Der alte Star und das Meer

Im Kino: In »All Is Lost« von J. C. Chandor kämpft Robert Redford ganz allein mit den Elementen

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Robert Redford hat oft einsame Kämpfer gespielt, im Wilden Westen, im Zweiten Weltkrieg, häufig im politischen Amerika, gelegentlich um die soziale Anerkennung. Aber so allein wie hier war selbst Redford nie bei seinen Kämpfen: Immer gab es eine Umwelt, an der man sich reiben konnte. In »All Is Lost« von J. C. Chandor ist die weg. Hier kämpft er mit dem Wind, dem Wasser und den Wellen, und kein anderes Gesicht als das des Stars, wettergegerbt, furchig, zunehmend mitgenommen, zeigt die Kamera, über eine Länge von eindreiviertel Stunden. Langweilig wird das nie, schon weil der Segler, den Redford darstellt - die ultrakurze Besetzungsliste nennt ihn nur: »Unser Mann« -, inmitten des Indischen Ozeans in so nachhaltige Seenot gerät, dass von der ersten Filmminute an die Frage im Raum steht, wie er diese Havarie überleben will.

Unser Mann aber beweist Kompetenz in Segeldingen, Routine in der Lösung schwieriger Probleme und einen Überlebenswillen, der ihn selbst ganz am Ende noch zögern lässt, die Flaschenpost tatsächlich der See zu übergeben, in der er eine späte Absolution durch eine nicht näher beschriebene Familie sucht. Ein guter Mensch habe er sein wollen, aufrecht und liebevoll. Leider sei ihm das wohl nicht gelungen, und er wisse auch nicht recht, wie ihm so spät erst habe klarwerden können, wie ungerecht er sich seinen Liebsten gegenüber verhalten habe. Ein Moment, der an »Sunset Boulevard« erinnert, einem Klassiker der Hollywood-Geschichtsschreibung, der auch mit der Erzählerstimme eines Mannes anhebt, der da eigentlich längst tot ist. Mit dem Verlesen dieses Briefes, der schlicht feststellt, was ja schon der Titel sagte: »All Is Lost«, nun ist alles verloren, beginnt der Film.

Dann springt er zurück, zu einem Zeitpunkt eine gute Woche früher, als alles noch im Lot war und unser Mann in aller Ruhe schlief. Draußen: alles ruhig, Sonne, die totale Flaute. Dann schreckt ein Rumms ihn aus dem Schlaf, und durch ein Leck gurgelt Wasser über Computer, Funkgerät und Logbuch. Buchstäblich aus dem Blauen kam die Katastrophe, und sie erweist sich schnell als ebenso lächerlich wie lebensbedrohlich. Ein Frachtcontainer, irgendwo von einem Schiff gefallen, treibt an der Wasseroberfläche, aufgeschwemmt vom Luftpolster seiner Billig-Ladung: lauter Turnschühchen für Kinder.

Die Kollision ist der Anfang vom Ende für Jacht und Segler. Die Elektrik an Bord ist hin, das Funkgerät auch, das Wasser steht halbhoch in der Kajüte, und das klaffende Loch in der Bordwand würde bei aufbrisendem Wind innerhalb kürzester Zeit den Untergang bedeuten.

Unser Mann aber lässt sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Er flickt das Leck, reinigt das Funkgerät, pumpt sein Schiff mit der Handpumpe leer, bis ihm Sehnen und Gelenke schmerzen, und kann tatsächlich beinahe einen Notruf absetzen. Dann aber kommt der Sturm, der Verlust des Mastes, ein erneutes Leck, nun noch mehr Wasser im Boot - und die totale Übermüdung.

Redford ist bemerkenswert fit für einen Mann, der auf die Achtzig zugeht. Trotzdem sieht man unserem Segler in jeder Bewegung an, dass er nicht erst seit gestern auf den Weltmeeren unterwegs ist. Zu alt ist er eigentlich für eine Solo-Tour, auch wenn die seinem Naturell ganz offenbar entspricht. Redfords wettergegerbtes Gesicht aber ist auch im Alter noch schön - und eine wunderbare Projektionsfläche.

Und die wird gebraucht, denn außer einem gelegentlichen Fluch (und einem inbrünstigen: »komm schon« an das versalzene Funkgerät) kommt wenig mehr als jene anfängliche Flaschenpost über Redfords Lippen. Es sind natürliche oder naturidentische Geräusche, sorgfältig orchestriert, die den Film dominieren. Und ein gelegentliches Aufflackern von Filmmusik, die jedes Mal erheblich stört.

Als unser Mann schließlich seine holzgetäfelte Virginia Jean aufgeben muss, tut er das sichtlich ungern. Und man hat den Eindruck, das liegt nicht in erster Linie daran, dass er in seiner aufblasbaren Rettungsinsel den Elementen nun noch schutzloser ausgeliefert ist als an Bord der ozeangängigen Jacht. Außer einem nagelneuen Sextanten und einem schon leicht vergilbten Leitfaden zur Sternennavigation hat er nun keine Instrumente mehr. Noch nicht mal Paddel scheint das Gummiboot zu haben.

»All Is Lost« bietet keine spektakulären Wellengebirge wie Wolfgang Petersens »Der Sturm«, keine bildfüllenden Wolkengemälde wie Ang Lees »Life of Pi«, mit dem der Film weniger gemeinsam hat, als man annehmen sollte, wenn man nur die Synopsen liest. Nur der Kameramann für die Unterwasseraufnahmen war wohl derselbe - und das sieht man. Wie da Schwärme von Fischen unter der Rettungsinsel durch die Tiefe schwimmen, wie schließlich Haie unheilvoll zu kreisen beginnen - das erzählt hier wie da von der akuten Endlichkeit des menschlichen Lebens.

Am Ende hat Redford nach dem »Sunset Boulevard«- auch noch einen »Titanic«-Moment. Nein, nicht den triumphalen mit den ausgestreckten Armen am Bug des intakten Schiffes, sondern den finalen. Den, der kein Auge trocken ließ. Alles ist aber selbst in dem Moment noch nicht verloren.

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