Werbung

Endzeit

James Gordon Farrell führt ins Jahr 1919

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

Für das »Majestic« ist die große Zeit längst vorbei. Am erfolgreichsten war das riesige Hotel an der Ostküste Irlands, irgendwo in der Grafschaft Wexford, um 1880. Damals wimmelte es hier nur so von Menschen, man gab Bälle, auf denen die ganze Nacht durchgetanzt wurde, und unten am Steg legten die Yachten zu den Regatten an. Nun, zur Zeit der Geschichte, die James Gordon Farrell in seinem Roman »Troubles« erzählt, sind es nur noch ein paar alte Damen, die von dieser »guten Gesellschaft« übrig geblieben sind.

Major Brendan Archer, immer nur »der Major« genannt, ist der jüngste Gast, als er im Sommer 1919 anreist. Kurz zuvor hatte er ein Sanatorium verlassen, wo er gewesen war, um sich von den Toten aus den Schützengräben Frankreichs zu befreien, die ihn in seinen nächtlichen Träumen heimsuchen. Er weiß nicht mehr genau, warum sich Angela Spencer, die Tochter des »Majestic«-Besitzers, für seine Verlobte hält. Er hatte sich während des Krieges mit ihr geschrieben und will mit seinem Besuch versuchen, das Missverständnis auszuräumen. Nur, dass sich Angela immer wieder einem Gespräch entzieht. Und ihr Vater, Edward Spencer, tut bereits so, als wäre er sein Schwiegersohn. Als Angela krank wird, ihr Zimmer nicht mehr verlässt und kurz darauf stirbt, ist der Major überrascht. Niemand hatte ihm gesagt, dass sie an Leukämie litt.

»Troubles« ist der erste Roman, der von Booker-Preisträger James Gordon Farrell auf Deutsch erscheint. Der Roman ist eine kleine Entdeckung. Es ist der zweite Band der Empire-Trilogie, die sich mit den Konsequenzen des britischen Kolonialreiches beschäftigt. Anhand des »Majestic« und seiner Bewohner wird die Geschichte von dessen Untergang erzählt. Für die Lektüre wichtiger aber als die vielen metaphorischen und allegorischen Anspielungen ist die Atmosphäre, die Farrell erzeugt.

Man fühlt sich an Joseph Roths »Radetzkymarsch« erinnert, an Leutnant Trotta, der wie Major Archer eine Welt untergehen sieht, die ihm vertraut war und dem die neue, von Radikalität und Gewalt geprägte Welt, fremd bleibt.

Die Anschläge der irischen Befreiungsbewegung Sinn Féin, deren Anhänger sich nach der blutigen Niederschlagung des Dubliner Osteraufstands 1916 radikalisiert hatten, rücken immer näher. Im Gegensatz zu Edward Spencer hält der Major zwar die Vergeltungsaktionen der britischen Polizei, die schon mal einen ganzen Ort in Schutt und Asche legt, für falsch. Andererseits aber glaubt er an die Ordnung des Empire und es gelingt ihm nicht, irgendeine Alternative zu entwickeln, die nicht darin bestünde, Irland einfach zu verlassen. Stattdessen harrt er mit den alten Damen im Hotel aus, ständig genervt von dem zwischen Untätigkeit und Gewalt hin und her schwankend Edward Spencer. Er hilft, wo es gerade nötig ist, und verzehrt sich in unglücklicher Liebe zu Sarah Devlin, der Tochter eines irischen Nachbarn der Spencers.

Im Aufeinandertreffen von britischer Zivilisation und den Umwälzungen der Moderne hat »Troubles« oft etwas Komisches. Die Herren der Welt landen aufgrund ihrer Privilegien und ihrer Ignoranz in einer aussichtslosen Lage. Es sind Aporien des Lebens, wie man sie auch bei Tschechow findet, wo Adel und Bürgertum am Vorabend ihrer Absetzung ebenfalls nicht ohne Komik in Langeweile zu versinken drohen.

In ihrem Scheitern bekommen sie etwas Sympathisches, während ihr Schicksal gleichzeitig allgemeinmenschliche Erkenntnisse vermittelt. Erkenntnisse, die unter anderem auch deshalb zeitlos sind, weil die herrschende Klasse des britischen Empires ja nicht ersatzlos verschwand, sondern - wie bisher noch jede herrschende Klasse - durch eine neue ersetzt wurde.

James Gordon Farrell: Troubles. Roman. Aus dem Englischen von Manfred Alié. Matthes & Seitz. 540 S., geb., 24,90 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal