Menschen und Traumgesichte

Werke von Sabina Grzimek und Mona Höke in der Inselgalerie

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Spannung, ja Reibung entsteht immer dann, wenn in einer Schau zwei verschiedene künstlerische Handschriften und Auffassungen zusammentreffen. Auf die aktuelle Ausstellung der Inselgalerie trifft dieser glückliche Umstand zu. Dort stoßen Werke Sabina Grzimeks aus vier Jahrzehnten auf neuere Malerei von Mona Höke, ergänzen und kontrastieren einander durch gemeinsame Anordnung im selben Raum, grenzen sich zugleich voneinander ab und weisen aus, wie weitgespannt der Kosmos der Kunst ist.

Dominant stehen die Plastiken von Sabina Grzimek, 1942 geboren, zur Bildhauerin gereift an der Kunstschule Weißensee und vielfach preisgekrönt, in den Räumen und ziehen gebieterisch den Blick des Betrachters auf sich. Immer sind es Menschen, die sie in einer besonderen Situation einfängt. Fordernd empfängt »Der Hockende«, wie sein kurzer, gnomhaft gedrungener Körper auf angewinkelt klumpigem Bein lastet, mit vorspringendem Bauch, torsohaft nur einem Arm und kaum modelliertem Gesicht. Ein Zöpfchen wächst ihm aus dem Hinterkopf, grobklüftig bleibt seine bronzene Haut, unpoliert und matt. Keinen klassischen Topos präsentiert Grzimek, jemand in seinem Fertigsein für alle Zeiten, sondern eine Gestalt in ihrem Werden, ihrer Veränderbarkeit auch, eine Momentaufnahme, kraftvoll und dynamisch.

Das gilt mindestens im selben Maß für die größte Skulptur, »Die Sitzende«. Beinah in Lebenshöhe versperrt sie den Zutritt zum nächsten Raum, thront kerzengerade, fast im Hohlkreuz, auf vier weißen Ziegeln, mit Zopf, nacktem Körper und weit gespreizten Beinen, die Füße auf dicken Sohlen. Auch sie, ohne Arme, bleibt Torso, »leidet« an Einbeulungen im Oberschenkelbereich, doch in welch stolzer Haltung bietet sie sich dar, keine Kritik duldend an ihrer fleckig löchrigen Oberfläche. Die stoische Ruhe dieser Figur bei aller inneren Spannung nimmt gefangen.

Drei Dezennien eher, 1967, entstand als ältestes Exponat »2 wartende Frauen«. Blockhaft und siamesisch verschwistert wachsen sie aus einem Gussoval auf, füllig die resolute Vordere, hager und größer die dahinter mit der gebogenen Nase, als Doppel unangreifbar in ihrer weiblichen Präsenz. Beinah gänzlich zur Chiffre gerät die kleine »Stillende Frau mit Kindern«: Verbissen in die Brust der Mutter mit den überlängt ragenden Armen scheint der Säugling, beide verschmelzen zur kaum trennbaren, abstrahierten Einheit.

Ihren Enkeln indes, deren Köpfen ein Großteil der Ausstellung gewidmet ist, gehört unübersehbar Sabina Grzimeks Liebe. In Bronze stecken sie auf Stäben, pausbäckig, mit altägyptisch ausladendem Schädel, rötlich eingefärbt und weitaus stärker individualisiert als etwa zwei gipserne Männerköpfe mit extrem langgezogenen Gesichtern. Auch in Gips modelliert Grzimek all ihre Zuneigung zu Valentin und Nasti.

Gelöster, freier und tief naturverbunden wirken ihre Aquarelle, so zwei Zyklen zu Brandenburger Landschaften. Stimmungsbilder sind das, mit Strommasten auch, Pferd und See, klein, intensiv farbig, bisweilen schlierig, hell und licht; angenehm, sie mit den Augen zu durchwandern. Von den Menschendarstellungen prägt sich »J. und Süßli« ein: das farbig konturierte Knabengesicht über einem Vogel.

Eher Traumgesichte sind, was Mona Höke, 1971 geboren und ansässig in Cottbus, teils von wandfüllendem Format in Mischtechnik auf Papier malt oder collagiert. Drei von ihnen zu jeweils 170 x 130 Zentimeter umkreisen Arbeiten von Ingeborg Bachmann. Schwarz und düster sind sie, enthalten schwer lesbare Texte, sind überzogen von einem Schleifenraster, das als weißes Gitter aufliegt, mit den lyrischen Wortmaschen korrespondieren mag. Blutrote Streife brechen ein, manchmal erreichen schwarze Pinselstriche bedrohliche Breite, als wollten sie die Malfläche sprengen.

Aus der Augenblicksemotion geboren scheint, was Höke ausstößt. Dazu gehört, auch dies ohne Titel, ein Stern in Rosa, der friedvoll und leicht außermittig einem olivgrünen Grund aufsitzt. Andere Werke sind wohlkalkuliert, so die Mappe »die gunst der woge ist die gischt«, die gemeinsam mit Dichtern gestaltet wurde. Ihre Wortkunst, handschriftlich aufgebracht, eng und gedrängt oder in Großlettern über die Seite taumelnd, bereichert Höke durch Siebdrucke auf Pergament und Bütten zum Gesamtkunstwerk aus Grafik und Lyrik. Gegen manch bedrängt oder angstvoll Ausgestülptes steht »Zeichen 1« als fein, still, fast fröhlich ziselierte Reihung kalligrafischer Elemente.

Bis 8.2., Inselgalerie, Torstr. 207, Mitte, Telefon: (030) 279 18 08, www.inselgalerie-berlin.de

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