»Das hier soll Demokratie sein?«

Einen Probelauf mit Pannen gab es am Freitag im neuen Potsdamer Landtag

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine verpatzte Generalprobe garantiert eine glänzende Premiere. Wenn diese Theaterregel auch fürs politische Theater gilt, dann steht einer großartigen Eröffnung des neuen Landtags nichts im Wege.

Sturm »Xaver« hat am Freitag nicht nur eine Reihe Bauzäune vor dem Landtagsschloss umgeworfen, sondern ist vermutlich auch Ursache für die Stromsperre, die den Parlamentsneubau in der Gestalt des alten Stadtschlosses am Vormittag ereilt. Zu dumm, dass gerade jetzt der ultimative Test für den Landtagsbetrieb stattfinden soll. Nichts geht mehr. Nur die Notbeleuchtung sichert in den blendend weißen Gängen und Hallen, dass sich die Imitatoren nicht gegenseitig umlaufen. Der Plenarsaal verfügt zwar über große Seitenfenster und eine gewaltige Glaskuppel als Tageslichtspender. Doch ist an diesem trüben Dezembertag vom Himmel nicht viel Licht zu holen.

Auch Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) ist anwesend, macht gute Miene zu diesem Spiel. Er berichtet von den kleinen Pannen beim Umzug. Zunächst sei die Akustik völlig ungenügend gewesen. Und man habe den Abgeordneten erst erklären müssen, dass ihre Sessel im Plenarsaal verstellbar sind und sie also nicht gezwungen sind, sich die Kniebeugen wund zu scheuern.

Erneut ist der weiße Vogel Thema, der über dem Notausgang des Plenarsaals hängt. Er ist so weiß wie die Wand. Der Schwanz ragt ein wenig über jene Tür, die im Notfall die Flucht der Abgeordneten ermöglichen soll. Die CDU-Fraktion besteht auf einem roten Adler, also dem korrekten Wappentier Brandenburgs an dieser exponierten Stelle. Das haben die künstlerisch Verantwortlichen für den Parlamentsneubau abgelehnt. Einen »Blutfleck« an der Wand wollen sie nicht, das störe das Gesamtbild.

»Es könnte ein Wappentier dort angebracht sein oder ein Kunstwerk«, sagt Fritsch salomonisch. Diesbezügliche Vorschriften für Landtage gebe nicht. Eröffnen werde er das Parlament erst einmal mit weißem Adler. Was später komme, sei nicht sicher. Ihn persönlich störe mehr das grün leuchtende Schild »Notausgang« hinter dem Präsidentensitz, das den Gesamteindruck sehr störe.

»Es ist jetzt genau 10 Uhr«, sagt eine Landtagsmitarbeiterin gegen 10.30 Uhr, als im ganzen Haus das Licht wieder funktioniert - und erntet Gelächter. Danach spielt die Verwaltung Landtagssitzung, gratuliert zunächst dem gar nicht anwesenden Finanzminister Helmuth Markov (LINKE) zum Geburtstag. Die Verwaltungsangestellten machen sich den Spaß, sich die Titel Ministerpräsident, Minister, Fraktionschef oder Verfassungsrichter gegenseitig zu verpassen. Die Fraktionen sind durch ein oder zwei Beamte repräsentiert, die nun zum Autoklau entlang der polnischen Grenze debattieren.

Bei der Generalprobe ist auch die »Störung des Parlamentsbetriebes« ein Programmpunkt. Plötzlich tun Beamtinnen, was sie im normalen Leben niemals tun würden, sie protestieren lautstark von der Besuchertribüne aus, werfen Flugblätter in den Saal, die dann über den Abgeordneten abregnen. Transparente werden hochgehalten, gegen Fluglärm, gegen die Abschiebung von Asylbewerbern. »Das hier soll Demokratie sein?« ruft eine Frau. Die Sitzung wird unterbrochen, ein imaginärer Saalschutz gerufen. Wenige Minuten später ist die Ordnung wiederhergestellt. Weißer griechischer Marmor an Wänden und in den Gängen überall dort, wo es nicht weiße Tapete und Parkett ist. Viele Besucher sprechen von »Krankenhausatmosphäre«, von »Notaufnahme«. Weiß, das ist die Farbe der Unschuld. Der rote Teppich liegt auf den Gängen der Fraktionen. Scheeweißchen und Rosenrot allüberall. Ja, es sind die Landesfarben Brandenburgs.

Im repräsentativen Eingang wurden Originalskulpturen aus dem Stadtschloss angebracht. Im Besucherbereich geht der Gast über eine Glasdecke, unter der im Dunkeln ein kleiner Teil des alten Schlosses rekonstruiert ist. »Von hier blickt man auf den Boden des historischen Speisesaals oder des Weinkellers«, sagte Landtagssprecherin Katrin Rautenberg. Angeblich sollen dort auch Leichen aufgebahrt gewesen sein, weil der Kellerraum kühl war. Doch der Betrachter findet keine Leichen im Keller.

Der eigentliche Umzug der Abgeordneten vom Brauhausberg hier herunter beginnt am Freitag, dem 13. Dezember. Im alten Landtag wird nach dem Weggang kein Papierschnipsel mehr aufzufinden sein, verspricht der Leiter des Umzugsunternehmens Hartmut Mangold. Landtagssprecherin Rautenberg freut sich, wenn alles unten im Neubau ist. »Zur Zeit spreche ich für zwei Landtage. Das ist nicht so einfach.«

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