Funkeln der musikalischen Moderne

»Le Concert des Nations« - VII. Biennale Alter Musik »Zeitfenster« im Konzerthaus Berlin

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Viel Trubel in den Sälen des Hauses letztes Wochenende. Finale der VII. Biennale Alter Musik »Zeitfenster«. Der berühmte Gambist Jordi Savall trat mit dem Ensemble Le Concert des Nations auf (Violine, Traversflöte, 2 Gamben, Theorbe und Gitarre, Cembalo). Eine Lange Nacht bot fünf Konzerte unterschiedlichster Prägung und Besetzung.

Womöglich hat der eine oder andere ein wenig empfunden: Von Alt nach Neu können es 100 Jahre sein oder nur ein Schritt. Und sich gefragt: Hat jede Epoche der Musikentwicklung ihre Avantgarde? Oder gelingt der musikalische Vorstoß nur von Fall zu Fall? Während halber und ganzer Jahrhunderte wurde den Zeugnissen nach tatsächlich in Regionen Europas immer dieselbe oder nur geringfügig veränderte Musik gesungen und gespielt. Vornehmlich im Bereich der katholischen und sonstigen orthodoxen Kirchenmusik. Demgegenüber brachten launige, sinnenfreudige Erfindungen, basierend auf der Kultur breiter Volksschichten, in gleichen Zeiträumen viel mehr Kraft und Bewegung in die Musik als dort.

Zahlreiche Musiker identifizieren sich mit Alter Musik, weil diese selber ihre Avantgardismen hat. Oder weil dieselben auf Komponisten plötzlich so neu wirken, dass sie geradezu danach rufen, neu belebt zu werden. Strawinsky, Schönberg, Berg, Goldmann, Dittrich, Nono, Bernd-Alois Zimmermann, Henze, Schenker, Udo Zimmermann - alle wussten irgendwie sich der alten Niederländer, der Meister um Monteverdi, der Barockriesen zu bedienen. Und die Alten wiederum taten desgleichen.

Die Biennale Alter Musik hob nun interessanterweise den Begriff Avantgarde aufs Schild. In der Rückschau und zentriert auf den 300. Geburtstag des zweitältesten Bachsohnes Carl Philipp Emanuel Bach. Die gebotenen Konzerte sollten zumindest andeuten, was das sei »Avantgarde«, auf welche Epochen und Namen sich der Begriff aus dem 20. Jahrhundert beziehen lässt, welche Neuerungen technischer, klanglicher Art erzielt wurden und worin die »neuen Inhalte« der Musik sich enthüllen.

Erhellende Antworten gab das Angebot des Konzerthausorchesters unter Leitung des Wieners Martin Haselböck und mit Dezsö Ranki am Klavier. Zwei Orchesterwerke von Franz Liszt umschlossen die Fantasie für Klavier fis-moll von C. Ph. E. Bach. An die Hörer gewandt, führte Haselböcks Rede vom Podium aus sehr instruktiv zum Problem Alt - Neu hin. Franz Liszt habe in seinen Variationen über den Basso continuo aus J. S. Bachs Kantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« die Nähe zu diesem gesucht, um dessen Modelle auf ihre Tauglichkeit für jene riskant ausladenden romantischen Welten zu prüfen, denen Liszt kühn vorgearbeitet hat. Lediglich die Eröffnung (Präludium) und der Schluss (Choral) sind besetzt mit sparsam instrumentierten Bachschen Originalthemen.

Die Fantasie fis-moll - Rankis Spiel ließ die Hämmer des Innenohres wahrlich hüpfen - ist das wohl schlagendste Beispiel von Carl Philipps Erneuerung. Darin scheint das Barockzeitalter überwunden. Alle Virtuosität, alles Variative steht schon im Zeichen von Beethoven, Schubert, ja auch Schumann. Die Melodiegirlanden wirken halsbrecherisch, die harmonischen Rückungen verwegen. Die Moderne beginnt hier zu funkeln. Andere Stücke des Compositeurs zollen dem höfischen Geschmack Tribut. Bezahlt von Friedrich II., offenbart sich C. Ph. auch als Gegen-Avantgardist. Stücke wie die Triosonate d-moll, musiziert vom Ensemble Le Concert des Nations, sollten vielfach nicht mehr als gefallen. Und so klingen sie. Gezwirnt, nicht gar reich an Profil und Geist.

Keine Barockmusik, die nicht auch volkstümliche Elemente aufgegriffen hat. Marin Marais (1656-1728) komponierte eine »Sonnerie de St. Geneviève du Mont-de-Paris«, in der schon der überschäumende, ausgelassenen Marschtritt der Revolution vernehmlich ist. Hier verdiente sich das Ensemble Le Concert des Nations wahrlich seinen Namen. Desgleichen die Zugabe eines Stücks von Jean Philippe Rameau, the best of Concert, hier spielt das Volk im besten Sinne mit. Die große Veredelung des »Zeitfensters« bot sich mit der vorzüglichen Wiedergabe von Bachs »Musikalischem Opfer« durch die Akademie für Alte Musik dar. Allererste Musik vor einem Publikum, das trotz später Stunde begeistert reagierte.

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