23. April: Welttag des Buches

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Buch war vergnüglich, da hält sich ein Lächeln im Gesicht. Und jetzt sich ausstrecken auf der Blumenwiese und in den Himmel schauen. Wie Leseglück mit dem Glück überhaupt zusammenhängt, das Bild von Jutta Bauer führt es vor Augen. Im Band »Folge deinem Traum« steht es zu einem Zitat von Rosa Luxemburg aus einem ihrer Gefängnis-Briefe: »O bitte, beachten Sie doch diesen herrlichen Tag! Vergessen Sie nicht, wenn Sie noch so beschäftigt sind, wenn Sie auch nur in dringendem Tagwerk über den Hof eilen, schnell den Kopf zu heben und einen Blick auf die riesigen silbernen Wolken zu werfen und auf den stillen blauen Ozean, in dem sie schwimmen.« - Das allein schon macht einem beim Blättern die Seele weit. Aber es findet sich noch sehr viel anderes Schönes im Buch, das an »wache Kinder jeden Alters« adressiert, natürlich ebenso Erwachsene meint.

Nur eine Seite weiter findet sich zum Beispiel ein Gedicht von Heinz Janisch: »Mir kann nichts passieren! Ich habe ein Buch!« Was für Abenteuer da möglich sind! »Ich gehe durch unheimliche Wälder./ Überall bewegt sich etwas .... Ich komme ins Land der unheimlichen Geräusche. / Überall ächzt und stöhnt es./ ›Mir kann nichts passieren!‹, sage ich und spiele laut/ auf meiner Buchtrommel.« Selbst im Land der großen Müdigkeit droht keine Gefahr, hat man das richtige Buch dabei ...

Wohin Bücher uns auch mitnehmen - in phantastische Welten, in ferne Länder, in die Vergangenheit oder in unsere unmittelbare Gegenwart -, wir kommen doch letztlich immer bei uns selber an. Lesend bleiben wir in unsrer Haut und dürfen uns als mächtig erleben. Denn, genau genommen, werden Bücher erst lebendig durch uns. Ungelesen sind sie nur bedrucktes Papier. Der Autor liefert einen Text, den der Leser für sich in Szene setzt. Jeder sein eigener Regisseur der Buchwirklichkeit. Jeder ist frei, sich täglich einen Festtag des Lesens zu bereiten.

Aber der 23. April als UNESCO-Welttag des Buches hat einen respektablen historischen Hintergrund. Das Todesdatum von Miguel Cervantes und William Shakespeare (dessen 450. Geburtstag am Samstag eine Seite in dieser Zeitung gewidmet wird) ist zugleich der Namenstag des Heiligen St. Georg. Nach katalanischem Brauch werden an diesem Tag Rosen und Bücher verschenkt.

Seine Entsprechung findet das hierzulande in der Aktion »Lesefreunde«, einer gemeinsamen Initiative des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Stiftung Lesen mit Unterstützung der Deutschen Post. Nach dem Motto »Schenke anderen etwas, das du liebst, und sie werden es auch lieben« erhalten bundesweit 20 000 »Buchschenker« kostenlos ein Paket mit zehn Exemplaren ihres vorab gewählten Lieblingstitels, die sie dann an Freunde, Verwandte oder auch komplett Unbekannte weitergeben können. Rund 32 500 Schulkassen beteiligen sich zudem an der Aktion »Ich schenk dir eine Geschichte«; der cbj Verlag hat das eigens dafür verfasste Buch »Die Jagd nach dem Leuchtkristall« zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus gibt es allerorten Lesungen (allein in Berlin sind es über 40 Veranstaltungen rund um das Buch) - ein riesiges Fest, so könnte man es nennen, das natürlich auch einen Marketingeffekt haben soll.

Auf der Liste der 50 beliebtesten Freizeitaktivitäten rangiert das Lesen laut Börsenverein auf Platz elf. Platz eins beansprucht das Fernsehen, was nicht erstaunt, weil es viel leichter zu konsumieren ist. »Das Lesen und Hören eines Buches schafft eine nicht nur momentane Intimität. Es beansprucht und stärkt unsere Aufmerksamkeit«, so Dr. Roland Ber-necker, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission. »Eine aufgeklärte Gesellschaft braucht Bücher, denn nur wer liest, kann auch verstehen«, erklärt Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins. Dr. Jörg F. Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, nennt die alarmierende Zahl von 7,5 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die nicht richtig lesen und schreiben können. Vor diesem Hintergrund »brauchen wir starke öffentliche Zeichen«.

Das Lesen literarischer Texte: eine Kulturtechnik, die zu erlernen ist und erst einmal Mühe macht, ehe sie einem zu größtem Vergnügen verhilft. Heinz Janisch hat schon Recht: Lesewelten dehnen sich unendlich weit und schenken uns eine solche Menge an Erlebnissen, wie wir sie in der Realität niemals haben könnten, und dabei bleiben wir doch geborgen in der eigenen Lebenswelt. Wir können Erfahrungen sammeln, die auch mutig machen - »Nur wer sich mit Fehlern auskennt, kann das Richtige tun«, heißt eine Kapitelüberschrift im Band »Folge deinem Traum«, eine andere »Von der Kunst, den eigenen Weg zu gehen«.

Wenn Lesen anspruchsvoller als Fernsehen ist, hat das mit solcherart geistiger Aktivität zu tun. Lesen braucht Zeit, was eine Gegenbewegung zu immer hektischer werdenden Lebensrhythmen ist, und es ist zugleich einer der wenigen Räume, in denen Freiheit unumschränkt möglich ist. Apropos Raum: Von den 61 Prozent der Deutschen, für die Lesen zum Leben gehört, tun es 71 Prozent am liebsten auf dem Sofa oder im Sessel, viele lesen auch gern im Bett oder im Freien. 15,6 Prozent der Männer machen es sich öfter mit einem Buch auf dem WC bequem, bei den Frauen sind es nur 10,6 Prozent.

Michael Krüger (Hg.): Folge deinem Traum. Geschichten, Bilder und Gedichte für wache Kinder jeden Alters. Hanser Verlag. 266 S., geb., 19,90 €. Abbildung: Jutta Bauer »O bitte, beachten Sie doch diesen herrlichen Tag!« © Carl Hanser Verlag, München 2013.

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