Im Nebel der Zukunft

Warum nicht nur Astrologen, sondern auch Experten mit ihren Prognosen oft gehörig daneben liegen

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 6 Min.

Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen», sagte der große Philosoph Karl Valentin einmal. Oder war es Winston Churchill? Mark Twain? Genau weiß das niemand. Doch dass der schöne Spruch nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgen allein in Deutschland über 2000 selbsternannte Hellseher, Wahrsager und Astrologen, deren Prognosen in der Regel dann scheitern, wenn sie konkrete Aussagen enthalten.

So geschah es auch 2013, wie eine Analyse des Mainzer Mathematikers Michael Kunkel ergeben hat, der im Auftrag der «Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften» (GWUP) seit Jahren «seherische» Prophezeiungen sammelt und sie nach abgelaufener Gültigkeitsdauer auswertet.

Nicht anders als in den Jahren zuvor fand Kunkel auch in den Prophezeiungen für 2013 zahlreiche Hinweise auf Natur- und Umweltkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen oder nukleare Unfälle. Das meiste davon ist jedoch wertlos, da die Urheber der Prognosen gewöhnlich nicht angeben, wo und wann die jeweilige Katastrophe stattfinden wird. Wer dies dennoch tut, liegt in der Regel falsch. So wie die Wiener Hellseherin Rosalinde Haller. Der von ihr für 2013 geweissagte zweite Atomunfall in Japan blieb aus, glücklicherweise. Nicht viel anders erging es der kanadischen «Seherin» Nikki Pezaro, die Terroranschläge in New York und London prophezeit und damit einigen dort lebenden Menschen vermutlich einen gehörigen Schreck eingejagt hatte.

In einem Punkt allerdings behielt Rosalinde Haller recht. Mohammed Mursi, so hatte sie orakelt, werde sich als ägyptischer Präsident nicht halten können. Kunkel spricht hier von einem Glückstreffer: «Wenn man - wie Frau Haller - sehr viele Prognosen formuliert, dann sind einzelne Treffer praktisch unvermeidlich.» Bedenkt man überdies, dass Mursis Stellung in Ägypten zu keiner Zeit gefestigt war und er von Anfang an einen Machtkampf mit dem mächtigen Militärrat führte, könnte man die Prognose seines Sturzes durchaus auf ein gutes politisches Gespür zurückführen.

Ein solches ließen viele Astrologen im Vorfeld der Bundestagswahlen 2013 vermissen. Zwar zweifelte niemand, dass die Kanzlerin erneut Angela Merkel heißen wird. Ansonsten jedoch waren die Vorhersagen der Wahlergebnisse bunt gemischt, obwohl sie allesamt auf den gleichen astronomischen Daten beruhten. Während die Münchner Astrologin Christiane Durer den Grünen stattliche 15 Prozent verhieß, fand ihre Kollegin Ruth Brummund deutliche Hinweise in den Sternen, dass Schwarz-Gelb in Berlin weiter regieren werde. Lediglich die Astrologin Karin Meyer gab eine halbwegs treffende Prognose ab, allerdings erst kurz vor der Wahl. Mit Blick auf die damals veröffentlichten Meinungsumfragen sei das wenig beeindruckend, meint Kunkel: «Zahlreiche politische Kommentatoren hatten auch ohne astrologische Analyse Ähnliches erwartet.»

Die große Chance, ihre Kritiker zumindest zu verblüffen, ließen sich Astrologen und Hellseher auch 2013 entgehen. Sie hätten nämlich bloß vorhersagen müssen, dass Benedikt XVI. als Papst zurücktreten werde. Weil mit einem solchen Ereignis aber keiner rechnen konnte, sucht man es auch in den Prognosen der vermeintlichen Seher vergeblich. Ebenso übrigens wie den Absturz eines Meteoriten nahe der russischen Stadt Tscheljabinsk am 15. Februar 2013. Zwar orakelte Christiane Durer ganz allgemein über Gefahren aus dem All, die der Menschheit 2013 drohten. Aber erstens rechnete sie damit frühestens im Dezember 2013, und zweitens verschwieg sie vorsichtshalber, welche Regionen davon betroffen sein werden.

Es sind aber nicht nur Hellseher und Astrologen, die regelmäßig an der Vorhersage der Zukunft scheitern. Auch von zahlreichen Experten sind mitunter peinliche Fehlprognosen überliefert. Nehmen wir als Beispiel Charlie Chaplin, der 1916 erklärte: «Das Kino ist nur eine Modeerscheinung. Was die Leute wirklich sehen wollen, ist Fleisch und Blut auf der Bühne.» Einige Jahre später, als Chaplin längst zum Stummfilmhelden geworden war, kam der Tonfilm auf, für den der Hollywood-Produzent Harry M. Warner jedoch keine Zukunft sah. Seine Begründung: «Wer zum Teufel will Schauspieler sprechen hören!» Vielfach belächelt wurde auch Dick Rowe, der Chefanalyst der Plattenfirma Decca, der es 1962 ablehnte, eine Gruppe junger Musiker unter Vertrag zu nehmen. «Uns gefällt ihr Sound nicht», sagte er, «und Gitarrenmusik ist ohnehin nicht gefragt.» Die Musiker waren - die Beatles, und Rowe ließ sich die wohl lukrativste Chance seines Lebens entgehen.

Oft ist jedoch nicht Unvermögen die Ursache von Fehlprognosen. Es ist vielmehr die Komplexität unserer Gesellschaft, die eine offene Zukunft bedingt. Eine Zukunft, die häufig so empfindlich von zufälligen Ereignissen abhängt, dass niemand ihren Verlauf vorhersagen kann - weder ein Astrologe noch ein Wissenschaftler.

Das musste auch Albert Einstein erfahren, der 1932 feststellte: «Es gibt nicht das geringste Anzeichen, dass wir jemals Atomenergie entwickeln können.» Eine nicht minder grandiose Fehlprognose leistete sich 1957 der Direktor der Sternwarte Greenwich. Zwei Wochen vor dem Start von «Sputnik 1» antwortete er auf die Frage, was er von Raumfahrt halte: «Alles Quatsch!» Gehörig daneben lag auch Bill Gates, der 1981 meinte, dass 640 Kilobyte Speicher auf dem Computer für jedermann künftig ausreichen dürften.

Neben solchen «Negativ-Prognosen» gab es natürlich auch Stimmen, die die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Technik in eher rosaroten Farben malten. 1910 zum Beispiel waren nicht wenige Ingenieure und Ärzte überzeugt, dass das radioaktive Element Radium eine praktikable Lichtquelle sowie ein Heilmittel gegen Tuberkulose und Krebs sei. Eine der wohl berühmtesten Zukunftsprognosen wagte 1967 der US-Futurologe Herman Kahn. Im Vertrauen auf eine schnelle lineare Weiterführung technischer Lösungen verfasste er ein Buch mit dem Titel «Ihr werdet es erleben», das erstaunlich konkrete Aussagen über die Welt im Jahr 2000 enthält. Allein die Realität blieb weit hinter Kahns Visionen zurück: So ist es der Menschheit bisher weder gelungen, Ackerbau auf dem Meeresboden zu betreiben, noch Medikamente zum Zwecke der Verjüngung zu entwickeln. Es finden nach wie vor keine bemannten interplanetaren Raumflüge statt, und Wettervorhersagen sind weiterhin mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.

Mögen sich esoterische und seriöse Zukunftsforscher auch in vielem unterscheiden, eines haben beide gemein: Trotz aller Fehlprognosen sind sie nicht davon abzubringen, weiter in die Zukunft zu «schauen». Vor wenigen Jahren verblüffte der renommierte Politologe George Friedman seine Kollegen mit der Prognose, dass Russland und China ab 2020 an inneren Konflikten zerbrechen und dadurch politisch wie militärisch als Großmächte ausfallen würden. Dies wiederum käme einigen kleineren Staaten zugute, insbesondere Japan, Polen und der Türkei, die sich daraufhin zu neuen regionalen Führungsmächten entwickelten. Zwar sei nicht auszuschließen, so Friedman, dass zwischen jenen Mächten und den USA ein Krieg ausbrechen werde. Am Ende jedoch trete die Welt in ein neues, von den USA dominiertes Goldenes Zeitalter ein. Vermutlich hat gerade diese Verheißung dazu beigetragen, dass Friedmans Buch «Die nächsten 100 Jahre» in den USA zum Bestseller wurde.

Glaubt man einer anderen Prognose, dann geht in ungefähr zehn Jahren das erste Kernfusionskraftwerk ans Netz. 2030 beginnt die Besiedlung des Mars, 2050 verpflanzen Ärzte ein im Labor hergestelltes Herz, und 2080 treffen die ersten Signale von außerirdischen Zivilisationen ein. Unsere Nachfahren können also gespannt sein oder es schlicht mit Einstein halten, der einmal erklärte: «Die Zukunft interessiert mich nicht, sie kommt früh genug.»

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