Ein Deich ist gut, ein Polder besser

Der Hochwasserschutz orientiert sich inzwischen auf große Überflutungsflächen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein »Umdenken« beim Hochwasserschutz nimmt Umweltministerin Anita Tack (LINKE) erfreut zur Kenntnis.

In der Vergangenheit galten immer höhere Deiche als das Nonplusultra. Nun soll dem Hochwasser durch Flächen begegnet werden, auf die das Wasser gezielt abgeleitet werden kann. Denn »immer höhere Deiche allein können das Problem nicht lösen«, weiß Umweltministerin Anita Tack (LINKE). Am Rande einer Hochwasserschutzkonferenz in Potsdam sagte sie am Donnerstag, in Brandenburg seien 91 Prozent der Oderdeiche und 71 Prozent der Elbdeiche saniert. Doch wenn Brandenburg alle seine insgesamt 1500 Kilometer langen Deiche sanieren wolle, »dann hätten wir noch 100 Jahre zu tun«.

Inzwischen sind sich die Beteiligten aller politischen und fachlichen Ebenen weitgehend darin einig, dass Hochwasser gezielt dort abfließen muss, wo Mensch und Umwelt am wenigsten gefährdet sind. Mittlerweile abgeschlossen ist ein Staatsvertrag zwischen Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, demzufolge Brandenburg im Notfall auf seinen 10 000 Hektar Havelpolder so viel Wasser aufnimmt, dass die besiedelten Regionen flussabwärts nicht mehr gefährdet sind. Nach einem bestimmten Schlüssel zahlen die so geschützten Länder Geld an Brandenburg, das gegebenenfalls Landwirte entschädigen muss. Schleswig-Holdstein habe signalisiert, dem Vertrag beitreten zu wollen, erklärte Tack. Hamburg gehöre nicht dazu, obwohl eine Elbeflut eine große Gefahr für die Stadt darstellt.

Es sei ein Irrglaube, dass bei Hochwasser die überfluteten Flächen mit giftigen Abwässern bedeckt werden und nach dem Abtrocknen kontaminiert sind, sagte Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamtes. Die problematische »Brühe« komme erfahrungsgemäß immer mit dem »ersten Schwung«, der aber noch nicht die Deiche überspüle. Was dann in die Polder ströme, sei sauberes Flusswasser, unter Umständen noch klarer und sauberer als sonst. Er könne Landwirte und Ökobauern beruhigen - vergiften werde eine Überflutung ihre Flächen nicht, versicherte Freude. Problematisch sei lediglich, dass Kartoffeln oder Zuckerrüben nach einigen Tagen unter Wasser verfault und verdorben seien, so dass es günstiger wäre, wenn Polder Wiesen sind. »Die erholen sich sehr schnell.« Im alten Ägypten hat der Nil alljährlich sämtliche Felder überschwemmt und gedüngt. Diesen Effekt gebe es bei Hochwasser, bestätigte Freude. Weil der Fluss Sedimente mit sich führe, liegen nach der Flut drei bis vier Millimeter fruchtbarer Lehmlös auf der Fläche.

Das von Elbefluten bedrohte Mühlberg beteiligt sich mit einer Polderfläche von 160 Hektar, sagte Umweltministerin Tack. Eine dort tätige Agrargenossenschaft habe dafür Land zur Verfügung gestellt. Auch entlang der Oder werde auf Höhe der Neuzeller Niederung an einem großen Polder gearbeitet, fuhr sie fort. Professor Freude ergänzte, dass auf dem Gelände rund 1000 Datschen stehen. Das seien in Ostdeutschland nun einmal »heilige Kühe«. Aber auch von den Besitzern dieser Wochenendhäuschen werde er bei Diskussionen nicht mehr mit faulen Eiern beworfen. Das zeuge von gewachsenem Verständnis für die Problematik. Wirkungsvolle Maßnahmen seien unabdingbar. Die Oderufer seien »die am höchsten gefährdete Landschaft in Deutschland«. Polen habe erheblich in den Deichbau investiert. Am polnischen Ufer der Oder liegen Deiche »in gleicher Höhe« wie am deutschen Ufer, sagte Freude. Auch eine gewaltige Polderfläche mit einem Fassungsvermögen von 100 Millionen Kubikmeter sei im Nachbarland entstanden. Dafür sei ein Dorf umgesiedelt worden. Polen erwarte, dass nun mit bei Neuzelle die Deutschen ihren Beitrag zur Entlastung leisten.

Bei der Oderflut 1997 konnte die Bundesrepublik fast alle ihre Deiche mühsam verteidigen. In Polen hieß es damals: Land unter. Der CDU-Landtagsabgeordnete Dieter Dombrowski findet: »Brandenburg kann noch besser vor Hochwasser geschützt werden.« Er forderte dazu ein Landesprogramm.

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