Regionalproporz verhindert Sachkompetenz

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Renate Künast, wo sind Sie? Es muss schon wirklich sehr schlecht um die Landwirtschaft gestellt sein, wenn ich mir die kauzige Grünenpolitikerin ins Amt der Agrarministerin zurückwünsche. In Anbetracht der politischen Realitäten erscheint Künasts Amtszeit von 2001 bis 2005 rückblickend wie eine leuchtende Blütezeit, in der die Bundesrepublik wenigstens die mikroskopisch winzige Chance besaß, etwas hinzubekommen, was den Namen ökologische Agrarwende auch tatsächlich verdient hätte. Künast muss im Gegensatz zu allen ihren Nachfolgern immerhin zugute geheißen werden, dass sie sich als Ministerin tatsächlich für Agrarthemen interessierte, lässt man einmal für einen kurzen Moment auch ihr konsequentes Festhalten an einer Landwirtschaft auf Grundlage von Tierausbeutung außen vor. Mit dieser Haltung steht sie nicht allein da, teilt sie diese doch mit Horst Seehofer, Ilse Aigner, Hans-Peter Friedrich und ebenso mit Christian Schmidt. Als Letzterer am Montag der Öffentlichkeit als Neuer vorgestellt wurde, beschäftigten mich vor allem zwei Fragen. Erstens: Wer ist das? Zweitens: Warum wird das Bundeslandwirtschaftsministerium von der Politik seit Jahren derartig und von oben herab mit Gummistiefeln getreten?

Erstere Frage ist noch einigermaßen leicht zu beantworten: Schmidts Kompetenzen in landwirtschaftlichen Fragen dürften sich in etwa auf dem Niveau eines durchschnittlichen Konsumenten bewegen. Das heißt, ihm könnte bekannt sein, dass die für Alpenmilchschokolade werbende lila Kuh nicht die Hauptlieferantin für zarten Schmelz sein kann. Schmidt ist ein Mann der Sicherheit und Außenpolitik, arbeitete acht Jahre als Parlamentarischer Staatssekretär im Außenministerium, ehe es ihn mit dem Antritt der Großen Koalition für einige Wochen ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verschlug. Dort würde er als Staatssekretär noch immer hocken, hätte es Parteikollege Hans-Peter Friedrich nicht aus dem Amt gefegt. Womit wir ohne Umwege über eine Ackerschneise direkt zur zweiten Fragestellung kommen.

Schmidt ist nicht neuer Landwirtschaftsminister, weil er sich über die Jahre den Ruf eines Experten für Düngemittel, Tierschutz und kleinbäuerliche Strukturen erarbeitet hat. Er saß nie in einem Fachgremium, was sich über die Folgen der industriellen Landwirtschaft den Kopf zerbrach. Zeit genug hätte er im Verlauf seiner Karriere gehabt. Doch Schmidt zieht in das Haus in der Berliner Wilhelmstraße 54, weil den Christsozialen in erster Linie die Frage des Regionalproporz wichtiger war als fachliche Kompetenz. Friedrich war Franke, also musste dessen Nachfolger der CSU-Logik folgend aus selbigem Landstrich im nördlichen Teil des Freistaat Bayern stammen.

Dabei hätte dieser Fehlgriff in Sachen Fachkompetenz leicht verhindert werden können, als es vor einigen Wochen um die Ressortverteilung innerhalb der neuen Bundesregierung ging. Man muss und sollte die Agrarpolitik der Konservativen aus hunderten Gründen kritisieren, aber selbst der CSU dürfte es schwerfallen, mit einigermaßen nachvollziehbaren Sachargumenten zu erklären, weshalb nicht CSU-Politiker Gerd Müller von Anfang an den Job des Landwirtschaftsministers übernehmen sollte. Immerhin handelt es sich bei Müller um einen – wenn auch äußerst streitbaren – Agrarexperten, mit dem sich die Fachwelt im Gegensatz zu Schmidt wenigstens von Anfang hätte streiten können. Stattdessen setzte die Große Koalition den Honorarprofessor für Internationale Agrarpolitik auf den Posten des Entwicklungshilfeministers, wo Müller nun nicht mehr weg will.

Hans-Peter Friedrich wurde indes nur Chef des Agrarministeriums, da sich Merkel außerstande sah, den ungeliebten Ex-Innenminister vollkommen aus der Regierung zu kegeln. Friedrichs Wechsel war insofern nichts weiter als eine Strafversetzung in ein Ministerium, dessen Beliebtheitsgrad unter Berufspolitikern noch nie besonders hoch war und wo Merkel hoffen konnte, dass der Ex-Innnenminister keinen weiteren Flurschaden anrichten würde. Auch hier ging es am Ende nicht um Kompetenz sondern ausschließlich um Machtfragen.

Derartige politischen Spielchen hat ein chronisch unterschätztes Ressort, wie das Landwirtschaftsministerium, nicht verdient. Dessen gesamtgesellschaftliche Bedeutung scheint in Berlin noch nicht wirklich angekommen zu sein. So braucht die Bundesregierung an das Thema Umweltschutz eigentlich kaum mehr einen Gedanken verschwenden, wenn sie sich tatsächlich dazu entschließen sollte, ihre selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen, ohne dabei im gleichen Atemzug das Landwirtschaftsministerium endlich ernster zu nehmen.

Immerhin stammt mehr als die Hälfte des in Deutschland ausgestoßenen Klimagiftes Methan (21 Mal schädlicher als Kohlenstoffdioxid) aus der Landwirtschaft oder konkreter ausgedrückt aus den Mägen pupsender und rülpsender Rinderherden (hier und hier). Nicht viel besser sieht es mit dem Klimakiller Lachgas (310 Mal schädlicher als Kohlenstoffdioxid) aus. Dessen Freisetzung wird hierzulande vor allem durch den Einsatz von Kunstdüngern befördert.

Ein Problem, was sich nur durch eine grundsätzlich andere Landwirtschaftspolitik lösen ließe. Die Themen Tierschutz, Verbandsklagerecht, Subventionsmoloch und Dominanz von Großbetrieben seien nur als Stichworte genannt. Nimmt man den Enthusiasmus von Schmidts Vorgängern und Parteifreunden Aigner und Seehofer als Gradmesser, dann ist es um die Agrarpolitik der laufenden Legislaturperiode schlecht bestellt.

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