Der alte Hut mit dem »neuen Deutschland«
Adel Tawil ist für Markus Lanz nicht einfach nur ein Sänger. Er ist mehr. Lanz nannte ihn in seiner letzten »Wetten, dass.. ?«-Sendung nämlich einen Botschafter des neuen Deutschland. Genauer definierte er das nicht. Was gemeint war, dürfte aber klar sein. Das »neue Deutschland« strotzt vor Weltoffenheit und Toleranz, vor Aufgeklärtheit und Fairness. Und es bietet allen eine Chance. Sogar diesem Jungen aus dem Maghreb.
Neulich hat ein Kollege gesagt, dass sein englischer Schwager vom »neuen Deutschland« und seinem »liberalen Geist« positiv überrascht sei. Solche Huldigungen hört man sonst nur im Fernsehen. Besonders Lanz tut sich dort seit Jahren hervor, feiert in seinen Sendungen alles als flippiges und fetziges Produkt des kosmopolitischen Deutschlands, das so anders ist als das Deutschland von früher. Er kitzelt das Staunen seiner Zuschauer über diesen neuen Typus des deutschen Menschen hervor.
Als »das Gesicht des neuen Deutschland« schlechthin gilt natürlich die Fußballweltmeisterschaft 2006. Damals operierte die NSU noch unbeobachtet und heimlich. Und die Politik des Sparens und Sozialabbaus, die Berlin Europa verordnete, war noch Zukunftsmusik. So wie Sarrazins »Deutschland schafft sich ab«. Über Sinti und Roma fluchte man noch hinter vorgehaltener Hand. Das bisschen Islamophobie wurde überdies galant überspielt. Ach, man hätte es fast glauben wollen, dieses Märchen vom »neuen Deutschland« und den »neuen Deutschen« mit ihrem fröhlichen Nationalismus. Oberflächlich betrachtet sah es ja auch beinahe echt aus.
Letztens zappte ich ins Morgenfernsehen. Da war eine junge Deutsche in Israel zu sehen. Sie schwärmte, dass die Israelis jetzt ein anderes Bild von Deutschland hätten. Das »neue Deutschland« wäre ihnen sympathisch. Und als Nazi werde man jetzt auch nicht mehr beschimpft. Endlich sei alles entspannt. Später saß sie mit einem Israeli im Café. Auch der lobte die »lockere Art der Deutschen«. Da sitzen zwei junge Menschen, die auf der Siegerseite dieser Welt leben und finden alles ganz locker und fein, dachte ich mir.
Man hätte auch mal einen Palästinenser und eine Griechin bei Wein und Cola philosophieren lassen können. Dann wäre vielleicht sichtbar geworden, dass es heute eher die Griechen sind, die »Nazis« zu den Deutschen sagen. Dieses »neue Deutschland« hat die Wut auf sich nur verlagert und nicht beseitigt, wie das die Freunde dieser patriotischen Formel gerne behaupten.
»Neues Deutschland« ist, wenn Künstler mit Migrationshintergrund Erfolge feiern und nicht wie ihre Landsleute in der sozialen Hängematte baumeln. »Neues Deutschland« ist, wenn Kanzlerin und Verteidigungsministerin so gute Militärpolitik betreiben, wie damals noch kriegerische Männer. »Neues Deutschland« ist cool und trendy, besteht aus lächelnden Gesichtern und weiser Lebenseinstellung, ist ausländerfreundlich, multikulturell versiert, strikt demokratisch und hat die Ansprüche der modernen Welt erfüllt. Ja, das »neue Deutschland« ist der wahr gewordene Fortschritt. Das alles schwingt in dieser Formel mit.
Der hässliche Deutsche hat abgewirtschaftet. Die nationalistischen Formeln, die aus wissenschaftlichen Gremien rieseln, werden heute mit dem Typus des aufgeklärten Teutonen kaschiert. Ein solcher Mensch, geläutert durch eine Vergangenheit, die ihm immer gewahr ist und der erfolgreich, urban und extrovertiert lebt, hat auch die Berechtigung, seine »Verantwortung in der Welt« zu tragen. In etwa so argumentiert Gauck, die oberste Stimme des »neuen Deutschland« regelmäßig.
Der neue Deutsche schickt seine Soldaten nicht mehr aus Größenwahn zu denen, die sich nicht wehren können. Er tut es aus Verantwortung. Und weil er seine Interessen wahren muss. Und weil die Vorsehung ihm diese Bürde auferlegt und er sich nicht gegen sein Schicksal wehren sollte. Wenn man es genau nimmt, ist dieses »neue Deutschland« auch nur ein alter Hut, von dem man aber behauptet, man habe ihn eben neu erworben.
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