Massaker in der Omaheke

Den erste Genozid des 20. Jahrhunderts begingen deutsche Truppen in Afrika

  • Horst Diere
  • Lesedauer: 4 Min.

Völlig unerwartet für die deutschen Kolonialherren bricht am 12. Januar 1904 in dem 1884 errichteten damaligen »Schutzgebiet« Deutsch-Südwestafrika (heute: Republik Namibia) der große Hereroaufstand aus. Vorausgegangen waren in den 1890er Jahren und zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere lokale Erhebungen von Teilen der Herero und Nama (Hottentotten), der beiden wichtigsten Volksstämme im deutschen südwestafrikanischen Herrschaftsgebiet. Diese isoliert gebliebenen Aufstände konnte die 1889 gebildete Kaiserliche Schutztruppe unter dem Major und späteren Oberst Leutwein niederwerfen. Er fungierte zugleich als Gouverneur und betrieb nicht ohne Erfolg eine Politik des »Teile und Herrsche«. Nun aber handelte das etwa 80 000 Menschen zählende Volk der Herero vereint, geführt vom Oberhäuptling Samuel Maharero, der lange geglaubt hatte, seinen Frieden mit den Deutschen machen zu können.

Zwei Jahrzehnte deutscher Kolonialherrschaft hatten die Herero systematisch um ihr Land und Vieh und damit um ihre Lebensgrundlage gebracht. Das und die völlige Entrechtung der Afrikaner ließ sie vor 110 Jahren einen Verzweiflungskampf beginnen, dessen Ausgang bei der militärischen Überlegenheit der Kolonialtruppen außer Frage stand.

Zunächst aber gerät ganz Hereroland mit Ausnahme der Forts der Schutztruppe und befestigter Ortschaften in die Hände der Aufständischen. Gelungen war ihnen dies, da die Hauptkräfte der »Schutztruppe« noch im Süden des »Schutzgebietes« standen. Als erstes traf im Aufstandsgebiet am 18. Januar 1904 ein mit Revolverkanonen und Maschinengewehren bewaffnetes Landungskorps ein, eilends aus Kapstadt mit dem Kanonenboot »Habicht« herangeschafft. Hinzu stieß am 21. Januar aus Deutschland ein Marineexpeditionskorps mit vier Kompanien Seesoldaten. In den sich bis Juni 1904 entwickelnden zahlreichen Gefechten gelang es den deutschen Truppen jedoch trotz weiterer Verstärkungen nicht, die mit großem Opfermut um ihre Freiheit kämpfenden Herero zu besiegen.

Im Deutschen Reichstag nannte August Bebel den Hereroaufstand einen berechtigten Freiheitskampf und verweigerte im Namen der deutschen Sozialdemokratie die finanziellen Mittel für den Unterdrückungsfeldzug. Dessen anfängliche Ergebnislosigkeit veranlasste Kaiser Wilhelm II., Generalleutnant von Trotha, der sich bereits in Ostafrika und China bei der Niederschlagung von Erhebungen hervorgetan hatte, den Oberbefehl in Südwestafrika zu übertragen. Als Trotha am 11. Juni 1904 eintraf, hatte sich der größte Teil des Hererovolkes auf das rund 1900 Meter hohe Gebirgsmassiv des Waterbergs zurückgezogen, wo es Wasser, fruchtbare Weiden und Wald gab. Hier sollte es zum Entscheidungskampf kommen. Doch vorerst wartete Trotha mit seinem Adjutanten Hauptmann von Lettow-Vorbeck auf das Eintreffen neuer Truppen ab.

Völlige Vernichtung der Herero war das Ziel, das Trotha seinen Anfang August rund um den Waterberg aufmarschierten, mit 30 Geschützen und zwölf Maschinengewehren ausgerüsteten 15 000 Kolonialsoldaten vorgab. Nach seinem teuflischem Plan wurde die schwächste Abteilung im Südosten des Waterbergs aufgestellt, so dass die Herero bei einem Rückzug allein an dieser Stelle durchbrechen konnten. Das aber musste ihnen zum tödlichen Verhängnis werden, denn dort erwartete sie das wasserlose Sandfeld der Omaheke, ein Ausläufer der Wüste Kalahari.

Die Deutschen begannen ihren Angriff am 11. August 1904. Nach zweitägigem erbitterten Ringen erlagen die Herero der waffentechnischen Überlegenheit. Wie von Trotha beabsichtigt, durchbrachen die flüchtenden Herero die deutschen Linien an ihrer schwächsten Stelle. Und Trothas Soldaten trieben sie immer tiefer in die Sandwüste. Zehntausende verdursteten qualvoll. Selbst Frauen und Kindern, die um Wasser bettelten, wurde kein Erbarmen zuteil. Das amtliche Werk des deutschen Generalstabs »Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika« vermerkt, dass die Omaheke für die deutschen Kolonialherren mehr bewirkt hätte, »als es je die deutschen Waffen selbst durch eine noch so blutige und verlustreiche Schlacht hätten tun können ... Die Herero hatten aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein.« Die Niederwerfung der Nama, die sich erst im Oktober 1904 im Süden des »Schutzgebiets« erhoben hatten, dauerte noch bis Anfang 1907. Nach einer Volkszählung vier Jahre darauf lebten von einst 80 000 Herero noch 15 130 und von ehemals 20 000 Nama noch 9781. Sie waren die besitz- und rechtlos gemachten Überlebenden eines staatlich sanktionierten Völkermords.

Rechtsnachfolgerin des für den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts verantwortlichen Deutschen Reichs ist die Bundesrepublik. Deren Regierung entschied 1990, als Namibia seine Unabhängigkeit erhielt, dem Land wegen der »besonderen Beziehungen« eine höhere Pro-Kopf-Entwicklungshilfe als den anderen afrikanischen Staaten zu geben. Zu mehr war und ist sie nicht bereit, obwohl 2004 zum 100. Jahrestag des Genozids Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in Namibia erstmalig erklärte: »Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung.« Noch heute warten die Nachfahren der Herero und Nama auf angemessene materielle Wiedergutmachung. Entsprechende Forderungen der Linken im Bundestag wurden stets zurückgewiesen.

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