Große Dinge passieren, wenn keiner hinschaut

Die Krimkrise legt auch das Sportleben der Ukraine lahm: Die Fußballliga verlängert die Winterpause, die Paralympier stehen vor einem Boykott

  • Denis Trubetzkoy, Sewastopol
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Fußballer der Ukraine spielen am Mittwoch auf Zypern gegen die USA - ein Freundschaftsspiel. Sonst aber liegt der Sport darnieder.

Mitte November haben die Ukrainer die magische Nacht von Kiew gefeiert. Die ukrainische Fußballnationalmannschaft zeigte eine überragenge Vorstellung gegen die favorisierten Franzosen. Das Team von Mykhaylo Fomenko gewann ganz überraschend mit 2:0. Nur drei Monate später erscheint es wie eine ferne Zeitrechnung. Heute ist es den Ukrainern völlig egal, dass die Qualifikation zur WM in Brasilien doch noch mit einem Fiasko endete.

Der Sieg über Frankreich aber wird in Kiew unvergessen bleiben, er gehört in eine Ära des Aufrbruchs, denn wenige Tage darauf, am 21. November, begann unsere Revolution. Heute hingegen steht das Land vor einem Krieg. Das sportliche Leben spielt hier in diesen Tagen keine Rolle mehr. Dabei sollte es am vergangenen Freitag eigentlich mit dem Fußball wieder losgehen. Es kam nicht dazu: Die ukrainische Liga hat die Winterpause verlängert, es bleibt aber offen, ob diese Saison überhaupt zu Ende geführt werden kann.

Nur eines weiß man sicher: Die großen Dinge passieren immer dann, wenn keiner mehr hinschaut. Der ukrainische Fußball ist auch keine Ausnahme. Genau jetzt, wo sich niemand für den ukrainischen Fußballverband FFU interessiert, der 2012 noch die Europameisterschaft ausrichten durfte, passiert auch dort Politik mit harten Bandagen. Letzte Woche haben Unbekannte versucht, das Hauptbüro des Verbandes in Kiew zu stürmen. Sie forderten den sofortigen Rücktritt vom Präsidenten Anatolij Konkow, der eng in Verbindung mit Shakhtar-Donezk-Besitzer und Oligarch Rinat Achmetow steht. Ohne Erfolg, doch die Lage wird für den FFU-Präsidenten deutlich schwieriger.

Am Sonntag hat eine bekannte ukrainische Fußballseite im Internet Dokumente über FFU-Präsident Konkow veröffentlicht. Falls die Dokumente echt sind, beweisen sie, dass Konkow korrupt ist. Die Vorwürfe wiegen schwer: Geldwäsche und die Bezahlung von Reisen seiner Geliebten und Freunden mit den Verbandsgeldern. Konkow steht im Verband damit vor dem Aus. Engste Konkow-Vertraute wie Vizepräsident Anatolij Popow haben die Vorwürfe bestätigt. Im FFU werden die Karten neu gemischt.

Nicht nur im Fußball, sondern auch im Basketball hat die Ukraine ihre eigenen Ambitionen. Die Basketball-EM 2015 soll das nächste große Sportereignis werden, doch die Zukunft des Projektes ist ungewiss. Im ukrainischen Parlament will man schon ein Gesetz einführen, das die Staatsfinanzierung von »Eurobasket 2015« und die Bewerbung für die Olympischen Spiele 2022 in Lwiw verbietet. Der Basketballverband hofft, dass sich die Lage ändert, aber eine Sitzung des Weltverbandes FIBA, die Ende März stattfinden soll, könnte das Ende für den Traum bedeuten.

Ein anderes großes Thema sind die Paralympischen Spiele in Sotschi, die am Freitag in Russland beginnen sollen. Die Ukraine ist eines der erfolgreichsten Länder im paralympischen Sport, nun aber steht hinter der Teilnahme an den Paralympics zumindest ein übergroßes Fragezeichen. Kaum jemand rechnet noch damit, dass die ukrainischen Sportler nach Sotschi reisen. Indirekt hat das Walerij Suschkewitsch, der Chef des Nationalen Paralympischen Komitees, bereits bestätigt: »Es wäre eine Tragödie für die Sportler, aber in den nächsten Tagen werden wir eine Entscheidung treffen.« In Sotschi hatte sich die Ukraine sogar Hoffnungen auf Platz eins im Medaillenspiegel gemacht.

Aus Sotschi stammt auch die Erinnerung an einen Tag, den die Menschen hier nicht so schnell vergessen werden. Am 21. Februar haben Vita Semerenko, Julia Dzhyma, Valja Semerenko und Olena Pidhrushna den vielleicht wichtigsten Olympiasieg in der ukrainischen Sportgeschichte geholt - die Biathletinnen gewannen die Frauenstaffel. In derselben Nacht war der ukrainische Präsident Janukowitsch schon auf der Flucht. Seine Zeit war endgültig vorbei. Der Sport spielt heute aber keine große Rolle mehr. Die Zukunft ist mehr denn je ungewiss.

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