Drachen, Wimpern und der Zahn der Zeit

Das Schloss Wörlitz gilt als erstes klassizistisches Bauwerk in der Architekturgeschichte Deutschlands - jetzt wird das Obergeschoss restauriert

  • Petra Buch, Wörlitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Schwamm hat sich durch die Balken gefressen, mit filigraner Handwerkskunst und immensem Aufwand wird Schloss Wörlitz in Sachsen-Anhalt seit Jahren restauriert. 2017 soll alles fertig sein.

Es ist eine gewaltige Aufgabe: Millimeter für Millimeter legen Restauratoren mit feinsten Pinselstrichen in den Räumen von Schloss Wörlitz in Sachsen-Anhalt wahre Schätze frei. Ob Malereien aus dem 18. Jahrhundert mit italienischen Motiven wie dem Kolosseum in Rom oder Reliefs mit Motiven aus der Seefahrt - das denkmalgeschützte Haus ist eine Großbaustelle, es geht um die Bewahrung historischer Kostbarkeiten. Das Schloss gilt als erstes klassizistisches Bauwerk in der Architekturgeschichte Deutschlands.

»Wir sind derzeit dabei, die Räume im Obergeschoss zu restaurieren. Spätestens 2017, zum 200. Todestag des Fürsten Franz, wollen wir fertig sein. Der Anblick soll ein Paukenschlag sein«, sagt Annette Scholtka, Chefin für die Baudenkmalpflege bei der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Sie läuft durch Räume mit Gerüsten und ausgelegten Planen, vorbei an Werkzeugen, Farb- und Putzeimern. In gut vier Metern Höhe arbeitet eine Kirchenmalerin. Im chinesischen Zimmer geht Viktoria Häner an der Decke, wo Drachen und Himmelsmotive bereits in neuem Glanz erstrahlen, ganz behutsam vor. »Das Filigrane, das ist das, was mir so gefällt«, sagt die junge Frau aus Erfurt. Neben ihr auf dem Gerüst arbeitet der Bildhauer und Restaurator Andreas Rentsch, um selbst winzigste Risse im historischen Putz und an der Stuckdecke zu beheben. »Man muss dabei sehr, sehr vorsichtig sein«, betont auch Restaurator Marko Hersel, der im Zimmer nebenan einzelne Wimpern eines historischen Stuckmotivs bearbeitet.

»Die Schäden sind immens, das Licht war einer der schlimmste Feinde«, sagt Scholtka und zeigt Teile von 230 Jahre alten und von Hand in China bemalten Tapeten. Der Zahn der Zeit und der Hausschwamm in den Balken hat dem 1769 bis 1773 nach Entwürfen von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736-1800) errichteten Schloss zugesetzt.

Seit Jahren laufen die Sanierungsarbeiten in dem Gebäude, das rund 50 Räume und einen mit Südseemotiven ausgestatteten Saal mit 36 Palmen aus Holz unter dem Dach hat. Rund 1,6 Millionen Euro stehen laut Kulturstiftung von Bund und Land im Jahr zur Sanierung von Garten und Bauten zur Verfügung, dafür die Hälfte für das Schloss Wörlitz, sagt Scholtka. Das Schloss mit Säulen und großer Treppe ist das bekannteste Gebäude im Dessau-Wörlitzer Gartenreich.

Seit dem Jahr 2000 gehört der 142 Quadratkilometer große Landstrich zum UNESCO-Welterbe, in ganz Deutschland tragen 38 herausragende Bauten und Anlagen diesen Titel. Geschaffen wurde die Parklandschaft an der Elbe mit 200 Bauwerken im 18. Jahrhundert von Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817), schlicht Fürst Franz genannt. Reisen nach Italien und England hatten Franz inspiriert.

Das Gartenreich ist ein Gesamtkunstwerk, die Ideen des Fürsten galten als wegweisend. »Das Wichtigste war der pädagogische Ansatz: sich erfreuen und beglücken durch Bildung. Das ist auch heute noch aktuell«, sagt Scholtka. Der Leitgedanke des Fürsten war Weltoffenheit, Toleranz.

Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, wo nachweislich Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe ins Schwärmen geriet, besuchen jährlich Zehntausende Menschen aus der ganzen Welt. Wenn die Natur aus dem Winterschlaf erwacht, herrscht Hochbetrieb. An diesem Wochenende begann die Saison mit einem zweitägigen Fest. dpa/nd

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