IOC übernimmt Kontrolle in Rio de Janeiro

Korruption, soziale Proteste, Streiks und Bauverzug belasten die Olympischen Sommerspiele 2016

  • Andreas Behn, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch hat die Fußball-WM in Brasilien nicht begonnen, da gibt’s schon großen Ärger um die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro.

Erstaunlich entschlossen schlug das Internationale Olympische Komitee (IOC) Alarm und beschloss gar, die Regie zu übernehmen. Die Bauarbeiten für die Sommerspiele 2016 seien in Verzug, einige hätten noch nicht einmal begonnen. Für die Organisatoren in Brasilien, die stets sehr empfindlich auf Kritik von außen reagieren, ist der internationale Rüffel eine peinliche Angelegenheit. IOC-Präsident Thomas Bach kündigte an, eine Kommission zu gründen, um die Bauarbeiten voranzutreiben. Eine »gemeinsame Initiative, doch die Leitung liegt selbstverständlich in Händen des IOC«, so der deutsche Olympiachef. Zudem würden die Arbeiten ab sofort Schritt für Schritt kontrolliert, erklärte Bach während eines IOC-Treffens in der Türkei.

IOC-Exekutivdirektor Gilbert Felli betonte, es handele sich weder um eine gelbe noch eine rote Karte. Doch auf Nachfrage von Journalisten, ob das IOC einen Plan B erwäge, gab er sich nur mit Mühe diplomatisch: »Wir sind immer noch der Meinung, dass diese Spiele ein voller Erfolg werden. Wir werden alles dafür tun«, so Felli.

Vor viereinhalb Jahren bekam Rio den Zuschlag für die Spiele. Gut zwei Jahre vor Beginn stehen die Arbeiten noch ganz am Anfang. Lediglich das Leichtathletik-Stadion steht. Das Engenhão wurde für die Panamerikanischen Spiele 2007 errichtet. Seit einem Jahr ist es geschlossen, nachdem Schäden an der Dachkonstruktion festgestellt wurden. Die Träger müssen erneuert werden, zudem soll die Tribüne um ein Viertel erweitert werden, damit es 60 000 Zuschauer fasst.

Dramatischer sieht die Lage in den beiden Olympiaparks in den Stadtteilen Barra und Deodoro aus. Das Gelände im edlen Strandviertel Barra, wo 2016 u. a. Tennis gespielt und Rad gefahren werden soll, gleicht einer Sandwüste. Gebäude sind noch nicht zu sehen, die Arbeiter befinden sich seit Tagen im Streik. Zudem plant die Stadtverwaltung, das anliegende Armenviertel Vila Autódromo zu räumen. Kein einfaches Unterfangen, da die Favela zum Symbol des Widerstands gegen verfehlte Stadtplanung und soziale Säuberungen geworden ist. In Deodoro sind die Bauarbeiten noch nicht einmal ausgeschrieben. Hier sollen Sportstätten für Hockey und Modernen Fünfkampf entstehen sowie die Reitwettbewerbe stattfinden. Zeitdruck besteht auch beim Golfplatz am Barra-Strand. Dort protestieren Umweltschützer, da das Gelände unter Naturschutz steht.

Eine Herausforderung der besonderen Art stehen Seglern und Ruderern bevor. Die Bahia de Guanaraba, ein Wahrzeichen Rios, gleicht einer Kloake. Die Säuberung von Abwässern kommt nur schleppend voran. Zwei Drittel der Abwässer der Stadt werden ungeklärt in die Bahia oder das Meer geleitet. Bürgermeister Eduardo Paes, der die Ohrfeige des IOC als »übertrieben« bezeichnete, betonte, vom Wasser in der Bahia gehe keine Gesundheitsgefährdung der Segler aus. Da auch Müll und Unrat in der Bucht schwimmen, machen diese sich aber Sorgen um Kollisionen und riskante Ausweichmanöver. Weniger dramatisch, aber alles andere als zufriedenstellend, so die Sportverbände, sei der Zustand in der Lagoa de Freitag im Edelstadtteil Ipanema, wo die Ruderer antreten werden.

Die Sorgen des IOC gleichen dem Gezeter des Fußballweltverbandes um die WM-Stadien, die kurz vor Anpfiff noch nicht fertig sind. Immer wieder kommt es zu Arbeitsunfällen und Streik. Auch einige Flughäfen, die eine Zumutung für die Reisenden sind, sowie viele Verkehrsprojekte sind Dauerbaustellen. Das Problem ist weniger mangelnde Planung als Korruption und Misswirtschaft. Die meisten Bauten verschlingen das Doppelte der veranschlagten Kosten, Politiker und Staatsangestellte verdienen mit. Und nahezu alle Baumaßnahmen werden von gerade mal vier großen Barunternehmen ausgeführt. Kritiker sprechen von einem Oligopol, das Preisabsprachen möglich macht und die öffentliche Hand erpresst.

Da fast alle Baumaßnahmen für die Großveranstaltungen mit staatlichen Geldern finanziert werden, gingen bereits im vergangenen Juni Hunderttausende auf die Straßen. Sie forderten mehr Geld für Gesundheit und Bildung sowie öffentliche Verkehrsmittel statt neuer Straßen für Reiche und Touristen. Eine explosive Mischung, die das wirtschaftlich aufstrebende Brasilien nicht vorhergesehen hat.

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