Angst vor der Abfallverbrennung

Bürger von Rüdersdorf wehren sich gegen den geplanten Ausbau einer Anlage von Vattenfall

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Dienstag hört das Umweltamt im Kulturhaus Rüdersdorf betroffene Bürger an. Ob die Tagesordnung heute oder morgen abgearbeitet ist, war zunächst unklar.

Eher ungewöhnlich beginnt die mehrtägige Anhörung im Kulturhaus Rüdersdorf (Märkisch-Oderland). Ein Vertreter des Aktionsbündnisses gegen Müllverbrennung bittet alle Anwesenden, sich zu Ehren all jener zu einer Schweigeminute zu erheben, die im Ort und in der Region wegen giftiger Emissionen gestorben oder von Krankheiten gezeichnet sind.

Hintergrund ist ein Genehmigungsantrag der Firma Vattenfall beim Landesumweltamt, ihre Abfallverbrennungsanlage auszubauen. Künftig sollen bis zu 20 000 Tonnen Müll mehr »verarbeitet« werden als bisher, darunter Sperrmüll, Krankenhaus- und Siedlungsabfälle sowie Klärschlämme aus der Industrie. 30 Arten waren bislang genehmigt, weitere 20 teils deutlich gefährlichere sollen hinzukommen. Ein vom Landesumweltamt in Auftrag gegebenes Gutachten befasste sich jedoch im Wesentlichen lediglich mit Siedlungsabfällen, also nur mit einer Position der beabsichtigten Mischverbrennung, die eine Reihe unwägbarer Risiken mit sich bringen, denkt man in der Bürgerinitiative »Gesund Leben am Stienitzsee«.

Zugleich möchte der Energiekonzern durchsetzen, dass die bisher üblichen Kontrollen der angelieferten und zu vernichtenden Schadstoffe verringert oder überhaupt abgeschafft werden. Was meint: Das Personal der Anlagen prüft weniger durch Laboranalysen, sondern zumeist nur noch durch Sicht- und Riechproben. Damit werde bei unkalkulierbaren Gefahren dem nationalen und internationalen Mülltourismus Tür und Tor geöffnet, und zwar zu Lasten der Sicherheit in Rüdersdorf und Umgebung, befürchtet die Bürgerinitiative. Sie erklärt: »Wir wollen aber keine Teilnehmer eines Pilotprojektes mit ungewissem Ausgang werden.« Vattenfallmitarbeiter verweisen bei der Anhörung mehrfach darauf, es handele sich um Missverständnisse.

Bis September vorigen Jahres haben 2336 Rüdersdorfer ihre Einwendungen vorgebracht. Protest kommt vornehmlich aus den nahe gelegenen Ortsteilen Hennickendorf, Herzfelde und Lichtenow. Anwohner sind besorgt, dass der geplante, 20 Prozent höhere Schadstoffausstoß eine weitere Gefahr für ihr Gesundheit wäre, die schon heute durch eine belastete Umwelt bedroht sei.

Bislang habe es das Landesumweltamt abgelehnt, ein humantoxikologisches Gutachten in Auftrag zu geben, das die Umweltbelastung der Region durch die Müllverbrennung untersucht, heißt es. Deshalb hat inzwischen die Gemeinde Rüdersdorf bei Sachverständigen eine solche Analyse bestellt. Bürgerinitiative und Rathaus fordern, das Gutachten, so es vorliegt, in das Genehmigungsverfahren einzubeziehen. Zudem sollen überall in der weitläufigen Gemeinde Messstationen die Verschmutzung überwachen.

Kritisiert wurde bei der Anhörung darüber hinaus der technische Stand der Anlage, zumal es bekanntermaßen übers Jahr mehrfach zu Grenzüberschreitungen bei Schadstoffen komme. Was den Klimaschutz betreffe, sei die Anlage eine Katastrophe, heißt es. Das Rathaus besteht im Übrigen darauf, in jedem Falle direkt informiert zu werden, wenn radioaktive Grenzwerte erreicht oder überschritten werden, nicht nur einmal am Jahresende.

Die Anhörung, die am Dienstag begann, soll komplizierte Zusammenhänge klären. Deshalb haben Bürgerinitiativen, Landesumweltamt und Vattenfall für diese gut besuchte Tagung ein offenes Ende vorgesehen. In der Bürgerinitiative vermutet man, dass am heutigen Donnerstag - womöglich auch erst am Freitag - alle Punkte der Tagesordnung abgearbeitet sind. Die Entscheidungen fallen später.

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