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Ruhm? Baracke und Staub

Zum Tode des Schauspielers und Regisseurs Maximilian Schell

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Student musste er eine Arbeit über die berühmte Statue des Dexileos schreiben. Er reiste dafür nach Athen. Die erste Reiterstatue der Welt, eine Kostbarkeit! - sie stand abgedrängt in irgend einer Baracke, hinter einer trüben Scheibe nur schwach beleuchtet. Dieser Anblick ist für den Weltbürger und Schauspieler zum Gleichnis für das Gesetz des Ruhms geworden: Ruhm - dies Wort tönt gut, verheißungsvoll, »am Ende steht man verstaubt in einer Ecke«. Gern hat er, wo über Vergänglichkeit und Verwehen und Vergessen zu reden war, hintergründig gelächelt. Und noch mitten in den besten Jahren gesagt: »Ich bin kein Erfolgsmensch. Ich bin Student. Das bleibt auch so.«

Die sonore Stimme, der Schal, das Glühen und Glänzen und Geistern der Blicke. Er verströmte Melancholie und leise, wissende Tragik - sowie eine männliche Eleganz, die Oberflächenleuchten und dunkle Tiefgründigkeit zu verbinden wusste, ohne dass zwischen beidem ungelenke, peinlich berührende Fehlproportionen auftreten würden. Er wirkte oft sehr gemächlich, weil sich Denkmäler selten schnell bewegen; ein in seinem speziellen Charme glücklich Versteinerter - dies aber immer mit dem Vollblut des Gauklers, der weiß, dass er der Sekunde gehört, nicht einer Dauer. Das gab dem Manne eine jungenhafte, auch raffinierte Verspieltheit, die sich auf der Leinwand zur suggestiv wirkenden dämonischen Energie auswachsen konnte.

Maximilian Schell, 1930 in Wien geboren, Sohn eines Schriftstellers und einer Schauspielerin, war ein Weltfilmstar. Befreundet mit Marlon Brando, Judy Garland, Orson Welles, Spencer Tracy, Friedrich Dürrenmatt. Weit vorher die Prüfungen: Flucht der Familie vor den Nazis, Jahre in einem Kinderheim. Als der Germanist und Musikwissenschaftler beschließt, Darsteller zu werden, ist gerade Horst Caspar gestorben, das strahlend umschattete Spiel-Genie auf deutscher Bühne. Eine Position ist also gleichsam frei. Schell macht sich auf den Weg, über Essen, Bonn, Lübeck, München; ankommen wird er in Hamburg bei Gründgens. Hamlet. Weihevoll weltfern; versunken menschenfremd; fast noch mehr Geist als der ermordete Vater. Dann weiter nach Salzburg: Jedermann. Da ist er Schauspieler, ganz drinnen im Theaterbetrieb, der diese neue geheimnisvolle Strahlkraft feiert und umwirbt - Filmstar aber wird er weit draußen, in Hollywood, mit einer schwermütigen oder leicht schwingenden Musikalität, die auf Identifikation gestimmt ist. Wird erster deutschsprachiger Oscar-Preisträger (als Anwalt eines Nazis in »Das Urteil von Nürnberg«), wird Regisseur, Produzent, Maler, Schriftsteller (»Der Rebell«), vor allem ist und bleibt er: ein ausdauernder Träumer vom Eigentlichen. Von dem nie jemand genau sagen kann, worin es besteht und wann es der eigenen Arbeit den Adel des Gelungenen verleiht. Bezeichnend nannte er seine Erinnerungen: »Ich fliege über dunkle Täler«. Kein Licht, nirgends, von dem man sagen könnte: endlich die Erleuchtung, endlich die Landebahn fürs gültige Ankommen!

Diese Wahrheit bewahrte Schells Spiel- und Regie-Erfolgen (»Geschichten aus dem Wiener Wald« »Topkapi« »Die Akte Odessa«, »Der Rosengarten«, »First Love« »Der Fußgänger«, »Der Richter und sein Henker«) eine währende, unruhige Suchbewegung - nach dem beständigen Werk. Das ja besonders jenem Menschen ein schönes Phantom und zugleich ein unschöner Schmerz ist, der mit mehreren Talenten leben darf, leben muss. Arbeitsteilung ist Energieverteilung, und Vielseitigkeit ist auch der Feind der Konzentration. Schell wusste das - und lebte sie geradezu graziös, diese Dauerspannung zwischen Selbststeigerung und Selbstrelativierung. Er liebte Sokrates, Mozart, Shakespeare, und solche Zuneigung zum Genie führte zu seiner Haupterkenntnis: den besten Film leider nie gedreht und nie gespielt zu haben. Aber zu vital ist er stets gewesen, auch zu intelligent, um aus Wehmut und besagtem Bewusstsein vom Scheitern eine unnoble Verbitterung werden zu lassen - er hat also gearbeitet, und es schien: immer eine Spur der Moderne hinterher; sogar Bundesfilmpreise galten der Kritik »nur« als Zertifikate seines Unzeitgemäßen, seines Konservatismus. In aller Zerrissenheit blieb da stets auch, und mitunter sogar dominierend, die undurchdringliche Eleganz einer Luxus-Existenz.

Groß sein Dietrich-Film: »Marlene«. Vielstündig, im wahren Sinn des Wortes: ein Ton-Film. Sie redet, ihr Gesicht unsichtbar. Der Film führt uns wahrlich hinters Licht, in dem diese Frau offenbar nie lebte, sondern stets nur ausgeleuchtet worden war. Und dem sie sich in ihren späten Jahren, hinter den schweren Pariser Gardinen, verweigerte. Von bezwingender Güte Schells Film über die letzte quälende Zeit seiner Schwester Maria, ein so zartes wie tragisches Zeugnis der Geschwisterliebe und der metaphysischen Dimensionen des Daseins. Das Marlene- und das Maria-Dokument: Beides ist bildgewordene Poesie Gottfried Benns, ist dessen Klarsicht, was jede Existenz bindet und beschließt: »die Leere und das gezeichnete Ich«. Aber inmitten dieses filmischen Fühlens zum Tode hin: ein Ja zum Leben.

Wenn man diesen klugen Schauspieler in den letzten Jahren sah, feierte man automatisch einen Abschied mit. Denn die Bannkraft seiner Augen, die Exzentrik seiner so selbstverständlichen Eitelkeit und das trotzig Galante seiner Altersjugend strickten am Bild einer Legende, die längst keine Kameras mehr brauchte, um doch dauerhaft im Lichte zu stehen.

Am Sonnabend ist Maximilian Schell, der Österreicher mit dem Schweizer Pass, in Innsbruck gestorben, im Alter von 83 Jahren.

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