Mein Freunde Willy und Babe

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Internationale Gerichtshof verbietet das japanische Walfangprogramm in der Antarktis. Ein Argument des Fischereiministers Yoshimasa Hayashi sollte den jetzt jubelnden Organisationen allerdings zu denken geben.

Willy sprang ins offene Meer – 1993 familiengerecht im Film »Free Willy« in Szene gesetzt, befreit von seinem menschlichen Kumpel Jesse. Es dürfte wohl kaum ein Kind in jener Generation gegeben haben – den Autor eingeschlossen - das sich nicht mit Willy freute.

Immerhin bediente Hollywood eine unserer am tiefsten greifenden Sehnsüchte: den Wunsch nach Freiheit. Im wirklichen Leben war Willy, der durch den Orca Keiko gemimt wurde, im wahrsten Sinne des Wortes eine arme Sau. Ende der 70er Jahre als Jungtier vor der Küste Islands gefangen, lebte er erst in Kanada und später in einem viel zu kleinen Becken eines mexikanischen Vergnügungsparks.

Dort von den Filmemachern entdeckt, ein weiteres Mal verschleppt und schließlich unfreiwilliger Hauptdarsteller in gleich drei Kinoproduktionen. Es war die böswillige Ironie des Films, die Abenteuer eines Wals erst im Kampf um und dann in der Freiheit zu zeigen, der die meiste Zeit seines Lebens alles andere als wirklich frei war.

Keikos Geschichte endete genauso traurig, wie sie 1979 vor Island begann. Alle Auswilderungsversuche scheiterten, Keiko starb 2003 an einer Lungenentzündung, der Orca hatte nie gelernt, in jener freien Natur zu überleben, die man ihn für seine Filmkarriere lange Zeit seines Lebens hatte erfolgreich austreiben wollen. Dennoch hatte das Schicksal Keikos letztlich etwas Positives. Durch den Film erkannten viele – besonderes jüngere Kinobesucher – dass die Gefangenschaft eines Tieres womöglich falsch sein könnte, weshalb es überhaupt erst zu Keikos Auswilderungsversuchen kam.

Keiko war ein tragischer Held, der unfreiwillig mithalf, Teile der Bevölkerung ein Stückchen wachzurütteln. Dieses Umdenken und damit beginnt der eigentlich tragischste Teil dieser Erzählung, beschränkte sich allerdings auf Wale. Dass von der US-Psychologin Melanie Joy beschriebene Konzept des Karnismus entfaltete hier seine volle Wirkung, denn was für einen Orca gilt, muss noch lange nicht auf ein Schwein oder eine Kuh zutreffen. Der Schutz der Wale ist in unserer westlichen Kultur eine von breiten Bevölkerungsgruppen akzeptierte und weit verbreitete Forderung. Keiko als Mahlzeit ist für die meisten hierzulande eine genauso unerträgliche Vorstellung wie eine Wurst aus den Überresten von Black Beauty, weil wir beiden einen Charakter, ein Ich, eine eigene Persönlichkeit zubilligen.

Letztlich ist die Erklärung für unseren Abneigung gegenüber Walfleisch sowohl kulturell als auch wirtschaftlich begründet. Im Gegensatz zum Inselstaat Japan spielte die Waljagd in Deutschland nie eine bedeutende Rolle für die Versorgung der breiten Bevölkerung mit Proteinen. Während bei uns die Schweine- und Rinderhaltung bis heute üblich ist, fehlt es den Japanern am notwendigen Weide- oder Ackerland, um ausreichend Futtermittel anzubauen. Womit auch geklärt ist, warum das Land inzwischen zum größten Importeur von Schweinefleisch aufgestiegen ist. Die Waljagd wird indes vor allem mit dem Verweis auf das kulturelle Erbe verteidigt.

Längst ist das Fleisch der Meeressäuger zum Ladenhüter geworden, hunderte Tonnen jährlich enden als Futter in den Näpfen von Haustieren oder werden zu Dumpingpreisen verschleudert, um überhaupt noch Käufer zu finden. Insofern lässt sich die Argumentation der gegen das am Montag vom Internationalen Gerichtshof verfügte Walfangverbot in der Antarktis protestierenden japanischen Regierung auf einen Kern reduzieren: Wir töten Wale, weil wir es schon seit Jahrhunderten tun. Kulturelles Erbe als Selbstzweck, der gefälligst niemals zu hinterfragen ist und mag er seiner Zeit noch so weit hinterherhinken. Seit Montag gilt dieser Verweis auf die Kultur – an den wissenschaftlichen Aspekt glaubte ohnehin kein vernunftbegabter Mensch - im Südpolarmeer nicht mehr, aber weiterhin in nördlicheren Gefilden, die von dem Richterspruch nicht berührt werden.

Eine Argument des japanischen Fischereiministers Yoshimasa Hayashi verfängt dann aber doch ein wenig und sollte sich wie die Harpune in den Körper eines Wales tief in die Köpfe vieler Menschen bohren, die mit den Finger auf die Wale mordenden Japaner zeigen. So lange wie hier im Westen Milliarden von Tiere in fabrikähnlichen Anlagen ermordet werden, um anschließend verspeist zu werden, will sich der Japaner für einige hundert oder ein paar tausend Wale und Delfine nicht rechtfertigen müssen.

In gewisser Weise liegt Hayashi mit diesem Verweis gar nicht so falsch. Organisationen wie die Wal- und Delfinschutzorganisation »WDC« engagieren sich nicht allein aufgrund des Schutzes einiger von der Ausrottung bedrohter Walarten, sondern grundsätzlich gegen die Jagd auf Wale und Delfine. Dabei geht es nicht um eine strengere Regulierung oder ein zeitlich befristetes Verbot, mit deren Hilfe sich zumindest auch der Bestand schützen ließe, ohne das gleich eine Ausrottung droht, sondern um die vollständige Ächtung der Jagd.

Letzteres Ziel ist absolut erstrebenswert, doch viele der daran arbeitenden Organisationen entpuppen sich leider als womöglich noch schlimmere Karnisten als so mancher Walfleischliebhaber. Wer mit der Einzigartigkeit, der Leidensfähigkeit und dem Charakter eines Tieres für dessen Schutz argumentiert, sollte sich doch zumindest im klaren darüber sein, dass diese Eigenschaften sich nicht auf einzelne Arten beschränken. Wer eine Harpune als martialisches Mordwerkzeug bezeichnet, dürfte doch kaum in Frage stellen, dass der Tod aus dem Bolzenschussgerät mit anschließenden Kehle durchschneiden eine humane Art des Tötens darstellt, wenngleich das Töten eines Lebewesens gegen seinen ausdrücklichen Willen (In klarer Abgrenzung zum humanen Sterben, etwa im Fall einer unheilbar tödlich verlaufenden Krankheit.) per se niemals human sein kann. Und was für unseren Freund Willy gilt, sollte auch für Schweinchen Babe eine Selbstverständlichkeit sein.

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