Falscher Standesdünkel?

Ver.di kritisiert Gehaltsforderungen des Marburger Bundes

  • Claudia Wangerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Kritik an der Ärztegewerkschaft Marburger Bund wird schärfer. Pflegeverbände nannten den Streikaufruf »unsolidarisch«; Patientenvertretungen sprechen von »enormen Risiken«, und ein Münchner ver.di-Funktionär fordert die streikenden Ärzte auf, ihre Nebeneinkünfte offen zu legen.
Während es in Stuttgart bereits nach drei Tagen den ersten Tarif-abschluss für 760 Mediziner des städtischen Klinikums gegeben hat, stößt der Streik der Klinikärzte in kommunalen Krankenhäusern zunehmend auf Unverständnis. Der deutsche Berufsverband für Pflegeberufe hat den Streikaufruf der Ärztegewerkschaft Marburger Bund als unsolidarisch kritisiert, weil der Tarifabschluss der Unikliniken nicht auf kommunale Krankenhäuser übertragbar sei. Die finanzielle Situation der Kommunen erlaube nur dann Einkommensverbesserungen für die Ärzte, wenn an anderer Stelle gespart werde - zu Lasten von Patienten und Pflegepersonal. Vor »enormen Risiken« des Ärztestreiks warnt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram Candidus. Betroffene, deren Operationstermin verschoben wurde, sollten sofort mit Hausarzt oder Krankenkasse nach anderen qualifizierten Kliniken suchen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sieht im Marburger Bund eher eine Standesvertretung als eine Gewerkschaft. Falls die Ärzte ihre Forderungen durchsetzen, könnten die erhöhten Personalkosten zum Anlass für Privatisierungen genommen werden. Die Initiatoren des Ärztestreiks seien sich der Sympathie in der Bevölkerung etwas zu sicher und vermittelten ein falsches Bild von den Klinikärzten. Man könnte glauben, sie seien eine der am schlimmsten ausgebeuteten Berufsgruppen, so der Münchner ver.di-Geschäftsführer Heinrich Birner. Dabei sei das Gegenteil der Fall: »Die Ärzte sind im Öffentlichen Dienst die bestbezahlte Akademikergruppe.« Selbstverständlich hätten sie nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst Anspruch auf Bezahlung ihrer Überstunden und auch Anspruch auf Überstundenzuschläge - darüber will Birner kein Missverständnis aufkommen lassen. Warum manche Ärzte die ihnen zustehenden Vergütungsbestandteile nicht einforderten, sei ihm ein Rätsel. Ein Streik sei dafür nicht notwendig. Armin Ehl, Sprecher und Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes, widerspricht dieser Einschätzung. Warum der einzelne Klinikarzt nicht jede Überstunde abrechne, sei leicht zu erklären. Personalleiter übten oft enormen Druck aus, das jeweilige Stationsbudget nicht zu überschreiten. Die unbezahlten Überstunden der Klinikärzte seien faktisch »eine Quersubventionierung des maroden Gesundheitssystems«. Ver.di wirft dem Marburger Bund vor, die ausufernden Arbeitszeiten der Klinikärzte hinzunehmen und als Ausgleich höhere Einkommen zu fordern. Die Belange der Patienten kämen dabei zu kurz. Ein Arzt könne nach 24 Stunden Dienst nicht ausgeruhter sein, nur weil er mehr verdiene. »Die Patienten haben einen Anspruch auf ausgeruhte Ärzte. Dazu müssen in erster Linie die Schichtlängen verringert werden.« Angesichts der beanspruchten Einkommenserhöhungen fordert Birner die Klinikärzte auf, ihre Nebeneinkünfte offen zu legen. Den Chefärzten sagte er auf den Kopf zu, sie verdienten sich durch Möglichkeit der Privatliquidation eine »goldene Nase«. An den Einnahmen aus der Abrechnung von Privatpatienten würden auch nachgeordnete Klinikärzte beteiligt. Diese Zusatzeinkommen sollen im Schnitt mehrere hundert Euro pro Monat betragen. Darüber werde in den Krankenhäusern beharrlich geschwiegen, so Birner. Deshalb fordere er die streikenden Ärzte auf, der Bevölkerung die volle Wahrheit zu sagen und ihre Einnahmen aus der Privatliquidation offen zu legen. Dazu sieht Armin Ehl keine Veranlassung: »Genauso gut könnte ich den Mann bitten, seine Nebeneinkünfte offen zu legen. Das macht keiner in Deutschland, ich sehe nicht ein, warum es gerade die Ärzte tun sollten.«
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