Geniestreich eines Wanderers

Von Künstlern, Industriellen und der Bürde des frühen Ruhms

  • Lesedauer: 4 Min.

Er war der Sohn eines höheren Polizeibeamten und einer Sängerin, die für die künstlerische Erziehung ihrer beiden Kinder sorgte. »Meine Mutter war durch und durch musikalisch, hatte eine gute Sopranstimme und sang wiederholt auf Rheinischen Musikfesten die Soli«, erinnerte er sich später. »Sie verlor aber zu ihrem großen Kummer früh die Stimme und beschränkte sich dann auf den Gesangsunterricht.«

Als er sieben Jahre alt war, entwickelte er ein besonderes Talent zum Malen, weswegen ihn seine Verwandten scherzhaft als »zweiten Raffael« bezeichneten. Seine andere große Liebe gehörte der Musik. Er erhielt Klavierunterricht und wagte sich schon mit neun an seine erste Komposition: ein Geburtstagslied für seine Mutter. Wenige Jahre später trat er bereits mit größeren Stücken an die Öffentlichkeit, von denen die meisten nicht überliefert sind.

Im Alter von 14 Jahren schrieb er seine erste Sinfonie, die von der Philharmonischen Gesellschaft in Köln aufgeführt wurde. Manche Kritiker verglichen ihn danach mit Mozart und Mendelssohn, und eine Zeitung schrieb: »Möge er mutig auf der begonnenen Bahn vorwärts schreiten, der Kunst nur um ihrer selbst willen als der hehren heiligen Göttin dienen und sein Ziel nur in der Erreichung des Höchsten und Besten finden!«

Nachdem er für eines seiner Streichquartette ein Vierjahresstipendium der Frankfurter Mozart-Stiftung erhalten hatte, studierte er in Köln und Leipzig Musik und gab anschließend Unterricht in diesem Fach. Dann starb sein Vater, und es sah zunächst so aus, als müsse er für den finanziellen Unterhalt der Familie sorgen. Dass es soweit nicht kam, verdankte er seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Industriellenfamilie Krupp, die es ihm letztlich gestatteten, eine Art künstlerisches Wanderleben zu führen mit Aufenthalten in Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien.

Mit 27 Jahren trat er seine erste bezahlte Stelle an. Er wurde Direktor des Königlichen Musik-Instituts in Koblenz und war pro Saison für zehn Konzerte sowie einen Frauenchor verantwortlich. Während dieser Zeit schuf er ein Werk, das seinen Namen gleichsam unsterblich machen sollte. Im Ganzen jedoch fühlte er sich in Koblenz künstlerisch unterfordert. Er überlegte daher nicht lange, als sich ihm die Chance bot, Hofkapellmeister in Sondershausen zu werden. Drei Jahre blieb er dort, dann ging er nach Berlin, wo er anfangs als Musiklehrer und später als Leiter des Sternschen Gesangsvereins arbeitete.

Während seiner Tätigkeit als Chef der Philharmonic Society in Liverpool heiratete er eine 16 Jahre jüngere Sängerin, mit der er vier Kinder hatte. Die Hochzeit fand in Marburg statt, dann kehrten er und seine Frau nach England zurück. Doch abermals hielt seine Euphorie über die neu angetretene Stelle nicht lange an. Mit 45 Jahren wechselte er nach Breslau und übernahm die Leitung des Orchestervereins. Dass er auch hier nicht wirklich heimisch wurde, war nicht zuletzt der politischen Entwicklung geschuldet. Denn man hatte ihn als treuen Anhänger Bismarcks nach dessen Entmachtung zum Rücktritt gezwungen.

Noch einmal versuchte er sein Glück in Berlin, wo man ihm die Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie für Wissenschaften anvertraute. Obwohl er weiter wie besessen arbeitete, geriet er mit seinen Werken zunehmend in die künstlerische Isolation. Nach einer beruflichen Enttäuschung ließ er sich mit 72 in den Ruhestand versetzen. Die letzten Jahre seines Lebens zu genießen, fiel ihm aus gesundheitlichen Gründen schwer. Dazu kam ein herber Schicksalsschlag: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erlag sein zweitjüngster Sohn den Folgen einer Blutvergiftung. Nach dem Krieg und dem Tod seiner Frau verlor auch er jeglichen Lebensmut. Er starb mit 82 Jahren in Berlin und wurde auf dem St.-Matthäus-Kirchhof beigesetzt.

Wer war’s?

Für drei Gewinner dieser Folge stellt der Verlag Das Neue Berlin den Roman »Der Friede im Osten. Letztes Buch« von Erik Neutsch zur Verfügung.
Einsendeschluss: 25. Mai (Poststempel)

Die Lösung

Gewonnen haben: Dr. Heinz Schönmeier,Ueckermünde; Annemarie Menzel-Gerber, Weida; Göran Andersson, Greve (Dänemark).
Die Gewinner sind mit der Veröffentlichung einverstanden.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal