Erziehung zum Hass?
Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer
»In der DDR wurde zum Klassenhass erzogen, es gab eine Erziehung zum Hass. Und die heute 18-Jährigen haben Eltern und Großeltern, die sie entsprechend erzogen haben!« Solche Erklärungen - diese hier stammt von Anetta Kahane - für die rechtsradikale Aggression unter den Jugendlichen sind beliebt. Aber sind sie auch richtig? Mich hinterlassen sie höchst unbefriedigt. Daher will ich versuchen, dem Hass, der Erziehung und der DDR ein wenig nachzugehen.
Der erste Einwand richtet sich gegen die Formel der »Erziehung zum Hass«. Das hört sich logisch an, ist aber psychologisch falsch. Erziehung richtet sich fast immer gegen Gewalt. Um Hass freizusetzen, muss nicht erzogen werden. Der Mensch ist von Natur aus nur allzu bereit zu hassen, was sich seinen Bedürfnissen in den Weg stellt, und diesen Hass - falls er sich vor dem eigentlichen Hindernis fürchtet - auf Wehrlose zu verschieben. Wenn jemand wollte, dass sich Jugendliche mit Bandenkämpfen und Fremdenhass beschäftigen, dann müsste er sie dazu keineswegs erziehen; er müsste nur dafür sorgen, dass die bewährten Mittel der Erziehung zu sozialem Verhalten geschwächt werden oder ganz wegfallen.
Über die Dynamik aggressiver Jugendbanden gibt es schon lange gründliche, teilnehmende Forschung. Wir wissen daraus, dass nicht die Aktivität der Eltern oder Großeltern, wie auch immer beschaffen, die Struktur dieser Banden prägt. Im Gegenteil: Die Gang steht gerade für die Unzufriedenheit der Mitglieder mit den Eltern. Sie ist ein Mittel, kulturellen Wandel zu beschleunigen, den die hilflos aus ihren Traditionen gefallenen Eltern und Großeltern nicht vollziehen können.
Es gibt sicher viele Experten, die Gründlicheres über die DDR sagen können als ich. Aber seit meinem ersten eingehenderen Kontakt auf dem ersten Freud-Kongress in Leipzig, kurz vor der Wende, bin ich überzeugt, dass es Unsinn ist, sie mit Hitler-Deutschland zu vergleichen. Während bei den Nazis das Private politisch gemacht wurde, fand ich in der DDR eine große private Szene mit zahllosen Nischen und unendlich vielen komplexen Verhandlungsmöglichkeiten mit SED und Stasi.
Schon damals fiel mir auf, wie stark das System von Angst beherrscht war: Die Stasi fürchtete sich vor den Bürgern, die Bürger vor der Stasi, die SED hatte Angst, die Jugend zu verlieren, die Jugendlichen wollten vom System nichts wissen. Klassenhassende Eltern, welche ihren Hass der Jugend vermittelten, habe ich nirgends gesehen, kann sie mir auch wirklich nicht vorstellen. Es gab viel heimliche Bewunderung für den Westen, aber auch Stolz darauf, mit den schwierigen Bedingungen zurechtzukommen, Freunde zu haben.
Wäre ich als gutverdienender, selbstständiger Autor und Psychoanalytiker nicht ein zu hassender Klassenfeind gewesen? Oder wenigstens ein wurzelloser Intellektueller ohne Klassenhintergrund? Eine sehr subjektive Perspektive, geschenkt, aber wo war der Klassenhass? Ich hatte das Gefühl, von neugierigen, wohlwollenden Menschen umgeben zu sein.
Meine Lebensgefährtin, aus 68er Tagen gründliche Marx-Kennerin, belehrte mich, dass der Marxist den Klassengegensatz nicht persönlich nimmt, sondern den Kapitalisten ebenso als Opfer des Systems betrachtet wie den Arbeiter.
Es wäre oberflächlich, angesichts der Ausländerfeindlichkeit gar keine Fragen nach möglichen Defiziten in der Sozialisation zu stellen. »Erziehung zum Hass« als systematische, in Schulen geplante Intervention würde ich der DDR so wenig unterstellen wie der BRD. In beiden Staaten jedoch ist es nicht gelungen, die massiven Kränkungen durch das NS-Regime, millionenfachen rassistischen Mord und politischen Bedeutungsverlust durch zwei angezettelte und verlorene Kriege seelisch zu verarbeiten. Vielfach wurde es nicht einmal versucht. Man dämonisierte Hitler und war ein Volk von Opfern.
Wo das nationale Selbstgefühl von Scham belastet ist, wuchern die kompensatorischen Größenvorstellungen besonders üppig. Wer sich als Verlierer erlebt, wagt nur selten jene anzugreifen, die ihn dazu gemacht haben. Sicher sind Afrikaner oder Vietnamesen nicht schuld daran, dass die Arbeitslosigkeit so hoch ist. Aber sie sind eine leicht auszugrenzende Minderheit, der man antun kann, was man unbewusst als eigene Gefährdung erlebt: vertreiben, verfolgen, ausgrenzen.
Verunsichert und verwirrt haben - so vermute ich - die Eltern und Großeltern der jugendlichen Rechtsradikalen das alte Regime selbst entwertet und sich von dem neuen entwertet gefühlt. Der Stolz auf die unblutige Revolution von 1989 hat leider nicht viel tragen können; zu schnell schluckte der große Konzern BRD die vor dem Konkurs stehende DDR und drängte ihr seine Corporate Identity auf.
Solche Fusionen sind - das sehen wir in der Wirtschaft - später immer viel komplizierter, als es anfangs beide Seiten voraussehen können oder auch wahrhaben wollen. Anfangs verleugnen sie die Schattenseiten ihres Plans; später würden sie ihn am liebsten rückgängig machen. Manche wirtschaftlichen Elefantenhochzeiten haben schon in kläglichen Krisen und Scheidungen geendet.
Wenn Jugendliche ihre Eltern nicht bewundern können, fehlt ihnen ein wesentliches Element, um jene seelischen Strukturen aufzubauen, die uns davor schützen, unseren Hass auszuleben. So würde ich mir eher Nachdenklichkeit wünschen als Sündenbocksuche. Vielleicht könnten wir dann die nationalistischen Blähungen als Folge gestörter Verdauung des...
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