Die Stimmung kippt am Oranienplatz

Viele Besetzer scheinen jetzt bereit, auf das Angebot des Senats einzugehen - nur eine Minderheit will bleiben

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor knapp zwei Wochen schien die Räumung des Oranienplatzes bereits abgemacht. Doch dann kam vor allem von Seiten der Flüchtlinge massive Kritik am ausgehandelten Kompromiss mit dem Senat.

»Der Senat hat uns ein gutes Angebot gemacht. Wenn er uns wirklich ein Haus gibt, ziehen wir um«, sagt ein Nigerianer auf dem Oranienplatz. Es ist die zweite Woche, seit Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) einen Durchbruch zur friedlichen Räumung des Platzes verkündet hatte und der sich dann schnell als brüchig erwies. Doch die Stimmung scheint zu kippen. Ein Mann aus Mali drückt es so aus: »Der Senat will uns ein Haus geben, Papiere und Geld. Das ist gut. Dann brauche ich nur noch eine Arbeit und eine Frau. Die muss ich mir selbst suchen.« Das »nd« traf am Samstag nur auf zwei Männer und eine Frau aus Uganda, die entschlossen sind, auf dem Platz auszuharren. Sie sagen: »Wir sind hierher gekommen, um gegen die deutsche Flüchtlingspolitik zu protestieren. Und das wollen wir fortsetzen.«

Der Senat hatte vor zwei Wochen den Flüchtlingen vom Oranienplatz und aus der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule eine Unterkunft, Sozialhilfe, einen Deutschkurs und Einzelfallberatung in ihren Asylverfahren angeboten. Im Gegenzug sollten sie den Platz freiwillig räumen und dafür Sorge tragen, dass dort keine neuen Flüchtlinge Zelte oder Hütten aufschlagen. Außerdem sollten sie aus dem Schulgebäude ausziehen. Doch nur ein Teil der betroffenen 467 Männer und Frauen hatte dem Vertrag mit dem Senat zugestimmt.

Acht Sprecher haben die Flüchtlinge gewählt, um in ihrem Namen mit Dilek Kolat zu verhandeln. Die einzige Frau dieser Achtergruppe hat sich im Februar selbst zurückgezogen. Als der Senat die angebliche Einigung verkündete, hatten von den sieben verbliebenen Sprechern nur zwei oder drei das Papier unterschrieben. Inzwischen sollen nun vier Verhandler einverstanden sein, erklären die Männer vom Platz. Zu dem Stimmungsumschwung trägt neben der Perspektivlosigkeit auf dem Oranienplatz auch die spärliche Lebensmittelversorgung bei. Lediglich an den Wochenenden tafelt ein türkischer Verein dort auf.

Die vier Sprecher, die das Angebot unterstützen, wurden von den Besetzern des Oranienplatzes und des Caritas-Heimes gewählt. Die drei Vertreter der Gerhard-Hauptmann-Schule lehnen den Kompromiss weiter ab. Unter ihnen sind politische Aktivisten, die zu Maximalforderungen neigen und wenig kompromissbereit sind. Sie ziehen ein selbstbestimmtes Leben in der besetzten Schule einem Leben in einem Flüchtlingsheim vor.

Jetzt ist der Senat am Zug. Für Einzelfallberatung und Deutschkurse steht zwar Geld bereit, aber die Personalstellen sind noch nicht besetzt. Vor allem aber fehlen Unterkünfte. Seit November gibt es in einem Caritasheim und im Flüchtlingsheim Marienfelde insgesamt 118 Plätze. Silvia Kostner vom Landesgesundheitsamt sagt, dass in Marienfelde die Kapazitäten kurzfristig um 80 weitere Plätze aufgestockt werden können. Zwei bis drei Wochen würde es dauern, die seit Jahren ungenutzten Räume und Wasserleitungen auf Vordermann zu bringen. Ihr Chef Franz Allert sprach letzte Woche auf einer Veranstaltung der Grünen davon, dass »eventuell ein weiteres Haus in Kreuzberg mit 80 Plätzen kurzfristig bereitstehen könnte«. Mehr Plätze sind vor September nicht in Sicht. Die in Aussicht stehenden Plätze würden für die Oranienplatzbesetzer reichen, nicht aber für die Schulbesetzer. Und das Angebot des Senates, die Flüchtlinge auf andere Flüchtlingsheime zu verteilen, findet auf dem Oranienplatz keine Zustimmung. »Wir haben doch nicht gegen Lager protestiert, um jetzt in Lager zu ziehen«, sagt ein Sprecher. Alle zusammen in einem Haus, das könnte er sich vorstellen.

Ein Unterstützer, der seinen Namen nicht nennen will, rechnet damit, dass auch in der Schule Auszugsstimmung herrschen wird, wenn die versprochenen Quartiere endlich bereitstehen sollten.

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