Gransee vorher und nachher

Wurden die ostdeutschen Altstädte absichtsvoll dem Plattenbau geopfert? Sicher nicht.

Ein Buch aus dem Lukas Verlag informiert anhand von Beispielen über die Stadtgeschichte von Gransee im Wandel der Zeiten.

Bücher mit Abbildungen von Städten vorher und nachher, also vor der Wende und danach, transportieren keine Anregungen für Ostalgie. Diese Ansicht vertritt Geschichtsprofessor Hans-Dieter Heimann in dem Buch »Gransee. Eine märkische Immediatstadt im Wandel der Zeiten«.

Eine Seite in diesem Werk benutzt auch das Vorher und das Nachher. Ein Foto oben zeigt die Nagelstraße 1 im Jahr 1990 im unsanierten Zustand, verputzt mit waagerechten Fugen nach klassizistischem Muster. Dabei fehlt der Putz großflächig, und besonders das Dach macht einen baufälligen Eindruck. Darunter dann eine Aufnahme aus dem Jahr 2009. Das Haus ist schmuck gemacht, neu eingedeckt und frisch verputzt. Allerdings räumt die Bildunterschrift ein: »Nicht immer lassen sich bei einer Sanierung alle charakteristischen Details erhalten.« Im Zuge der Wärmedämmung wurde auf die klassizistischen Fugen im Putz verzichtet.

Etwa um kunstfertig gemachte Haustüren und um eine bronzezeitliche Siedlung als Vorläufer von Gransee geht es in dem Buch, um den Wiederaufbau der Stadt nach dem großen Brand von 1711 und die Bedeutung niederländischer Festungsbaukunst für diese planvolle Neuanlage Gransees. Die Strukturen haben sich seitdem erhalten, erfährt der Leser. Der erste Stadtplan von 1799 könnte noch heute jedem Besucher zur sicheren Orientierung dienen.

Viele interessante Kapitel enthält dieses Buch, doch gleich nach dem Vorwort kommt eins, das zum Widerspruch reizt. Dieses Kapitel erinnert an politisch gefärbte Einleitungen von Stadtchroniken aus DDR-Tagen. Das konnte man getrost überblättern. Der Rest war brauchbar.

Ausgehend von Tatsachen entwirft Professor Heimann in dem genannten Kapitel ein schiefes Bild von Wohnungsbau und Denkmalschutz in der DDR. Heimann hat in Bochum Geschichte studiert und 1981 promoviert, bevor er 1994 an der Universität Potsdam Professor für mittelalterliche Geschichte wurde.

Ja, durch das 1973 beschlossene Wohnungsbauprogramm entstanden bis 1990 drei Millionen Plattenbauquartiere vornehmlich an den Stadträndern. Diese Viertel gelten heute als gleichförmig und treffen nicht den Geschmack des Bildungsbürgertums. Die Bewohner, die vorher nicht selten in Altbauten mit Ofenheizung und Plumpsklo auf dem Hof lebten, freuten sich damals aber riesig über die modernen Unterkünfte mit Zentralheizung und Bad. Die effektive Plattenbauweise trug einer dringenden Nachfrage Rechnung, wie Heimann selbst einräumt.

Anders als der Westen hatte die DDR das selbstgesteckte Ziel auch beinahe erreicht, die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen. Während Anfang der 1970er-Jahre junge Familien mit einem Kind noch oft in einem Raum bei den Großeltern lebten und erst beim zweiten Sprössling endlich eine winzige Bleibe erhielten, konnte gegen Ende der DDR sogar ein junger alleinstehender Mensch ohne Beziehungen eigene vier Wände erhalten.

Ja, das DDR-Denkmalschutzgesetz von 1975 formulierte einen hohen Anspruch. In der Realität scheiterten Bemühungen oft an fehlendem Material oder Arbeitskräftemangel. »Von 135 Kreisstädten, so besagt es eine Untersuchung aus den frühen 1980er-Jahren, waren in einigen Städten weniger als zehn Gebäude instand gesetzt worden, wobei der Anteil der ruinösen Gebäude in den Städten bei zehn Prozent lag«, schreibt Heimann. Das klingt glaubhaft für jeden, der in einer solchen Kreisstadt gelebt hat.

Während der Neubau im großen Stil anlief, wurde die Instandhaltung von Altbauten vernachlässigt. Auch das stimmt. Dass aber das Wohnungsbauprogramm »absichtsvoll« den Verlust von Altbauwohnungen eingeschlossen habe, ist dann doch eine sehr kühne Schlussfolgerung.

Schließlich gehörte neben dem Neubau die Rekonstruktion von Altbauten zum staatlichen Programm. Die Rekonstruktion sollte den Neubau schließlich ersetzen, was nicht so schnell ging wie vorgesehen, denn Rekonstruktion ist aufwendiger. Deshalb nahm der Neubau Dimensionen an, die anfangs so nicht geplant waren. Trotzdem sind in einzelnen Straßenzügen bei der Rekonstruktion in den 1980er Jahren beachtliche Ergebnisse erzielt worden. In Ostberlin finden sich viele Belege dafür.

Die auf Heimanns Beitrag folgenden Kapitel liefern mehrere Exempel für Denkmalsanierungen zu DDR-Zeiten. Karl Friedrich Schinkels Sargdenkmal an der Stelle, an der die Leiche der preußischen Königin Luise in der Nacht auf den 26. Juli 1810 beim Durchzug in Gransee abgestellt war, soll zwar zu DDR-Zeiten die Entfernung gedroht haben. Stattdessen ist das Denkmal jedoch immerhin mit einem neuen Anstrich versehen worden. In vorangegangenen Epochen hatte es ebenso Verzögerungen dringend notwendiger Restaurierungen dieses Denkmals gegeben, ist dem Buch zu entnehmen. Es mangelte an Geld dafür, wie in der DDR auch, selbst in der Kaiserzeit, die an einem solchen Denkmal doch sogar ein politisches Interesse hatte.

Recht hat Heimann, dass der Verfall der historischen Bausubstanz in der DDR für Unmut in der Bevölkerung sorgte. Es entwickelten sich Ende der 1980er-Jahre in vielen Orten Initiativen mit dem Motto »Rettet die Altstadt«. Auch aus diesem Keim spross die Bürgerbewegung, obwohl dies sicherlich nicht der entscheidende Antrieb war. Ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt: In Schönebeck/Elbe stieß die Bürgerinitiative »Rettet die Altstadt« anfangs auch auf Unverständnis. Teile der Altstadt an der Elbe - der Fluss stank damals übel - galten nicht als bevorzugte Wohngegend. Ein Abriss der maroden Häuser schien manchem Einwohner nur vernünftig zu sein.

Heute strahlen viele historische Stadtkerne in Ostdeutschland in lange nicht mehr gesehener Schönheit: Neuruppin, Gransee, Cottbus ... Aber in Cottbus begann die Sanierung bereits in der DDR. Sie wurde nach der Wende nur fortgesetzt. Und bei der Betrachtung vorher und nachher kommt es auch auf den Gegenstand an. Sieht man sich Industriebetriebe an, so sahen sie in der DDR selten hübsch aus, aber sie waren vorhanden. Heute finden sich dort oft Ruinen oder gar nichts mehr. Mittelgroße Städte im Osten präsentieren sich heute mit schicken Zentren, leiden aber unter Bevölkerungsschwund und wirken tot wegen der Einkaufszentren auf der grünen Wiese.

Dirk Schumann (Hrsg.): Gransee. Eine märkische Immediatstadt im Wandel der Zeiten, Lukas Verlag, 174 Seiten, 20 Euro.

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