Das Woher der Verse

Für K.-D. Schönewerk

  • Henry-Martin Klemt
  • Lesedauer: 2 Min.

Seine Verse sind verstreut in Anthologien, die meisten blieben ungedruckt. Es kam ihm nicht wirklich darauf an. Klaus-Dieter Schönewerk las, wenn man ihn vorzulesen bat. Oder wenn er selbst an der Reihe war, im Zirkel schreibender Arbeiter der Druckerei Neues Deutschland, den er Anfang der 1970er Jahre gründete und den er bis vergangene Woche - inzwischen Friedrichshainer Autorenkreis - leitete.

Ich war noch fast ein Kind, als ich dem Journalisten, Diplom-Germanisten und Kunstwissenschaftler aus der ND-Kulturredaktion zum ersten Mal begegnete. Meine Deutschlehrerin, seine Frau Eva, hatte mich eingeladen. Auch sie eine Dichterin. Die beiden wurden zu meinen poetischen Eltern. Behutsam sich nähernd die eine, schnell und strikt im Urteil der andere. Schönewerks poetischer Kanon war streng. Seine Formel: Im Zweifelsfalle Verzicht. Wenn die Kraft zum Präzisen nicht reicht, wenn das Poetische nach Strohhalmen greift, Redundanzen und Polit-sprech, dann sagte er: Zeig mal … und hatte einen ziemlich dicken Kugelschreiber in der Hand. Aber nie vergaß er, nach dem Woher des Verses zu fragen, nach dem Menschen, der ihn geschrieben hat. Im Zentrum seiner Poetik stand ein Satz von Paul Wiens: Gedichte entstehen aus der Untröstlichkeit.

Ein Mann, der horchte, wo im Lärm die Stille wohnt, während das Fernsehgerät unablässig Nachrichten spuckte, der sich an einer Zeile festhalten konnte, die herausragte aus den geradezu täglich wachsenden Bücherbergen, zwischen denen er lebte. Nicht nur dem Ungesagten, auch dem Unsagbaren eine Stimme leihen, das war Dichtung für ihn. In seinen zahllosen Rezensionen finden sich immer wieder Sätze, in denen er selbst mit seinem Credo sichtbar wird, wo es das Credo des Rezensierten berührt.

Im Übrigen war Klaus-Dieter Schönewerk ein fröhlicher Mensch, zugewandt und neugierig. Er brauchte die vielen, um weiter denken zu können, und viele brauchten ihn. Er möchte gern eine Tankstelle für Verlierer sein, hat der Dichtersänger Gerhard Gundermann einmal für sich formuliert. Der Friedrichshainer Autorenkreis ist solch eine Tankstelle geworden. An Verlierern fehlt es ja nicht.

Am 6. März ist Klaus-Dieter Schönewerk nach kurzer schwerer Krankheit verstorben.

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