Fassaden im flauschigen Realismus

Der Künstler Tom Korn aus Potsdam bildet mit Teppichteilen sozialistische Architektur ab

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Umgang mit DDR-Architektur in Potsdam hat den Teppichkünstler Tom Korn geärgert. Jetzt bannt er die Fassaden auf seine Werke.

Tom Korn zerschneidet mit einem Cuttermesser einen Teppich. Aus den Teilen der Auslegware, die einmal für den Boden gewebt wurde, löst der Künstler kleine Trapeze und Rechtecke, um Bilder für die Wand zu erschaffen. Tom Korn ist Teppichkünstler. Nach dem Ausschneiden montiert er die geometrischen Figuren in allen möglichen Farbtönen zu einer neuen Fläche, einem Bild zusammen. Es funktioniert wie beim Patchwork, nur mit anderem Material. Viele dieser plüschigen Bilder stehen in seiner Atelierwohnung in Potsdam-West.

Auf den Bildern sind Gebäude, Fassadenausschnitte, Dachlandschaften zu erkennen. Mit den Teppichcollagen hat sich Tom Korn ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Er selbst nennt seine Kunst »flauschigen Realismus.« Seine Bilder erinnern an Comics und Graffiti. Zu seinem ersten Motiv inspirierte ihn die Fotolovestory in der Jugendzeitschrift »Bravo«. Sein Material fand Korn beim Konkurs eines großen Möbelunternehmens in Flensburg vor neun Jahren. Seitdem setzt der Künstler aus tausenden, bis zu zwei mal zwei Millimeter kleinen Puzzleteilen seine Bildwelten zusammen.

Der Mittvierziger lebt seit fünf Jahren in Potsdam. Die sozialistische Moderne der Stadt hat es ihm angetan. Doch die Architektur aus 40 Jahren DDR bröckelt mittlerweile. Die Menschen sehen in ihr noch eher ihre eigene Vergangenheit als die Ästhetik in der Gestaltung. »Der Umgang mit der Moderne in Potsdam hat mich geärgert.« Es sei in dieser Zeit auch sehr individuelle Architektur entstanden wie das Ufercafé Seerose. Tom Korn ist dem Verein »Metropolar« beigetreten, der sich behutsam mit dieser Zeit auseinandersetzt. »Für die Menschen, die hier leben, stecken Assoziationen dahinter. Sie sind noch zu nah dran an ihrer eigenen Geschichte.«

Der Künstler sah das Potenzial und musste mit zusehen, wie dieses mehr und mehr abgebaut wurde. »Ich wollte archivieren, was durch die Abrissbirne oder durch Modernisierung verschwindet. «Somit bin ich also auch ein Archivar.» Das Terrassenrestaurant Minsk verfällt, dessen Innenraum ein Künstlerkollektiv von Holzbildhauern, Glasgestaltern und Kunstmalern aus Weißrussland ausstaffiert hatte, ebenso das Schwimmbad Babelsberg, das nun abgerissen werden soll. Dresden geht bewusster mit der Baugeschichte um: dort steht der gleiche Schwimmbadtyp unter Denkmalschutz.

Die Moderne hat aber auch viel Massenarchitektur hervorgebracht. Die Urlaubssiedlung in Sofia oder ein Wohnhochhaus in Budapest sind wenig individuell, sind Gebäude von der Stange. «Davon will keiner etwas wissen in Zeiten, wo Individualität das Maß aller Dinge ist und man aus Kaffeetassen mit dem eigenen Vornamen trinkt.» Fernsehmoderator Günter Jauch habe diese Architektur einst als «Notdurftarchitektur» bezeichnet, sagt Korn. Die Fassaden der Zentrum-Warenhäuser in Schwedt und in Hoyerswerda stehen noch auf der Motivagenda des Künstlers, der bereits 80 Ausstellungen realisiert hat.

Seine Teppichreste holt sich der Künstler von Messen oder aus Discountern. «Natürlich sind meine Bilder auch Staubfänger», weiß der gebürtige Kölner. Da müsse man schon mal mit dem Staubsauger ran, um das Bild zu «polieren». Das angefangene Geschichtsstudium hat Korn nicht beendet, doch das Interesse an Geschichte ist geblieben. Den Staub von Vergangenem und Vergänglichem wischt er immer wieder ab, wenn er sich historischer Motive bedient. «Außerdem inspiriert mich die Gleichmäßigkeit der Muster» sagt Tom Korn, der auch ein Semester an der renommierten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte. Es sei eine sehr beruhigende Arbeit. «Vielleicht bin ich ein Autist.»

Eines seiner Projekte sind Teppichpostkarten, die er kürzlich in einer Ausstellung in Potsdam zeigte. Der gelernte Schriftsetzer montiert auf zehn mal 15 Zentimetern die Autobahn bei Grenada, den Fernsehturm von Riga oder die Messehalle von Thessaloniki. Aber auch die Netto-Kaufhalle in Berlin-Kaulsdorf sieht er als Motiv. Der Supermarkt ist genauso wenig individuell wie die Wohnarchitektur der sozialistischen Moderne. Denn der Bau nimmt keine Rücksicht auf seine Umgebung, reagiert nicht darauf. Und er wird immer wieder kopiert in Deutschland. Tom Korn dezimiert diese Hässlichkeit auf Postkartengröße. Mehr als 200 Teppichpostkarten, Mischfaser auf Hartfaser, gibt es davon schon.

Durch seine Reisen quer durch Europa entdeckte der Wahlpotsdamer seine Leidenschaft zur Architektur der Moderne: «2000 war ich in Tschechien, da fielen mir die Funktionsbauten aus Beton auf. Mich faszinierte die Schlichtheit, das Puristische dieser Gebäude.» Immer wieder trifft er auf regelmäßig angeordnete Fensterflächen, Balkone, ganze Häusergruppen. Noch immer inspirieren ihn solche Reisen am meisten. Dreimal im Jahr packt er seinen Koffer. Die nächste Reise soll eine Tournee werden, sie führt ihn durch Ex-Jugoslawien. Er nennt das Projekt «Balkan-Beton». Mazedonien, Slowenien, Bosnien, der Balkan war führend in Sachen Betonbau in den 1970er und 1980er Jahren. Tom Korn will seine Kunst mitnehmen. Sein Transporter dient als Ausstellungsraum. Er möchte ins Gespräch kommen, sensibilisieren will für die Gestaltung des Wohnumfeldes, werben für Respekt im Umgang mit der Geschichte. Nun sucht Tom Korn Sponsoren.

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