Berliner Philharmoniker begeistern Japans Kaiser

Musiker werden bewundert und gefeiert wie Popstars

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Asientour der Berliner Philharmoniker hat ihren Höhenpunkt erreicht. Wenn das Orchester in Tokio spielt, genießen die Musiker einmalige Tage vor einem einmaligen Publikum.

»Suche Karte«, fleht das Pappschild in den Händen eines älteren Mannes. Er steht vor der Suntory Hall, dieser modernen Konzerthalle mit ihrer gelobten Akustik, deren Vorplatz lange vor Beginn des Abendkonzerts gefüllt ist. Voll mit Menschen, die es entweder nicht mehr abwarten können oder noch auf ein letztes Ticket hoffen. »Ich habe vor zwei Monaten versucht, eine Karte zu bekommen«, sagt der Herr mit der Pappe. »Leider zu spät. Letztes Mal war ich schon da, aber das ist ja jetzt schon zwei Jahre her.« Die Berliner hier zu sehen, das sei doch irgendwie ein Heimspiel, sagt er noch mit einem fast verzweifelten Lächeln.

Immerhin heißt die gepflasterte Plaza, an dem die Suntory Hall erbaut ist, Herbert-von-Karajan-Platz. Benannt nach jenem langjährigen Dirigenten, der das hier so populäre Berliner Orchester erstmals nach Japan brachte. Seit nun 56 Jahren kommen die Philharmoniker her, die drei Konzerte, die sie in Tokio geben, sind seit Monaten ausverkauft. Wie immer. Die Verehrung, die die Musiker erfahren, ähnelt der Behandlung von Popstars.

»Die Konzerte in Tokio sind wirklich der Höhepunkt unserer Reise«, sagt Simon Rattle, Dirigent der Philharmoniker, vor japanischen Journalisten. Die wollen alles wissen: wie sich die japanischen Orchestermitglieder machten. Ob die Eintrittspreise von mehreren hundert Euro pro Ticket nicht gesenkt werden könnten. Ob es möglich wäre, die Anzahl der kostenlosen Zugänge zum digitalen Musikarchiv in japanischen Schulen nicht noch zu erhöhen. Es handelt sich um eine Fragestunde von Bewunderern.

Nirgendwo sonst in der Ferne genießen die Berliner Philharmoniker so viel Anerkennung wie in Japan. Solocellist Olaf Maninger sagt: »Hier haben wir 500 000 Freunde auf Facebook, unsere Konzerte sind immer ausverkauft, unsere Mitschnitte auf Youtube werden Millionen Male angesehen.« Der digitale Zugang zu neuen und alten Darbietungen, die »Digital Concert Hall«, wird außer von deutschen Kunden vor allem von Japanern wahrgenommen.

Auch nach dem Konzert, wo Stücke von Schumann, Prokofjew und Strawinsky gespielt wurden, zeigt sich dieses Bild. Einfache T-Shirts mit dem Aufdruck »Asian Tour 2013« werden für umgerechnet 40 Euro verkauft. »Von den CDs (25 Euro) gehen in der Halle 100 Stück pro Abend weg«, sagt Kanai Kiyotaka vom Musikunternehmen HMV neben dem Eingang zufrieden. Auch damit sind die Japaner die Nummer zwei hinter dem deutschen Heimatmarkt. Die beiden vorigen Stopps auf der zwei Wochen langen Reise, Taiwan und Südkorea, bieten zwar auch begeisterte Zuhörer, findet Maninger. »Aber japanische Besucher sind etwas Besonderes. Sie kennen sich sehr gut aus und sind kritischer als andere Zuschauer.«

Als die Philharmoniker 1957 erstmals nach Tokio kamen, begeisterten sie ein in Sachen klassischer Musik weitgehend unvorbereitetes Publikum. Über die Jahre aber sprossen Musikschulen aus dem Boden, die eine musikalisch sehr gebildete Gesellschaft hervorbrachten. »Heute wissen die Leute genau, was sie wollen«, sagt Cellist Stephan Koncz. »Früher wurden eigentlich alle möglichen europäischen Orchester nach Japan eingeladen, heute kommen aber nur noch die besten. Die Japaner haben eben auch ihre eigenen Toporchester.«

Neben den Berliner Philharmonikern bleibt beinahe nur noch Platz für das Wiener Pendant, die in der Woche zuvor in Tokio aufgetreten sind. Während die Wiener Philharmoniker vor allem alteuropäische Traditionen pflegen, bemühen sich die Berliner nicht nur im Auftritt, sondern auch in ihrer Musikwahl um Modernität. »Auf jeder Tour versuchen wir, auch mindestens ein großes zeitgenössisches Stück zu spielen«, sagt Simon Rattle. Der Beliebtheit scheint das keinen Abbruch zu tun. Am Hintereingang warten junge Fans, bitten um Autogramme und gemeinsame Fotos. »Das erleben wir daheim in Europa kaum«, sagt Stephan Koncz.

Als das Konzert endet, applaudieren die 2000 Zuhörer für japanische Verhältnisse ausdauernd. Das Publikum steht wohl auch deshalb ehrfürchtig von seinen Sitzen auf, weil Kaiser Akihito und seine Gattin Michiko zugegen sind. Es ist das erste Mal seit 1966, dass Japans Kaiserpaar gemeinsam die Berliner Philharmoniker spielen sieht. Von lautem Jubel wird der Applaus aber erst begleitet, als die schon verlassene Bühne noch einmal ausgefüllt wird. Simon Rattle kommt zurück und verbeugt sich ein x-tes Mal, stiehlt damit selbst dem Kaiserpaar die Show. Und der nächste Besuch steht bereits fest - im Mai 2016.

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