Folge 38: 1. Mai, 18 Uhr Kotti

Lexikon der Bewegungssprache

  • Lesedauer: 2 Min.

Gehasst, geliebt, gefeiert - sie ist nicht nur eine Demo, sie ist ein Glaubensbekenntnis: Die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration in Berlin. Mit bis zu 20 000 Teilnehmern ist sie das größte jährlich stattfindende linksradikale Ereignis in Deutschland. Dabei steht - komme was wolle - eines immer fest. Nämlich die Uhrzeit: 18 Uhr. Deswegen wird sie oft auch einfach nur 18-Uhr-Demo genannt.

Was den Reiz dieses Events ausmacht, ist seine Tradition. Es ist die Tradition des autonomen Westberlins. Ihre Geschichte geht auf die legendäre Kreuzberger Randale am 1. Mai 1987 zurück. Ein Jahr später rief die Szene zum ersten Mal zum »Revolutionären 1. Mai« auf. Mittlerweile ist es an dem Tag zwar nicht nur im Rest der Republik, sondern auch in Berlin-Kreuzberg ruhiger geworden, und das letzte brennende Auto wurde vor langer Zeit gelöscht.

Doch der Geist der Autonomen lebt - zumindest symbolisch - jedes Jahr am 1. Mai um 18 Uhr wieder auf. Dabei beginnt das Vorgeplänkel zur Demo meist spätestens in der zweiten April-Hälfte. Den Startschuss dazu gibt nicht die Kreuzberger Vereinigte Linksradikale, sondern die örtliche Springer-Presse, wenn sie vor den gewaltbereiten autonomen Horden warnt, die bald wieder durch Berlin marodieren wollen. Dass seit Jahren die Wahrscheinlichkeit, dass auf der Demo tatsächlich noch ein Stein geworfen wird, stetig abnimmt, fällt der rechten Hauptstadtpresse jedoch, wenn überhaupt, erst im Nachhinein auf.

Übrigens: Die Ortsangabe »Kotti« fürs Kreuzberger Kottbusser Tor wird zwar gerne an die Uhrzeit hintenangestellt, doch beim Auftaktort sind die Veranstalter im Laufe der Jahre etwas variabler geworden. Hauptsache die Demo beginnt irgendwo im Zentrum von Berlin-Kreuzberg. Sie früher oder später beginnen zu lassen, käme jedoch einem Sakrileg gleich. spo

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