Der Geheimdienst soll auspacken

Anfragen zur Bespitzelung nehmen sprunghaft zu, Auskünfte sind fast immer unvollständig

Das Interesse an der Arbeit des Verfassungsschutzes hat deutlich zugenommen. Sehr selten aber ist die Auskunft des Geheimdienstes über gespeicherte Daten vollständig.

Die Zahl der Auskunftsbegehren gegenüber dem brandenburgischen Verfassungsschutz hat laut Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres seien 162 derartige Anträge gestellt worden. Im gesamten vergangenen Jahr hätten 189 Personen solche Anträge eingerecht. 2010 seien es 44 Anträge gewesen, 2011 dann 52 Anträge und 2012 schon 68 Anträge.

Dem Innenminister zufolge stammten die Anfragen im Jahr 2011 überwiegend von Personen aus der rechtsradikalen Szene. Ein Jahr später sei dann die Anzahl der Anträge von Personen »aus dem rechts- und linksextremistischen Bereich in etwa gleich« gewesen.

Wissen wollte dies der Landtagsabgeordnete Norbert Müller (LINKE). Der Minister erklärte Müller, dass fast alle Auskünfte keineswegs vollständig waren. In den Jahren 2011 und 2012 hätten nur zwei Menschen »vollumfänglich« Auskunft darüber erhalten, was über sie beim Verfassungsschutz gespeichert war, alle übrigen mussten sich mit »Teilauskünften« zufrieden geben. Für 2013 sei die Bearbeitung noch nicht abgeschlossen. Deshalb können keine Angaben gemacht werden, sagte der Innenminister.

Auf Müllers Nachfrage gab Holzschuher auch bekannt, dass sich in den Jahren 2011 und 2012 je zwei Antragsteller an die Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge wandten. Das habe zu einer Korrektur geführt. Bei der Frage nach der Bearbeitungsdauer von derartigen Anträgen ließ sich der Minister auf keine konkrete Angabe ein. Das hänge ab von der Anzahl der eingehenden Ersuchen, von den »zur Verfügung stehenden Personalressourcen«, vom Einzelfall, vom Umfang der Erkenntnisse und der Beteiligung anderer Behörden. Eigentlich gilt eine Frist von vier Wochen, erinnert sich der Landtagsabgeordnete Müller.

Laut Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Brandenburg muss der Geheimdienst auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die Daten erteilen, die zu dem Anragsteller gespeichert sind. Er muss auch informieren über Zweck und Rechtsgrundlage der Speicherung.

Norbert Müller liest an den Zahlen ein »gestiegenes Misstrauen« gegenüber dem Verfassungsschutz ab. Das habe natürlich auch mit dem NSU-Skandal zu tun, ist er überzeugt. Nach seinen Informationen laufen in Brandenburg derzeit rund 380 Auskunftsersuchen. »Im Jahr 2009 hat der Verfassungsschutz offensichtlich damit angefangen, massiv die linke Szene Potsdams auszuspähen, obwohl diese nur mit Spaßdemonstrationen und Partys von sich reden macht«, hat der junge Politiker festgestellt.

2007 hätte sich das vielleicht irgendwie rechtfertigen lassen. Damals trafen sich im Potsdamer Schloss Cecilienhof im März die Umweltminister der mächtigen G 8-Staaten und im Mai die Außenminister. Die Finanzminister kamen ebenfalls im Mai im Resort Schwielowsee zusammen. Diese Treffen dienten zur Vorbereitung des G 8-Gipfels im Juni 2007 im Ostseebad Heiligendamm. Da hätte der Verfassungsschutz Sicherheitsbedenken haben können, obwohl es dann am Rande der Treffen im Schloss Cecilienhof und im Resort Schwielowsee zu keinerlei gewalttätigen Zusammenstößen kam.

Warum aber nicht damals, sondern 2009? Müller hat dafür nur eine Erklärung. 2009 kam eine rot-rote Regierung ans Ruder. Unter dem vormaligen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sei der Verfassungsschutz bis auf etwa 130 Leute aufgestockt worden, weiß Müller. Die rot-rote Koalition jedoch nahm den Geheimdienst von den Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst nicht mehr aus. Auf knapp unter 100 sei die Personalstärke mittlerweile gedrückt und sie solle noch weiter auf 90 abgesenkt werden, sagt Müller. Der Verfassungsschutz wolle angesichts dessen wohl seine unbedingte Notwendigkeit beweisen und habe sich deshalb ohne begründeten Anlass verstärkt der linken Szene zugewendet.

Diese Szene will sich indes die unvollständigen Auskünfte nicht gefallen lassen und erwägt rechtliche Schritte. Norbert Müller bleibt ebenfalls am Ball. Er stellt jetzt erneut eine parlamentarische Anfrage zur umstrittenen Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes. Er möchte wissen, wie und mit welchen Materialien sich der Geheimdienst an Schulen präsentiert.

Reibungspunkte zwischen Verfassungsschutz und Datenschutz gibt es schon lange. Vor zehn Jahren warf der damalige Datenschutzbeauftragte Alexander Dix dem Geheimdienst vor, dieser nehme mit seiner Arbeit die Verletzung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Kauf. Dix bezog sich auf ein Rundschreiben des Geheimdienstes, in dem auf die Berichtspflicht von »Behörden, Betrieben und Einrichtungen des Landes« aufmerksam gemacht wurde. Sie müssten laut Gesetz von sich aus Erkenntnisse an den Verfassungsschutz melden. Dix kritisierte damals jene Ministerien, die das Rundschreiben unverändert an ihre Dienststellen weitergeleitet hatten. Denn Gerichte sowie Sozial- und Jugendämter »dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht von sich aus verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse mitteilen«, erklärte Dix.

Die schlechten Erfahrungen mit Geheimdiensten haben die Frage aufgeworfen, ob der Verfassungsschutz überhaupt noch gebraucht werde und nicht besser aufzulösen sei. Vermutlich standen Notwendigkeit und Zweck des Verfassungsschutzes »seit seiner Gründung noch nie so sehr in Frage wie jetzt«, sagte der heutige Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal, als er noch Innenminister und damit für den Verfassungsschutz unmittelbar zuständig war. Dennoch verlangte er selbst nicht die Abschaffung.

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