Der grüne Krebs von Tahiti

Jean-Ives Meyer will keine Bäume mehr ausreißen

  • Wolfgang B. Kleiner
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Eine importierte Pflanze hat bereits ganz Tahiti überwuchert und bedroht nun auch andere Inseln der Südsee. Abhilfe ist schwierig.

Er hatte es sicher gut gemeint. Harrison Smith, emeritierter Massachusetts-Professor, sammelte exotische Pflanzen aus allen Weltregionen und pflanzte sie in seinem botanischen Gartens bei Papeari an der Südküste von Tahiti an. Die schönen, großen, an ihrer Unterseite roten Blätter des in Mittel- und Südamerika heimischen Samtbaums (Miconia calvescens) hatten es ihm offenbar besonders angetan. Sie wuchsen prächtig, nachdem Smith sie 1937 ausgesetzt hatte. Tahiti ist eine Vulkaninsel von 40 Kilometern Durchmesser, das Inselinnere ist durch über 2000 Meter hohe Berge schwer zugänglich. Die Tahitianer meiden die Bergregion heute allein schon wegen der Mückenplage. Erst Anfang der 70er Jahre fiel deshalb auf, dass Miconia schon an vielen Orten im Inneren der Insel vorkam. Ein Jahrzehnt später, gerade war eine Serie von Wirbelstürmen über das Eiland gefegt und hatte ungezählte große, alte Bäume umgerissen, überwucherte der »Fremdling« bereits einen Großteil des Binnenlands. Miconia wächst viel schneller und wird größer als einheimische Pflanzen, vermehrt sich rasend schnell und ist relativ anspruchslos. Kleinere Pflanzen werden von den großen Miconia-Blättern - bisweilen einen Meter lang und einen halben Meter breit - einfach in den Schatten gestellt und sterben ab. Schätzungen besagen, dass Miconia heute 90 Prozent der Bergregion beherrscht. 40 von 107 einheimischen Pflanzenarten sind dadurch vom Aussterben bedroht. In ihrer alten Heimat in Mittel- und Südamerika führt der Samtbaum ein unauffälliges Dasein: Dort gibt es deutlich höher wachsende Bäume, Miconia kommt daher nur als Untergehölz vor und verbreitet sich bei weitem nicht so aggressiv wie in der Südsee. Da die Pflanze den meisten Bewohnern der Küste Tahitis zunächst unbekannt war, brachte Miconia-Bekämpfer Jean-Yves Meyer auf Informationsveranstaltungen frisch ausgerupfte Bäumchen mit. Viele Tahitianer hatten jedoch Angst, die Pflanze zu berühren, denn auf Plakaten wurde Miconia als »Grüner Krebs« bezeichnet - kein schlechter Vergleich, da es sich auch in diesem Fall um außer Kontrolle geratenes Wachstum handelt. Die unaufgeklärten Insulaner hatten jedoch Angst, mit der vermeintlich Krebs verbreitenden Pflanze in Kontakt zu kommen. Jean-Yves Meyer, Sohn tahitianisch-französischer Eltern, promovierte 1994 über »Die Dynamik der Invasion von Miconia in Französisch Polynesien«. Ein ausgewachsener 15 Meter hoher Baum, fand er heraus, produziert im Jahr bis zu eine Million Samen, die vom Wind, hauptsächlich aber von zwei ebenfalls eingeführten Vogelarten verbreitet werden. Obendrein ist Miconia eine sich selbst reproduzierende Pflanze, braucht also zum Bestäuben keine Artgenossen in der Umgebung. Dank Meyers Dokumentationsarbeit ist heute offensichtlich, dass die Miconia-Invasion der vielleicht dramatischste und folgenschwerste Eingriff in das Ökosystem einer Inselwelt ist. Wie eine Epidemie hat Miconia längst auch die Inseln Moorea und Raiatea erreicht, vielleicht durch Vögel übertragen, wahrscheinlich aber aus Unkenntnis als Zierpflanze in Gärten gepflanzt. Sogar auf den über 1000 Kilometer entfernten Marquesas-Inseln wurden erste Miconia-Pflanzen entdeckt, deren Samen wahrscheinlich in Wurzelballen von Topfpflanzen aus Tahiti eingeschleppt wurden. 1992 glaubte man, die relativ kleine betroffene Fläche von 250 Hektar auf Raiatea auf herkömmliche Weise befreien zu können. Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums und Soldaten reißen seitdem in jährlichen Kampagnen kleine Miconia-Pflanzen aus, fällen große Bäume und behandeln die Stümpfe mit Chemikalien. Auf diese Weise wurden bereits 2 Millionen Pflanzen zerstört. Doch der Grüne Krebs ist hinterhältig. In scheinbar bereinigten Zonen keimen Samen mit 12 Jahren Verzögerung aus, immer neue Kulturen werden entdeckt. Zwischenzeitlich wurden auch auf Hawaii große betroffene Regionen entdeckt. Tahiti und Hawaii taten sich 1997 zusammen, um gemeinsam eine Lösung für das Problem zu suchen. Man fand Insekten, die den Baum schädigen, für die klimatischen Bedingungen auf den Tropeninseln aber ungeeignet waren. In Brasilien wurde schließlich entdeckt, dass der Pilz Colletotrichum die jungen Pflanzen und Samen »vergiftet«. Doch auf Tahiti war man misstrauisch: Sollte man wieder eine nicht heimische Spezies einführen, ohne die Folgen einschätzen zu können? Der Pilz wurde im Labor getestet. Nach zwei Jahren waren 10 Prozent der Miconia-Pflanzen tot, 50 Prozent waren ernsthaft geschädigt. Andere Pflanzenarten litten offensichtlich nicht. Beim Freilandversuch hatte sich der Pilz nach einem Jahr bereits 10 Kilometer weit ausgebreitet. »Ein schnelles Miconia-Sterben wollen wir gar nicht erreichen«, erklärt Meyer. Ein abruptes Absterben würde die steilen Berghänge entblößen und die üppigen Regenfälle zögen ein Erosionsproblem nach sich. Meyers Arbeit hat dazu beigetragen, dass heute 90 Prozent der Bevölkerung die Problematik eingeschleppter Pflanzen und Tiere auf Tahiti kennen. Für Meyer ist es zur Lebensaufgabe geworden, die Einfuhr neuer invasiver Pflanzen zu verhindern. An der Miconia-Invasion kann er selbst nicht mehr viel ändern, die bleibt jetzt dem Pilz überlassen. Mit dem Spaten will er dem Feind nicht mehr begegnen. »Ich bin sicher derjenige, der im Laufe der Zeit am meisten Miconia-Bäume herausgerissen hat«, erzählt er schmunzelnd. D...

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