven K. Kellerhoff sich diese Stellen etwa aus den Fingern gesogen? Immerhin befinden wir uns hier bei Springer. Aber gerade in den Zeitungen dieses Verlags werden die Lügen in der Regel doch so verpackt, daß man sie nicht überprüfen kann. Hier aber kann man es, und die Erklärung für Kellerhoffs Patzer ist diese:
Er hat gar nicht aus dem Buch zitiert, sondern aus einer »Fehlerliste«, die Lektor Felken schon im November 2005 herumschickte. Diese wiederum beruht auf einer bei C.H. Beck angefertigten mangelhaften Rohübersetzung. Dass sie Schwächen hatte, stellt keine Sensation dar. Rohübersetzungen sind meist so. Hat man sich zum endgültigen Druck entschlossen, werden sie überarbeitet, und niemand merkt es. Nachdem aber C.H. Beck sich aus offenbar politischen Gründen für Ablehnung entschieden hatte, machte der Verlag aus seinen eigenen Übersetzungs-Schnitzern eine »Fehlerliste«, die sowohl von den »Gutachtern« als auch vom »Welt«-Journalisten zitiert wird. Man fürchtete allerdings eine gerichtliche Auseinandersetzung, weil schon ein gültiger Vertrag vorlag. Deshalb wurde die Rohübersetzung kostenlos dem PapyRossa Verlag überlassen.

Tricks der Gegner
Der entdeckte bald, dass er ein Danaer-Geschenk erhalten hatte. Monatelang lang musste in diesem sehr kleinen Verlag - ein Zwei-Mann-Betrieb - unter erheblichem zusätzlichem (auch finanziellem) Aufwand die fehlerhafte Beck-Übersetzung eingerenkt werden.
Woher wissen wir das alles? Von Luciano Canfora selbst. Er hat jetzt eine Broschüre verfasst, in der er die Tricks seiner Gegner auseinandernimmt. Das Resultat liest sich sehr ergötzlich. Unter anderem erfährt man, dass der Dr. Felken seine »Fehlerliste« zwar auf die mangelhafte Rohübersetzung stützt, zur Tarnung aber jeweils die Seitenzahl der gedruckten italienischen Ausgabe anführt.
Erfreulich ist, dass Luciano Canfora sich nicht mit solcher Detektivarbeit begnügt. Er geht auf den Kern der Sache los: die Verwechselung von Demokratie und Liberalismus, die Eindimensionalität einer selbstzufriedenen Geschichtsauffassung, die nur noch Letzteren gelten läßt und dabei vergessen machen will, daß seine neudeutsche Variante auf einem Gründungsverbrechen beruht, zu dessen Kurierung ein Gegengift verabreicht werden musste: ein allerdings mit Fehlern behafteter Sozialismus.
Verfasst ist dies alles in einem glänzenden Stil. Somit ist die Broschüre - »Das Auge des Zeus« - eine gleichermaßen vergnügende wie belehrende Nachschrift zur »Kurzen Geschichte der Demokratie« von Luciano Canfora.

Luciano Canfora: Das Auge des Zeus. Deutsche Geschichtsschreibung zwischen Dummheit und Demagogie. Antwort an meine Kritiker. Konkret te...

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